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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 5
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Kletzl, Otto: Das Frühwerk Ulrichs von Ensingen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0209

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gewonnenen Jochtiefen des Langhauses. Daß die Tiefe A
der Joche I und V mit 5,2 m die gerade Zahl von
16 Werkschuh ergibt, ist nur ein Zufall. Aus der geo-
metrischen Gesetzlichkeit der rc/4-TrianguIation ergibt
sich dagegen, daß das für den Raumeindruck sehr
wesentliche Verhältnis der Schiffsbreiten im Langhause
ein solches nach dem Goldenen Schnitt ist: 18,8 m
wurde da als Gesamtmaß angegeben; 5,2 + 8,4 + 5,2 m.
In Werkschuh umgerechnet kann das nur ungefähr 16 +
26 + 16 ergeben. Im Goldenen Schnitt verhält sich
major A zu major B wie 1 : 1,618. Multipliziert man
1,618 mit 5,2, so ergibt sich 8,4, die Breite des Mittel-
schiffes.

Aus dieser Betrachtung des Grundrisses erhellt, daß Ul-
rich sich als Vollender des Langhauses nicht nur voll-
kommen an dessen Proportionssystem angeschlossen hat,
sondern wahrscheinlich auch den ursprünglichen Plan
für die Gesamtanlage benutzte. Es ergibt sich vor allem,
daß er dessen Verhältnisse sogar bei seiner recht ori-
ginalen Turmlösung benützt hat. Den Fortbau hat er
nicht von jener Grenze zwischen dem zweiten und dritten
Joch vollzogen, die als Mitte der Gesamtanlage zur
Grundlinie des Paares von Fundamental-Dreiecken hat
werden müssen. Daß er die Ostgrenze der unter seiner
Leitung entstandenen zweiten Langhaus-Hälfte zwischen
dem dritten und vierten Joch nicht als Basis für ein
neues Fundamental-Dreieck gegen Westen benützte, zeigt
seine Verpflichtung auch gegenüber den ursprünglich
geplanten Proportionen des übernommenen Baues am
deutlichsten. Chorschluß und Westturm-Mitte werden
dagegen im Grundriß der Stadtkirche Nürtingens durch
ein verschränktes Paar von Fundamental-Dreiecken mit-
einander verbunden; auch ein Mittel, um den hier nach-
weislich späteren und selbständig errichteten Chor der
vorgefundenen Baumasse einzufügen.

Für den Querschnitt des Aufbaues hat sich auch die
Gotik mit Vorliebe des gleichzeitigen Dreiecks bedient1).
Daß auch für die Hallenbauweise einer selbst dem
Systeme nach selbständig werdenden süddeutschen Gotik
solche Tradition verbindlich bleiben konnte, beweist die
Frauenkirche Eßlingens. Da ist zunächst der Querschnitt
durch ihren Chor (Taf. 36 a, 37): Die Höhe zweier solcher
Dreiecke über den Abstand der Mauer-Außenkanten
liefert die, für den Aufbau wesentliche Oberkante der
Dachbrüstung und zugleich den Ansatz des Dachstuhles.
Durch das zweite Dreieck wird auch schon der Ansatz
der hier ganz geraden Scheitel der Gewölbekappen an
der inneren Mauerflucht angezeigt. Zwei Quadrate, über
der lichten Breite errichtet, geben die konstruktiv, als
bestimmend für die Auflast der Gewölbe, wichtige Ober-
kante des gemauerten Dachaufsatzes. Zwei gleichseitige
Dreiecke endlich mit der lichten Breite des ausgenisch-
ten Sockelgeschosses geben auch die Unterkante der Ge-
wölbekappen und des Schlußsteines.

Auch der Querschnitt des Langhauses hat sehr vollkom-
mene Verhältnisse (Taf. 37). Ein fundamentales gleich-
seitiges Dreieck über der lichten Gesamtbreite von
Wandpfeiler zu Wandpfeiler — ein schon bei der Grund-
rißbetrachtung als ausschlaggebend erkanntes Maß —
gibt die Oberkante des Schlußsteines im Mittelschiff.
Ein gleiehes Dreieck über dem größeren Breitenmaß
zwischen den hinausgerückten Schiffswänden zeigt nicht
nur den Ansatz des Dachstuhles an, sondern schneidet
auch den Ansatz des Hauptscheidbogens heraus; zwei
Dreiecke über der Achsenweite des Mittelschiffes allein
geben die Unterkante der Spitze dieses Scheidbogens.

*) S. u. a.: G. Dehio, Untersuchungen über das gleich-
seitige Dreieck als Norm gotischer Bauproportionen.
Stuttgart 1894.

Vier Dreiecke über der Achseiiweite der Seitenschiffe
geben den Ansatz des Dachstuhles; ebenso fünf, die über
der Breite von Pfeilerkante zu Pfeilerkante errichtet
werden. Drei Quadrate endlich über der Achsenweite
des Seitenschiffes liefern den Ansatz des Kappengewöl-
bes und die Unterkante des Schlußsteins. Damit sind
auch die konstruktiv und künstlerisch wichtigen Punkte
des Aufrisses gegeben.

Ein Vergleich der durch Egle gesammelten und
gruppierten Steinmetzzeichen der Frauenkirche
gibt Aufschluß über die Zusammensetzung ihrer
Bauhütte im Rahmen des nun sichtbar werden-
den Kreises. Wenigstens vier der zur Chorbau-
zeit in Eßlingen beschäftigten Steinmetzen sind
z. B. aus der sich auflösenden Werkstatt am
Freiburger Münsterturm gekommen. Zwei da-
von, A, un<l H 5 haben noch am Achteck
dieses Turmes gearbeitet, die anderen, V und
jL an der dritten Zone des Helmes, der erst
um 1320 vollendet gewesen sein kann1). Der
Steinmetz hat auch am Westgiebel vom

Hl. Kreuz in Gmünd gearbeitet. Schon Egle
trennt ihn aus zwingenden zeitlichen Gründen
von jenen Steinmetzen /\2, der an der Sockel-
zone der Westfassade in Eßlingen, also um 1400
auftritt. Die Gleichheit des Zeichens läßt auf
ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen beiden
schließen. Auch hat außerhalb Eßlingens
an Parler-Bauten mitgearbeitet: Um 1370 z. B.
am Sockelgeschoß des Altstädterbrückenturmes
in Prag. Auf dem Wege von oder nach Prag war
er auch am Dome von Regensburg tätig. Von
Eßlingen ist er Ulrich noch nach Straßburg ge-
folgt. An der feinen Spitalskirche Markgrönin-
gen, die gleichzeitig mit dem Eßlinger Chor
entstand, begegnen \f und . (Ähnlichkeit
der Sedilien). — Interessant ist auch der
Steinmetz J. Er kommt gleichfalls von Gmünd,
hat hier an der Nordseite des Langhauses gear-
beitet; geht dann an einen zweiten Parler-Bau,
den Chor der neuen Pfarrkirche in Ulm. Hier
arbeitet er viel und lange, bis in die Amtszeit
Ulrichs hinein; um 1400 taucht er dann am un-
teren Teil der Westfassade Eßlingens auf.
Gleichzeitig und am gleichen Bauteil arbeitet
mit ihm der Steinmetz auch er ging vom
Gmünder Langhause aus, tritt am Regensburger
Sammelstein II, an Brücke und Karlshof in
Prag auf und ist nach 1399 von Eßlingen mit
Meister Ulrich nach Straßburg gezogen, um am
Oktogon seines Münsterturmes mitzuarbeiten.

1) Vgl. H. Fritz, Der Turmlielm des Münsters zu Frei-
burg i. Br. Dissert. T. H. Karlsruhe 1926, Ms. Hier auch
gute Tabellen der Steinmetzzeichen.

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