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Architectura: Zeitschrift für Geschichte und Aesthetik der Baukunst — 1.1933 [ISSN 2365-4775]

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Nr. 6
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Ecke, Gustav: Zur Architektur der Landhäuser in den kaiserlichen Gärten von Jehol
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https://doi.org/10.11588/diglit.19241#0252

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Stimmung einzig dem künstlerischen Takt des entwer-
fenden Architekten überlassen bleibt, für deren ,,Ver-
spannung" im Flächenraum ihm kein amtliches Hand-
buch endgültige Vorschriften macht.

Die scheinbar gesetzmäßige Zwangsläufigkeit chinesischer
Grundrisse hat Kenner der chinesischen Architektur
immer wieder dazu verführt, nach geheimnisvollen Pro-
portions-Formeln Ausschau zu halten, und ein so fein-
fühliger Forscher wie Melchers hat zahlreiche Tempel-
grundrisse auf der Suche nach einem „Goldenen Schnitt"
aufgenommen — vergeblich. Denn das Geheimnisvolle
ist hier nicht die von der Tradition übernommene For-
mel, sondern das Schöpferische des einzelnen Künstlers.
Wir wissen, mit welchem Furor Nietzsche die Bezeich-
nung „Komposition" für eine Schöpfung ablehnte. Und
gewiß handelt es sich bei einem chinesischen Grundriß
klassischer Gestaltung nicht um eine Zusammenstellung
einzelner Elemente, sondern, wenn man will, um eine
Funktion, deren Faktoren in notwendiger Abhängigkeit
voneinander, Einwirkung aufeinander verharren.

Auswahl und „Verspannung", das sind die beiden Prin-
zipien des schaffenden chinesischen Baumeisters, wobei
sein Trieb in die Weite und Tiefe des dynamisch zu bin-
denden Flächenraumes als ebenso rassenmäßig bedingt
vorausgesetzt wird wie sein Brudertum mit der Land-
schaft.

Wer keinen Blick für solche schwer zu erfassenden Be-
dingungen hat, wird eher die praktische Seite chinesi-
scher Anlagen erkennen, wie im Jahre 1711 in Jehol der
Pater Ripa (RP, pp. 72,73): „Various habitations., more
or less large according to their use, are erected here and
there in different spots about the ground; one for his
Majesty, behind this one for his concubines . . ., another
for his mother, others for his queens, and others for the
eunuchs . .Von solchem Gesichtspunkt aus haben die
Einzelhöfe ihre besondere, durch Sitte und Lebensnot-
wendigkeit bedingte Bedeutung, und die abgeschlossenen
Hauseinheiten dienen in ihrer notwendigen Isolierung
den von Ripa angedeuteten Bedürfnissen, während in
solchem Sinne der „Lang-tzu" nichts anderes als ein
gegen Regen und Sonne geschützter Verbindungsweg ist
zwischen den aus verschiedenartigen praktischen Grün-
den getrennten Einzelgebäuden.

Bemerkenswert sind die Ausführungen Ripas über die
Gesamtanlage des ganzen Bergplatzes, dessen beabsich-
tigte „Natürlichkeit" besonders ihm auffallen mußte, der
aus einem Italien kam, in dem die Tradition regelmäßig
geometrischer Parkanlagen von der Blütezeit der Renais-
sance her noch immer lebendig war (RP, p. 62).

Auf die geschichtlichen Probleme der Entwurfslehre
chinesischer Landhaus-Anlagen kann an dieser Stelle
kaum eingegangen werden. Doch ist es eine wichtige
Frage, ob die bei Kultanlagen wohl seit jeher geübte
Systematisierung des Grundrisses ursprünglich schon bei
profanen Entwürfen üblich war. Darstellungen auf
mannigfachen Architekturbildern der Sung- und Yüan-
Zeit von phantastischen Lustschlössern, vor allem vou
Ch'in-shih-huangs berühmtem A-fang-kung bei Hsien-
yang (vgl. KT, Bd. I, Tf. 46, um nur eins von zahlreichen
Beispielen zu nennen), mögen von tatsächlichen Anlagen
der Zeit inspiriert sein, und sie verraten größere Frei-
heit. Vor allem aber beweisen solche Bilder, daß die da-
mals für den Entwurf zur Verfügung stehenden Gebäude-
typen unvergleichlich viel reicher im Aufriß gewesen
sein müssen als die schlichten Hallen und zweistöckigen
Lusthäuser des Landhaus-Stils der Ch'ingzeit. Eine andere
Darstellung der Sungzeit zeigt den berühmten Huang-
ho-lou (YT2, p. 128, Anm. 31) mit so ausgezeichnet und
völlig maßstabgerecht wiedergegebenen Konsolenverbän-

den, daß man mit Hilfe der Angaben des „Ying Tsao
Fa Shih" den Lou rekonstruieren könnte. Nicht weniger
realistisch, geradezu durchkonstruiert, war eine anschei
nend von demselben Maler stammende Darstellung des
anderen berühmten Lusthauses der Sungzeit, des T'eng-
wang-ko, und man ist geneigt anzunehmen, daß beide
Darstellungen damals wirklich vorhandene Bauten wie-
dergeben *).

Freilich handelte es sich bei diesen prachtvollen Lust-
häusern um keine Fassadenbauten; solche hat die chine-
sische Architektur nie gekannt, vielmehr bis in die Zei-
ten des Verfalls hinein immer die Betonung der kon-
struktiven Bauelemente des ursprünglichen Pfosten- und
Riegelbaus beibehalten. Es blieb der Periode Ch'ienlung
vorbehalten, den Baukastenstil der Märchenpaläste Jehols
aus tibetanischen und chinesischen Elementen zusammen-
zuflicken und die einzelnen Prachtbauten in atemberau-
bend engen Grundrissen zusammenzustellen. Sehnsüchtig
schaut man von ihren Marmorterrassen hinunter in die
Gründe von K'anghsis weitem Bergplatz und gedenkt der
Dichterfreuden, die dem Kaiser dort gediehen, unter
Weiden und Fichten, zwischen Hinden und Hirschen, in
den stillen Höfen seiner Landhäuser inmitten grüner Ge-
wässer.

IV. Anmerkungen zu den Abildun-

g en

PEi, p. 5: „Le P. Buglio (1606—1682) fit connaitre en
Chine la perspective europeenne; il ,donna ä l'Empereur
(K'anghsi) trois tableaux, oü les regles en etaient par-
1'aitement gardees' (zitiert nach du Halde); on sait que
ces regles de perspective europeenne furent appliquees
en 1696 dans le Keng tche t'ou de Tsiao Ping-tcheng"
(vgl. MA, pl. LXXIV).

Weitere Beispiele für die Anwendung der „Renaissance-
Perspektive" in China bieten die verschiedenen bild-
lichen Darstellungen der kaiserlichen Sommergärten bei
Peking und in Jehol. Matteo Ripa (siehe Couling, En-
cyclopaedia Sinica, pp. 484, 485), ein Missionar der Pro-
paganda (1682—1745), arbeitete für K'anghsi, vor allem
wohl als Maler, von 1711 bis zum Tode des Kaisers.
Einem am 28. Februar 1933 in Peking gehaltenen Vor-
trage des Professors Pelliot glaube ich entnehmen zu
dürfen, daß die früher von ihm erwähnten, in Kupfer
gestochenen „36 vues de Jehol" (PE2, pp. 240, 273), von
denen sich ein Satz im Departement des Estampes und
ein anderer im British Museum befindet, von Matteo
Ripa stammen. Ripa selber erwähnt in seinen Erinne-
rungen (RP, p. 72) „Perceiving that I had made some
progress in the art of engraving, his Majesty resolved to
have prints of thirty-six different views taken from the
residenee of Jehol built by himself. Accordingly I went
there with the Chinese painters whom he had ordered to
make the drawings . . ."

Die Maler, von denen Ripa hier spricht, sind wohl Chang
Tsung-ts'ang, ein bekannter mittelmäßiger Hofmaler und
Landschafter der Zeit (vgl. MA, fig. 15), und Shen Ying-
hui (PE2, p. 239), nach deren gemalten Vorlagen die
36 Ansichten vervielfältigt wurden. Über die Originale
ist mir nichts bekannt; vielleicht tauchen sie eines Tages
noch auf. Die gedruckten Ausgaben zeigen eine eigen-
artige Vereinigung der chinesischen Landschafts-Per-
spektive des „P'ing-yüan" (MA, pp. 129, 131) und mo-

1) Beide Bilder gehörten der Sammlung des hervorragen-
den Kenners Li Pa-k'o aus Fuchou an; sie wurden in der
Oriental Library der Commercial Press in Shanghai auf-
bewahrt und sind mit dieser Bibliothek im vorigen Jahre
zugrunde gegangen.

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