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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 20.1904

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Heft 12
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Pfeifer, Hermann: Die künstlerische Bedeutung des Fugenschnittes und der Steinbehandlung
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1904

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 12

Die künstlerische Bedeutung des Fugenschnittes und der Steinbehandlung.
Von Professor Hermann Pfeifer in Braunschweig.


ie Wellenberge der auf- und niederschwankenden Be-
wegung in der Entwicklung der Baukunst lehren uns
deutlich, daß zu den wesentlichen Grundlagen des

monumentalen Bauens die handwerkliche Gediegenheit
in der Ausführung aller einzelnen Bauteile gehört
Leider wird bei dem heutigen


historischen Studium der Bauten
fast immer noch den schmücken-
den Bauformen eine größere Be-
deutung beigemessen als den
weniger augenfälligen, aber nicht
weniger wichtigen Herstellungs-
arten der schlichten Mauerflächen,
Dachungen, Substruktionen u. s. w.
Nun spielt seit den Tempel-
bauten der alten Ägypter bis in
unsre Tage die Steinbehand-
lung eine erste Rolle in der mo-
numentalen Kunst. Aus diesem
weiten Gebiete seien hier im An-

1. Aus der Stiftskirche zu Innichen im
Pustertal (Tirol). 12. Jahrhundert.

Schluß an die Betrachtung der
farbigen Tafel 96 dieses Heftes:

Innenraum der im 12. Jahrhundert erbauten Stiftskirche zu
Innichen*) im Pustertale, nur einige Punkte herausgegriffen,
welche für die neuere Bewegung der Baukunst eine besondere
Bedeutung zu besitzen scheinen.
Zunächst sei auf den malerischen Steinschnitt aufmerksam

gemacht, welcher die Leibungsflächen der Gurtbögen aus-
zeichnet (vergl. auch Text-Abb. 1); diese sind aus blaugrauem
und graurotem Dolomit von wechselnder Farbentiefe in freier
Fugenteilung flechtwerkartig zusammengesetzt. Die sorgfältig
gearbeiteten Fugen heben sich durch die schmalen Mörtelbänder
als feine helle Trennungslinien hervor, welche dem zarten, auf
einen gemeinsamen grauen Unterton gestimmten Farbenspiel
ein festeres Gepräge verleihen, indem sie den Steinschnitt der
Quaderung deutlicher betonen. Die hoch kant stehenden
Steine geben wirkungsvolle Richtungskontraste in Gegenstellung
zu den quadratischen und den wagrecht einbindenden normalen
Keilsteinuntersichten. Solche Hochkantstellung würde bei Ver-
wendung von lagerhaftem oder gar schieferigem Gestein ver-
werflich sein, ganz besonders im Freien; denn nicht malerische,
sondern konstruktive Gesichtspunkte sind es, welche in erster
Linie maßgebend sein müssen; bei dem festen Dolomit konnte
unbedenklich Hochkantstellung gewählt werden, namentlich im
Innenraume.
In der Außenarchitektur bieten sich andre handwerk-

*) Eingehende geschichtliche Untersuchungen über die berühmte Stifts-
kirche in Innichen finden sich in den Mitt, der k. k. Zentralkommission 1856

und 1858; ferner in Atz, Kunstgesch. Tirols u. s. w.; eine Skizze der Bau-
geschichte dieser altehrwürdigen Basilika gibt Hans Semper in seinen Wande¬


rungen und Kunststu-
dien in Tirol, I, wo er
auch die Franziskaner-
kirche und S. Michaels-
kirche bespricht, aber
leider die stimmungs-
volle Kirche zum heili-
gen Grab in Innichen
gar nicht erwähnt; be-
kanntlich hat dieser
eigenartige Zentralbau
auf Wunsch des Deut-
schen Kaisers Friedrich
als Vorbild für sein
Mausoleum in Potsdam
gedient, ist aber in sei-
nem Stimmungsgehalte
durch die prunkvolle
Nachbildung nicht er-
reicht worden, vielleicht
gerade wegen des
Prunkes mit poliertem
schwarzen und weißen
Marmor!

liehe Mittel zur Erzielung belebender Kontraste in der Quade-
rung dar, z. B. die größeren Gegensätze in der Bearbeitung
des Steines — rauhe Bossen, grob und fein gestockt, scharriert,
gespitzt, geschliffen u. s.w., wie sie die Fensterumrahmungaus
Bergamo zeigt. Namentlich ist es die malerische Wirkung ver-
schiedenartiger Quaderbossen, welche neuerdings mit Recht zur
Belebung der Fassaden¬
flächen wieder mehr her¬
beigezogen wird. Einen
mächtigen Einfluß in
diesem Sinne übte einer
der bedeutendsten ame¬
rikanischen Architekten,
H. H. Richardson, aus,
welcher durch derbe
Bossenquaderung sein
»modern romanesque«
möglichst kraftvoll zu
gestalten suchte (Abb. 3).
Die trotzigen, burgartigen Palastbauten des Mittelalters und
der Frührenaissance in Florenz - Palazzo della Signoria (Abb. 4),
Pal. Pitti, Pal.Pazzi u. s.w.) mit der wuchtigen Steinbehandlung
der »Rustika«, welche

3 Von H. H. Richardson’s T' inity Cliurch
in Boston.


4. Vom Palazzo della Signoria (Pal. veccliio) in Florenz
nach G. Rohault de Fleury, LaToscane au moyen äge.


ein Vorrecht der Adels-
geschlechter bildete,
scheinen für Richardson
vorbildlich gewirkt zu
haben. Außerdem suchte
er durch Vermeidung
von durchlaufenden La-
gerfugen die gequader-
ten Fassadenflächen
noch malerischer zu be-
leben (vergl. Abb. 3:
Hakenquader [h] zum
Absetzen der Horizonta-
len und kleinere Schich-
ten dazwischen!).
Seine Nachahmer
laufen Gefahr, das Prin-
zip der abgesetzten Fu-
gen zu Tode zu hetzen
und in manierierten
Schematismus zu ver-
fallen, wie in dem Bei-
spiel Abbildung 5 aus
Cleveland durch Ab-
setzen der Lagerfugen
durch niedrigere Schich-
ten von x/3 und 2/3 Höhe
der Hauptquadersteine.
Es macht den Ein-
druck, als ob auf je-
den Quadratmeter aus¬

gerechnet drei Absetzungen treffen müßten; das wirkt gekünstelt.
Unsrer Zeit scheint der Sinn für das Natürliche, Selbst-
verständliche, Materialechte abhanden gekommen zu sein; ob
das Übermaß an Bücherweisheit oder der Mangel an praktischer

Schulung im Handwerk die
Schuld daran trägt? Oder ist
es die Sucht, um jeden Preis
auffallend originell zu wirken?
Zum Vergleiche betrachte
man dagegen die urwüchsige,
gesunde Bauweise, wie sie
unsre Altvordern z. B. an den
festen Burgmauern in allen
deutschen Gauen übten, ohne


5. Quaderung von einem Neubau 1S93)
in Cleveland (Ohio).

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