Architektonische Rundschau
2. Beilage zu Heft 5. 1905
Alleinige Inseratenannahme bei Rudolf Mosse, Annoncen-Expedition für sämtliche
Zeitungen Deutschlands und des Auslandes, Stuttgart, Berlin, Breslau, Dresden,
Düsseldorf, Frankfurt a. M., Hamburg, Köln, Leipzig, Magdeburg, München,
Nürnberg, Prag, Strassburg, Wien, Zürich,
Insertionspreis 25 Pf. für die
v viergespaltene Petitzeile. $
Masken in Ton geschnitten. Entworfen von Architekt E. Högg in Bremen.
Ausgeführt von Bildhauer Hans Latt in Berlin.
Beschaffenheit und Anbringung von
Geschäftsfirmen.
Daß ein Geschäftsmann, der auf den Zuspruch des Publikums ange-
wiesen ist, seinen Namen und Geschäftszweig in Verbindung mit seinem
Geschäftslokal, vom öffentlichen Verkehrsraume aus sichtbar, anbringt, ist
eigentlich selbstverständlich. Handelt es sich um Konkurrenzgeschäfte für
denselben Gegenstand, so ist es auch noch begreiflich, daß jeder sich be-
müht, die Aufmerksamkeit des suchenden Käufers auf sein Geschäft zu
lenken. Aber eher abstoßend als anlockend wirken vielfach die Wege, welche
die Reklame zu dem Zweck einschlägt, und vom Standpunkt des guten Ge-
schmacks ist es unverzeihlich, was einem in den Straßen einer modernen
Stadt in dieser Hinsicht zugemutet wird. Die Inkonsequenz unseres deut-
schen Durchschnittsmenschen in solchen praktisch-ästhetischen Fragen ist
unfaßbar! Zuerst beauftragt er einen hervorragenden Baukünstler mit dem
Entwurf eines architektonisch tadellosen, hervorragenden Bauwerks, dann er-
folgt dessen Ausführung ohne Ansehung der Kosten und wenn die unter Be-
rücksichtigung aller örtlichen Verhältnisse aufs feinste abgewogene Fassade
fertig dasteht und die gehoffte Wirkung ausübt — dann gibt derselbe Bau-
herr den Auftrag oder doch seine Zustimmung, daß die geschliffenen oder
polierten Steinflächen mit Aufschriften in Ölfarbe oder mit aufgeklebten
Papierplakaten bedeckt werden, daß quer über die feinen Architekturglieder
hinweg große Wachstuchfirmen auf Holzlatten gespannt werden, daß jede
ruhige Gebäudefläche zur Reklametrommel mit Schrift und Bild gemacht
wird, ja daß selbst die Dachfläche, wo das gemarterte Auge Ruhe zu finden
hofft, mit Hilfe von Eisengerüsten, Drahtnetzen und Beleuchtungskästen
auch noch bei der marktschreierischen Reklame mitwirken muß!
Ähnlich verhält es sich aber auch mit modernen Geschäften, die in
alten Gebäuden eingerichtet werden. Es gibt deren viele — es sei nur an
Leipzig, Magdeburg, Braunschweig erinnert — die in der Architekturgeschichte
mit Ruhm genannt werden. Der Besitzer glaubt es seinem Ruf als ^ge-
bildeter Mensch« schuldig zu sein, gleichfalls für das »wertvolle Altertum«
zu schwärmen; aber das hindert ihn keinen Augenblick seine Zustimmung
zu erteilen, wenn ein »feiner« Mieter grade am herrlichsten Teil der alten
Fassade, etwa vor dem kunstvollen Erker, ein scheußliches Firmenschild
anbringen, oder sonst seinen Kram an einem Ort und in einer Weise
ankündigen will, daß die prächtige Architektur entstellt und verdeckt wird.
Architekt W. Dietrich hat für seine verdienstvolle Dissertation »Beiträge
zur Entwicklung des bürgerlichen Wohnhauses in Sachsen«*) eine große
Anzahl der kunsthistorisch bedeutsamsten Fassaden in Dresden und Leipzig
nach der Natur photographieren lassen; unter den Privathäusern sind da
nur verschwindend wenige, bei denen nicht der widerwärtige Firmenunfug
die ursprüngliche Wirkung aufs bedauerlichste schädigt; in einzelnen Fällen
(z. B. Klostergasse 9 in Leipzig) ist er geradezu empörend.
Das sind hübsche Zeugnisse für den Geschmack unsrer Zeit, die sie
sich da in unmittelbarer Verbindung mit den fein empfundenen Werken
unsrer Vorfahren selbst ausstellt! — Wir sprechen so viel von der An-
leitung und Erziehung des Volks und der Jugend zur Kunst; jeder Ge-
bildete« ist heute ein kompetenter Richter für sämtliche Kunstleistungen;
für die Verschönerung unsrer Städte ist kein Opfer zu groß; — verdient
denn die Straßenarchitektur gar keinen Schutz? Anstatt Jugend und Volk
zum denkenden und empfindenden Kunstgenuß anzuleiten, muß ja das Auge
und Gemüt durch solche Roheiten stumpf und gleichgültig werden, ja man
tut dem großen Publikum, das sich solches gefallen läßt, kein Unrecht, wenn
man sagt: Stumpfsinn und künstlerische Blindheit sind bei ihm schon vorhan-
den. — Und ein Geschlecht, das sich solche ästhetische Mißhandlung an seinen
herrlichsten Kulturzentren« gefallen läßt, ohne wie ein Mann gegen den
Unfug seine Stimme zu erheben, das will es unternehmen, unfertige oder
verfallene Bauwerke der Altvordern, Schlösser und Burgen, mit feinfühligem
Verständnis < und .begeisterter Hingabe« auszubauen und wiederherzustellen?
Wie ist der immer weiter um sich greifenden Schimpfierung unsrer
Straßenbilder durch den Reklameunfug vorzubeugen? — Eigentlich müßte
der gesunde Menschenverstand den Einzelnen davon abhalten, mitzutun,
denn wie Gurlitt ganz richtig bemerkt, wirkt der jetzige Wirrwarr von
Firmen auf das Auge ebenso tohuwabohumäßig, als wenn alle ihre Besitzer
gleichzeitig zu schreien anhüben. Auch der angeborene Schönheitssinn hielt
bisher, namentlich romanische Völker, davon zurück; eine Aufnahme aus
den Achtzigerjahren vom Graben in Wien zeigt fast nur ein aus dem Rahmen
fallendes Firmenschild; es trägt aber auch den Namen: Salomon Abeies.
In Paris war es zur Zeit des zweiten Kaiserreichs ganz selbstverständlich,
daß für jedes Privathaus von einiger Bedeutung ein bestimmter Architekt
als sachverständiger und künstlerischer Berater dem Besitzer zur Seite stand,
ähnlich wie der Hausarzt für dessen Familienglieder. Ohne dessen Gehör
wurden an der Fassade keine Änderungen vorgenommen und dieser Umstand
wahrte den Boulevards, trotz ihres intensiven Geschäftsbetriebs, jahrzehnte-
lang ihr vornehmes Äußere. Freiwillig werden sich unsre deutschen Haus-
besitzer einen künstlerischen Vormund nun freilich nicht aufladen, aber
vielleicht könnten sie von Baupolizei wegen dazu genötigt werden. Wenn
die Baupolizei wirklich berechtigt ist, den Fassadenentwurf zur Prüfung
und eventuellen Genehmigung einzufordern, so kann es ihr doch nicht gleich-
gültig sein, wenn die anfänglich gute Architektur dann durch geschmack-
lose Zutaten verdeckt, entstellt und ins Gegenteil verkehrt wird! Zumal diese
Zutaten mitunter bei Sturm oder Schnee eine beständige Gefährdung des
Straßenverkehrs bedeuten. Manchmal läßt sich übrigens durch rechtzeitige
Beratung die Absicht des Geschäftsmanns mit der Ansicht des Architekten
recht wohl vereinbaren, und immer sollte es dieser als seine Pflicht ansehen,
beim Entwurf einer Geschäftshausfassade gleich vom Anfang an genügend
große Flächen an geeigneten Stellen für Geschäftsfirmen zu planen. Getragen
werden sollten diese Bestrebungen von einer breiten Strömung, die alle
wirklich Gebildeten umfaßt und die, von der Presse unterstützt, praktisch
sehr wohl erzeugt und geleitet werden könnte. Ich denke an alle die Vereine
für Lokalgeschichte, Volkskunde, Heimatpflege und ähnliche, deren Aufgabe
es doch gewiß auch ist, bei dem lebenden und heranwachsenden Geschlecht
den Blick für das heute Entstehende zu schärfen und die Liebe zur Geburts-
stadt auch in dem Sinne zu pflegen, daß sie nicht zu einem einzigen Riesen-
ramschbazar herabgewürdigt wird. Was haben denn all die Anerkennungen
und Preise auf Kunst- und Weltausstellungen für einen Wert, wenn sich
im eignen Heim die Barbarei so breit machen darf? O. Gr.
*) Vergl. Die Besprechung in Heft 10, 1904, unsrer Rundschau.
Tischplatte aus Mahagoni mit Polisanderrand,
Messing-, Elfenbein-, Rosenholz-und Perlmuttereinlagen.
Architekt: Carl Zetzsche
in Berlin.
2. Beilage zu Heft 5. 1905
Alleinige Inseratenannahme bei Rudolf Mosse, Annoncen-Expedition für sämtliche
Zeitungen Deutschlands und des Auslandes, Stuttgart, Berlin, Breslau, Dresden,
Düsseldorf, Frankfurt a. M., Hamburg, Köln, Leipzig, Magdeburg, München,
Nürnberg, Prag, Strassburg, Wien, Zürich,
Insertionspreis 25 Pf. für die
v viergespaltene Petitzeile. $
Masken in Ton geschnitten. Entworfen von Architekt E. Högg in Bremen.
Ausgeführt von Bildhauer Hans Latt in Berlin.
Beschaffenheit und Anbringung von
Geschäftsfirmen.
Daß ein Geschäftsmann, der auf den Zuspruch des Publikums ange-
wiesen ist, seinen Namen und Geschäftszweig in Verbindung mit seinem
Geschäftslokal, vom öffentlichen Verkehrsraume aus sichtbar, anbringt, ist
eigentlich selbstverständlich. Handelt es sich um Konkurrenzgeschäfte für
denselben Gegenstand, so ist es auch noch begreiflich, daß jeder sich be-
müht, die Aufmerksamkeit des suchenden Käufers auf sein Geschäft zu
lenken. Aber eher abstoßend als anlockend wirken vielfach die Wege, welche
die Reklame zu dem Zweck einschlägt, und vom Standpunkt des guten Ge-
schmacks ist es unverzeihlich, was einem in den Straßen einer modernen
Stadt in dieser Hinsicht zugemutet wird. Die Inkonsequenz unseres deut-
schen Durchschnittsmenschen in solchen praktisch-ästhetischen Fragen ist
unfaßbar! Zuerst beauftragt er einen hervorragenden Baukünstler mit dem
Entwurf eines architektonisch tadellosen, hervorragenden Bauwerks, dann er-
folgt dessen Ausführung ohne Ansehung der Kosten und wenn die unter Be-
rücksichtigung aller örtlichen Verhältnisse aufs feinste abgewogene Fassade
fertig dasteht und die gehoffte Wirkung ausübt — dann gibt derselbe Bau-
herr den Auftrag oder doch seine Zustimmung, daß die geschliffenen oder
polierten Steinflächen mit Aufschriften in Ölfarbe oder mit aufgeklebten
Papierplakaten bedeckt werden, daß quer über die feinen Architekturglieder
hinweg große Wachstuchfirmen auf Holzlatten gespannt werden, daß jede
ruhige Gebäudefläche zur Reklametrommel mit Schrift und Bild gemacht
wird, ja daß selbst die Dachfläche, wo das gemarterte Auge Ruhe zu finden
hofft, mit Hilfe von Eisengerüsten, Drahtnetzen und Beleuchtungskästen
auch noch bei der marktschreierischen Reklame mitwirken muß!
Ähnlich verhält es sich aber auch mit modernen Geschäften, die in
alten Gebäuden eingerichtet werden. Es gibt deren viele — es sei nur an
Leipzig, Magdeburg, Braunschweig erinnert — die in der Architekturgeschichte
mit Ruhm genannt werden. Der Besitzer glaubt es seinem Ruf als ^ge-
bildeter Mensch« schuldig zu sein, gleichfalls für das »wertvolle Altertum«
zu schwärmen; aber das hindert ihn keinen Augenblick seine Zustimmung
zu erteilen, wenn ein »feiner« Mieter grade am herrlichsten Teil der alten
Fassade, etwa vor dem kunstvollen Erker, ein scheußliches Firmenschild
anbringen, oder sonst seinen Kram an einem Ort und in einer Weise
ankündigen will, daß die prächtige Architektur entstellt und verdeckt wird.
Architekt W. Dietrich hat für seine verdienstvolle Dissertation »Beiträge
zur Entwicklung des bürgerlichen Wohnhauses in Sachsen«*) eine große
Anzahl der kunsthistorisch bedeutsamsten Fassaden in Dresden und Leipzig
nach der Natur photographieren lassen; unter den Privathäusern sind da
nur verschwindend wenige, bei denen nicht der widerwärtige Firmenunfug
die ursprüngliche Wirkung aufs bedauerlichste schädigt; in einzelnen Fällen
(z. B. Klostergasse 9 in Leipzig) ist er geradezu empörend.
Das sind hübsche Zeugnisse für den Geschmack unsrer Zeit, die sie
sich da in unmittelbarer Verbindung mit den fein empfundenen Werken
unsrer Vorfahren selbst ausstellt! — Wir sprechen so viel von der An-
leitung und Erziehung des Volks und der Jugend zur Kunst; jeder Ge-
bildete« ist heute ein kompetenter Richter für sämtliche Kunstleistungen;
für die Verschönerung unsrer Städte ist kein Opfer zu groß; — verdient
denn die Straßenarchitektur gar keinen Schutz? Anstatt Jugend und Volk
zum denkenden und empfindenden Kunstgenuß anzuleiten, muß ja das Auge
und Gemüt durch solche Roheiten stumpf und gleichgültig werden, ja man
tut dem großen Publikum, das sich solches gefallen läßt, kein Unrecht, wenn
man sagt: Stumpfsinn und künstlerische Blindheit sind bei ihm schon vorhan-
den. — Und ein Geschlecht, das sich solche ästhetische Mißhandlung an seinen
herrlichsten Kulturzentren« gefallen läßt, ohne wie ein Mann gegen den
Unfug seine Stimme zu erheben, das will es unternehmen, unfertige oder
verfallene Bauwerke der Altvordern, Schlösser und Burgen, mit feinfühligem
Verständnis < und .begeisterter Hingabe« auszubauen und wiederherzustellen?
Wie ist der immer weiter um sich greifenden Schimpfierung unsrer
Straßenbilder durch den Reklameunfug vorzubeugen? — Eigentlich müßte
der gesunde Menschenverstand den Einzelnen davon abhalten, mitzutun,
denn wie Gurlitt ganz richtig bemerkt, wirkt der jetzige Wirrwarr von
Firmen auf das Auge ebenso tohuwabohumäßig, als wenn alle ihre Besitzer
gleichzeitig zu schreien anhüben. Auch der angeborene Schönheitssinn hielt
bisher, namentlich romanische Völker, davon zurück; eine Aufnahme aus
den Achtzigerjahren vom Graben in Wien zeigt fast nur ein aus dem Rahmen
fallendes Firmenschild; es trägt aber auch den Namen: Salomon Abeies.
In Paris war es zur Zeit des zweiten Kaiserreichs ganz selbstverständlich,
daß für jedes Privathaus von einiger Bedeutung ein bestimmter Architekt
als sachverständiger und künstlerischer Berater dem Besitzer zur Seite stand,
ähnlich wie der Hausarzt für dessen Familienglieder. Ohne dessen Gehör
wurden an der Fassade keine Änderungen vorgenommen und dieser Umstand
wahrte den Boulevards, trotz ihres intensiven Geschäftsbetriebs, jahrzehnte-
lang ihr vornehmes Äußere. Freiwillig werden sich unsre deutschen Haus-
besitzer einen künstlerischen Vormund nun freilich nicht aufladen, aber
vielleicht könnten sie von Baupolizei wegen dazu genötigt werden. Wenn
die Baupolizei wirklich berechtigt ist, den Fassadenentwurf zur Prüfung
und eventuellen Genehmigung einzufordern, so kann es ihr doch nicht gleich-
gültig sein, wenn die anfänglich gute Architektur dann durch geschmack-
lose Zutaten verdeckt, entstellt und ins Gegenteil verkehrt wird! Zumal diese
Zutaten mitunter bei Sturm oder Schnee eine beständige Gefährdung des
Straßenverkehrs bedeuten. Manchmal läßt sich übrigens durch rechtzeitige
Beratung die Absicht des Geschäftsmanns mit der Ansicht des Architekten
recht wohl vereinbaren, und immer sollte es dieser als seine Pflicht ansehen,
beim Entwurf einer Geschäftshausfassade gleich vom Anfang an genügend
große Flächen an geeigneten Stellen für Geschäftsfirmen zu planen. Getragen
werden sollten diese Bestrebungen von einer breiten Strömung, die alle
wirklich Gebildeten umfaßt und die, von der Presse unterstützt, praktisch
sehr wohl erzeugt und geleitet werden könnte. Ich denke an alle die Vereine
für Lokalgeschichte, Volkskunde, Heimatpflege und ähnliche, deren Aufgabe
es doch gewiß auch ist, bei dem lebenden und heranwachsenden Geschlecht
den Blick für das heute Entstehende zu schärfen und die Liebe zur Geburts-
stadt auch in dem Sinne zu pflegen, daß sie nicht zu einem einzigen Riesen-
ramschbazar herabgewürdigt wird. Was haben denn all die Anerkennungen
und Preise auf Kunst- und Weltausstellungen für einen Wert, wenn sich
im eignen Heim die Barbarei so breit machen darf? O. Gr.
*) Vergl. Die Besprechung in Heft 10, 1904, unsrer Rundschau.
Tischplatte aus Mahagoni mit Polisanderrand,
Messing-, Elfenbein-, Rosenholz-und Perlmuttereinlagen.
Architekt: Carl Zetzsche
in Berlin.