1903
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 2
Füllung vom Haus
Viktoriastrasse 27 in Berlin.
Architekten: Kayser & von Groszheim, Bauräte in Berlin.
' Modelliert von Rob. Schirmer in Berlin.
Bedeutung der Gebäude in dem ornamentalen Schmuck der
bedeutendsten Bauglieder zum Ausdruck gebracht wird. Die
reichgeschnitzten Holzarchitekturen der deutschen Renaissance
erzählen in den allegorischen Darstellungen aus der biblischen
und römischen Geschichte die Lebensanschauungen und
Lebensgrundsätze unsrer Altvordern und flössen so dem Be-
schauer ein weit tieferes geisti-
ges Interesse ein, als dies die
äussere Form allein vermöchte.
So stellen unsre Künstler, wie
Ludwig Hoffmann, das Leben
der Gegenwart, die Freuden
und Leiden der Schulzeit und
damit die Bestimmung des Ge-
bäudes in sinniger poetischer
Empfindung und gewürzt mit
echt deutschem Humor dar.
Wie treffend und lustig zugleich ist der reiche Mann, dem
alle irdischen Güter mühelos in den Schoss fallen, im Volks-
bade in der Dennewitzstrasse in Berlin durch den »reichen
Frosch« geschildert, dem die Goldfische zuströmen, während
dem »armen Frosche« auch das magere Mücklein entschlüpft.
(Schluss folgt.)
!
Konsole aus dem Künstlerhaus in Berlin.
Architekt: Professor Karl Hoffacker
in Karlsruhe.
Modelliert von Rob. Schirmer in Berlin.
Schaufenstergedanken.
^^^^as Warenhaus von Tietz in der Leipzigerstrasse in
^er'*n ,s* e’n Markstein in der langen und lehrreichen
Entwickelungsgeschichte des neuzeitlichen Geschäfts-
hauses geworden.
Von der künstlerisch unbefriedigenden Verbindung gähnen-
der Schaufensteröffnungen im Erdgeschoss mit darüber liegen-
den Wohngeschossen war man zu den durchweg für Geschäfts-
zwecke eingerichteten Kaufhäusern übergegangen und hatte die
einheitliche Anordnung und Zusammenfassung der grossen,
durch mehrere oder alle Stockwerke durchgehenden Fenster-
flächen so lange gesteigert, bis man endlich durch das Zurück-
rücken der stützenden Pfeiler in das Innere des Gebäudes zur
Auflösung der ganzen Front in eine einzige gewaltige Glas-
fläche und damit an die Grenze des auf diesem Wege Erreich-
baren gelangte.
Kann sonach das Tietzsche Warenhaus als bezeichnendes
Beispiel dieser Bauweise nicht gut mehr übertroffen werden,
so ist wohl ebensowenig eine Wiederholung durch unver-
änderte Beibehaltung des der Fassadenauflösung zu Grunde
liegenden Gedankens zu erwarten. Mag es auch keineswegs
an ähnlichen Geschäften fehlen, für deren Betriebsart ja das
Tietzsche Fassadensystem den vollkommensten Ausdruck dar-
stellen soll, so scheint doch angesichts dieses bis zur letzten
Grenze durchgeführten Beispieles nachgerade auch weiteren
Kreisen die Erkenntnis dafür aufzugehen, dass der Zweck einer
Warenausstellung damit nur zum
Teil erreicht worden ist und er-
reicht werden kann.
Will man freilich nichts wei-
ter als eine um jeden Preis auf-
fällige, geradezu schreiende Schau-
stellung, eine aufdringliche Re-
klame und diese auch nur durch
Massenwirkung erzielen, so wird
man dies kaum auf einem andern
Wege in gleicherweise erreichen
können.
Kapitäl vom Haus Viktoriastrasse 27
in Berlin.
Architekten: Kayser & von Groszheim,
Bauräte in Berlin.
Eine derartige Schaustellung und Reklame entspricht aber
trotz der mannigfachen unleugbaren Beziehungen zum Ge-
schäftsbetriebe der Warenhäuser doch durchaus nicht dem
wirklichen Nutzen. Der künstliche Anreiz zum Kaufen wird
durch eine verlockende, die Sinne blendende und von genauer
Betrachtung der Ware ablenkende Schaustellung erzeugt, zu
der ebenso die massenhafte Anhäufung gleicher Gegenstände
wie die überwältigende Verschiedenheit derselben und die
Grösse der Räume wesentlich beitragen; aber er wird nicht
durch letztere allein hervorgebracht.
Dass auch die den Waren selbst völlig urteilslos gegen-
überstehende grosse Menge von der Massenwirkung allein nicht
auf die Dauer angezogen wird und den Mangel einer durch
Farbe und Gruppierung stimmungsvoll wirkenden Anordnung,
wenn auch oft unbewusst, empfindet, kann man deutlich aus
den vergleichenden Urteilen des Berliner Publikums über das
Tietzsche und das Wertheimsche Warenhaus entnehmen. Wenn
die erste Verblüffung überwunden ist, wirkt die kunstlose
Schaustellungum so abstossender, je aufdringlicher die Massen-
wirkung ist. Deshalb darf man vielleicht gerade von der äusser-
sten Steigerung des Bazarwesens eine vorteilhafte Einwirkung
auf die künstlerische Behandlung unsrer Schaufenster erhoffen.
In Anbetracht der hervorragenden Bedeutung, die das Ge-
schäftshaus für die Baukunst der Gegenwart erlangt hat, ver-
lohnt es sich wohl die für seine Gesamtgestaltung so einfluss-
reiche Schaufensterfrage an dieser Stelle auch in Bezug auf die
Pfeiler aus der Schwimmhalle des Volksbades Architekt: Stadtbaurat Ludwig
iu der Dennewitzstrasse in Berlin. Hoffmann in Berlin.
Modelliert von E. Westpfahl in Berlin.
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ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 2
Füllung vom Haus
Viktoriastrasse 27 in Berlin.
Architekten: Kayser & von Groszheim, Bauräte in Berlin.
' Modelliert von Rob. Schirmer in Berlin.
Bedeutung der Gebäude in dem ornamentalen Schmuck der
bedeutendsten Bauglieder zum Ausdruck gebracht wird. Die
reichgeschnitzten Holzarchitekturen der deutschen Renaissance
erzählen in den allegorischen Darstellungen aus der biblischen
und römischen Geschichte die Lebensanschauungen und
Lebensgrundsätze unsrer Altvordern und flössen so dem Be-
schauer ein weit tieferes geisti-
ges Interesse ein, als dies die
äussere Form allein vermöchte.
So stellen unsre Künstler, wie
Ludwig Hoffmann, das Leben
der Gegenwart, die Freuden
und Leiden der Schulzeit und
damit die Bestimmung des Ge-
bäudes in sinniger poetischer
Empfindung und gewürzt mit
echt deutschem Humor dar.
Wie treffend und lustig zugleich ist der reiche Mann, dem
alle irdischen Güter mühelos in den Schoss fallen, im Volks-
bade in der Dennewitzstrasse in Berlin durch den »reichen
Frosch« geschildert, dem die Goldfische zuströmen, während
dem »armen Frosche« auch das magere Mücklein entschlüpft.
(Schluss folgt.)
!
Konsole aus dem Künstlerhaus in Berlin.
Architekt: Professor Karl Hoffacker
in Karlsruhe.
Modelliert von Rob. Schirmer in Berlin.
Schaufenstergedanken.
^^^^as Warenhaus von Tietz in der Leipzigerstrasse in
^er'*n ,s* e’n Markstein in der langen und lehrreichen
Entwickelungsgeschichte des neuzeitlichen Geschäfts-
hauses geworden.
Von der künstlerisch unbefriedigenden Verbindung gähnen-
der Schaufensteröffnungen im Erdgeschoss mit darüber liegen-
den Wohngeschossen war man zu den durchweg für Geschäfts-
zwecke eingerichteten Kaufhäusern übergegangen und hatte die
einheitliche Anordnung und Zusammenfassung der grossen,
durch mehrere oder alle Stockwerke durchgehenden Fenster-
flächen so lange gesteigert, bis man endlich durch das Zurück-
rücken der stützenden Pfeiler in das Innere des Gebäudes zur
Auflösung der ganzen Front in eine einzige gewaltige Glas-
fläche und damit an die Grenze des auf diesem Wege Erreich-
baren gelangte.
Kann sonach das Tietzsche Warenhaus als bezeichnendes
Beispiel dieser Bauweise nicht gut mehr übertroffen werden,
so ist wohl ebensowenig eine Wiederholung durch unver-
änderte Beibehaltung des der Fassadenauflösung zu Grunde
liegenden Gedankens zu erwarten. Mag es auch keineswegs
an ähnlichen Geschäften fehlen, für deren Betriebsart ja das
Tietzsche Fassadensystem den vollkommensten Ausdruck dar-
stellen soll, so scheint doch angesichts dieses bis zur letzten
Grenze durchgeführten Beispieles nachgerade auch weiteren
Kreisen die Erkenntnis dafür aufzugehen, dass der Zweck einer
Warenausstellung damit nur zum
Teil erreicht worden ist und er-
reicht werden kann.
Will man freilich nichts wei-
ter als eine um jeden Preis auf-
fällige, geradezu schreiende Schau-
stellung, eine aufdringliche Re-
klame und diese auch nur durch
Massenwirkung erzielen, so wird
man dies kaum auf einem andern
Wege in gleicherweise erreichen
können.
Kapitäl vom Haus Viktoriastrasse 27
in Berlin.
Architekten: Kayser & von Groszheim,
Bauräte in Berlin.
Eine derartige Schaustellung und Reklame entspricht aber
trotz der mannigfachen unleugbaren Beziehungen zum Ge-
schäftsbetriebe der Warenhäuser doch durchaus nicht dem
wirklichen Nutzen. Der künstliche Anreiz zum Kaufen wird
durch eine verlockende, die Sinne blendende und von genauer
Betrachtung der Ware ablenkende Schaustellung erzeugt, zu
der ebenso die massenhafte Anhäufung gleicher Gegenstände
wie die überwältigende Verschiedenheit derselben und die
Grösse der Räume wesentlich beitragen; aber er wird nicht
durch letztere allein hervorgebracht.
Dass auch die den Waren selbst völlig urteilslos gegen-
überstehende grosse Menge von der Massenwirkung allein nicht
auf die Dauer angezogen wird und den Mangel einer durch
Farbe und Gruppierung stimmungsvoll wirkenden Anordnung,
wenn auch oft unbewusst, empfindet, kann man deutlich aus
den vergleichenden Urteilen des Berliner Publikums über das
Tietzsche und das Wertheimsche Warenhaus entnehmen. Wenn
die erste Verblüffung überwunden ist, wirkt die kunstlose
Schaustellungum so abstossender, je aufdringlicher die Massen-
wirkung ist. Deshalb darf man vielleicht gerade von der äusser-
sten Steigerung des Bazarwesens eine vorteilhafte Einwirkung
auf die künstlerische Behandlung unsrer Schaufenster erhoffen.
In Anbetracht der hervorragenden Bedeutung, die das Ge-
schäftshaus für die Baukunst der Gegenwart erlangt hat, ver-
lohnt es sich wohl die für seine Gesamtgestaltung so einfluss-
reiche Schaufensterfrage an dieser Stelle auch in Bezug auf die
Pfeiler aus der Schwimmhalle des Volksbades Architekt: Stadtbaurat Ludwig
iu der Dennewitzstrasse in Berlin. Hoffmann in Berlin.
Modelliert von E. Westpfahl in Berlin.
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