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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 23.1907

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Heft 3
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Pfeifer, Hermann: Wechselwirkung von Zugang und Bauwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.44950#0036

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1907

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 3

auf eine abschüs-
sige Bahn ge-
raten sind.
Wenn die
»Architekto-
nische Rund-
schau« sich die
Aufgabe gestellt
hat, dem schaf-
fenden Archi-
tekten An-
regung nach den
verschiedensten
Richtungen hin
zu geben, so
werden vielleicht auch die folgenden Betrachtungen ihren
Lesern allerhand Nutzanwendungen für die moderne Bau-
kunst bieten. Mögen namentlich die in die Zeichnungen ein-
geschriebenen Bemerkungen zu weiteren selbständigen Be-
obachtungen anregen!
Mit dem Verständnis für den günstigsten körperlichen
Eindruck eines Bauwerkes — siehe Abb. 1 ist der Schlüssel
für die übrigen Zeichnungen gegeben. Meines Wissens ist
es Pennethorne gewesen, der in seinem vorzüglichen Werke
»The geometry and optics of ancient architecture, London 1878«
zuerst in wissenschaftlicher Weise auf die Bedeutung der
Stellung und körperlichen Wirkung von Bauteilen und ganzen
Gebäuden hingewiesen hat. Die Abbildungen 2, 3 und 4
sind im wesentlichen diesem Werke entnommen und nur durch
einige Einzeichnungen und Einschreibungen ergänzt; sie scheinen
im Zusammenhalt mit Abb. 1 besonders geeignet, den starken Ein-
fluß der Stellung des Zugangs gegenüber einem Monu-
mentalbau zu veranschaulichen, und zwar um so mehr, als die
herrlichen Bauten der Akropolis vonAthen (Abb. 2) wohl den
meisten Architekten einigermaßen bekannt sind. Ihre Schönheit
ist so oft mit begeisterten Worten gepriesen worden und ihre
Darstellung in jeder Kunstgeschichte zu finden, daß hier auf
Einzelheiten nicht eingegangen zu werden braucht.
Die Gruppierung von Parthenon, Erechtheion und Pro-
pyläen auf der Akropolis zu Athen*) ist ein Meisterwerk aller-
ersten Ranges und zeigt uns die Feinheit des griechischen
Geschmackes im glänzendsten Lichte:
Auf die höchste Fläche des ganzen Burgplatzes wurde
alles beherrschend, der Haupttempel der Athener, der gewaltige
Parthenon gestellt. Tiefer unten in wohlabge-


den dorischen
Giebeln des
Parthenon,
und mit ih-
ren ionischen
Säulen im In-
nern einen
Vorklang für
das ionische
Erechtheion.


TEMPEL DER. M1NERVM Polias ZU PE.1ENE.

— Durch ihre

Abb. 4.

Stellung führen die Propyläen, wie oben erörtert, den An-
kommenden so ein, daß dieser an der günstigsten Stelle
dem Haupttempel gegenüber eintreten muß: »Zwangläufige
Bewegung.« — Die Durchblicke zwischen den Säulen des
Torbaues steigern rahmenartig die Wirkung des Parthenons.
— Und endlich ist nicht zu unterschätzen der durch den tiefen

Torhallenbau erzielte Reiz des geheimnisvoll Verhüllenden.
Beim Emporsteigen zur Akropolis ist die Pracht des ganzen
Tempelplatzes versteckt; um so überraschenderwirkt schließlich
der Einblick in eine ungeahnte Herrlichkeit. — Es sei noch hin-
gewiesen auf die nahezu parallele Stellung von Parthenon,
Erechtheion und Propyläen, welche mit der feierlichen Würde
und Monumentalität sehr wohl harmoniert und eine ge-

wisse planmäßige Ordnung in die sonst freie Gruppierung
bringt.
Ich gebe zu, daß manches in dieser unvergleichlichen Grup-
pierung einem glücklichen Zufall zu verdanken ist. Aber die
freie künstlerische Phantasie und strenge verstandesmäßige
Ueberlegung lassen sich gerade bei so raffiniert geschickter
Anpassung an die Örtlichkeit nicht scharf voneinander trennen.
Die bewußte Ausnützung des »Zufalles« war hier eine wich-
tige Aufgabe der Architekten.
Die Teilnehmer an dem Festzuge der Panathenäen haben
sicherlich ohne viele Reflexionen dem bestrickenden Zauber

der Bauten und Statuen sich hingegeben. Und das sollte auch
heute noch jeder tun, der ein Kunstwerk genießen will, sei
er Laie oder Künstler. Aber an den schaffenden Archi-

tekten tritt, nachdem er in vollen Zügen die Schönheit eines
Bauwerkes in sich aufgesogen hat, die ernste Pflicht heran,
sich innerlich Klarheit zu verschaffen über gewisse Grundlagen
der jeweiligen ästhetischen Wirkung, wenn er nicht der Diener,
sondern der Herr des sogenannten Zufalls werden will.
Welche Fülle von segenbringenden Anregungen hat z. B.

messenem Abstande der graziöse, reich ge-
gliederte Bau des Erechtheions. Die Achse
der Propyläen, jener wundervollen Zugangs-
halle, wurde nicht schematisch oder akademisch
in die Hauptachse des Parthenons gelegt, son-
dern in Anpassung an die Örtlichkeit so zur
Seite geschoben, daß der Eintretende das
günstigste körperliche Bild von beiden Tempeln
erhielt; ein Eindruck von unvergleichlicher
Schönheit und Erhabenheit!
Die künstlerische Bedeutung dieses mo-
numentalen Torbaues, welcher im Altertum die
Bewunderung von ganz Griechenland erregte,
ist eine mehrfache: Er betont den Zugang zu
dem geweihten Tempelbezirk und bereitet
würdig vor auf die weihevolle Stimmung des
festlichen Gottesdienstes. Die Säulenhalle der
Propyläen ladet ein zum Eintreten und bildet
mit ihren dorischen Giebeln ein Vorspiel zu

*) Vorzüglich dargestellt und erläutert sind diese
Bauten in »J. Bühlmann, Die Architektur des klassischen
Altertums und der Renaissance. Band I.« Die Be-
ziehungen zwischen dem Schmuck des Parthenons und
dem Leben der Hellenen, die Nah- und Fernwirkung,
den Maßstab des Ornamentes und die Kraft des Re-
liefs etc. habe ich in meiner »Formenlehre des Orna-
ments« (Handbuch der Architektur, 1. Teil, III. Band)
ausführlicher behandelt.


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