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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 23.1907

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Heft 3
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Pfeifer, Hermann: Wechselwirkung von Zugang und Bauwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.44950#0037

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1907

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 3

Camillo Sitte*) dem modernen Städtebau
gegeben, indem er den scheinbar zu-
fälligen Schönheiten in der Anlage der
alten Städte auf den Grund zu gehen
suchte.
So können wir aus dem vergleichen-
den Studium der Wechselwirkung
von Zugang und Bauwerk bei den
alten Griechen und Römern — ebenso
bei allen übrigen Völkern — auch für
den modernen Monumental- und Wohn-
hausbau reichen Nutzen ziehen.
Die Altis von Olympia (Abb. 5) gibt
in dieser Beziehung mancherlei Anregung
zu selbständigem architektonischen Den¬
ken. Wer eigenen Geist und ein starkes
Heimatgefühl hat, der wird auch Gedanken
aus einer fremden Sprache in seine Mutter-
sprache zu übersetzen und darin weiter-
zubilden wissen. Hat nicht Shakespeare
manchen Stoff den alten Klassikern und
den Italienern entnommen und doch ganz Neues, für seine
Landsleute Verständliches geschaffen?
In der römischen Tempelanlage zu Baalbek**) (Abb. 6)
macht sich das Bestreben nach prunkvolleren, fast theatralischen
Effekten bemerkbar. Die Stellung des römischen Tempels ge-
nau in der Hauptachse des Zuganges ist mehr akademisch auf
strenge Symmetrie berechnet, als die von den Griechen bevor-
zugte, künstlerisch feinsinnigere Anordnung mit der seitlichen
Verschiebung. Durch die Säulenhallen der Vorhöfe wird die
Front des großen Tempels zu Baalbek zwar reicher eingerahmt;
diese bietet aber beim Eintritt ein mehr kulissenartiges, nicht
so körperlich wirkendes Bild, als es z. B. der Parthenon tut,
welcher von den Propyläen aus gesehen die längere Säulen-
reihe der Seitenansicht in interessanter perspektivischer Ver-
kürzung neben der weniger verkürzten reicheren Giebelfront
zeigt und dadurch räumlich um so bedeutender wirkt. Durch
die an sich imposanten Vorhöfe mit ihrer ruhigen Zusammen-
schließung wurde von den Römern allerdings ein nicht zu
unterschätzender künstlerischer Ausgleich geschaffen.
In Abb. 7 ist der charakteristisch gestaltete Zugang zur
Villa di Papa Giulio, einem berühmten Bau der Renaissance,
erläutert.
Endlich sind in den Abb. 8 u. 9 noch zwei Beispiele von
mittelalterlichen Anlagen der Zugangsstraßen zu Kirchen und
Marktplätzen dargestellt. Wer sich einigermaßen geübt hat,
aus dem Stadtplan die für gute Stadtbilder wirkungsvollen
Gruppierungen herauszulesen, wird auf den ersten Blick er-
kennen, welche Fülle von malerischen Bildern sich z. B. von
allen Zugangsstraßen zum Hagenmarkt in Braunschweig (Abb. 8)
ergibt; von welcher Seite man auch kommen mag, immer ragt die
Katharinenkirche mit ihren hohen Westtürmen schmückend in
das Straßenbild herein und erscheint durch ihre Schrägstellung
überall körperlich. Es würde hier zu weit führen, auf die
Schädigung der künstlerischen Wirkung der Katharinenkirche
und des Hagenmarktes durch den Abbruch des alten, im Plane
punktierten Theaters näher einzugehen.
Die Bilder des Altstadtmarktes zu Braunschweig (Abb. 9)
sind so allgemein
bekannt, daß hier
diePlanskizze ge-
nügen wird, um
auf die ästheti-
*) C. Sitte, Der
Städtebau nach sei-
nen künstlerischen
Grundsätzen. Wien
1889.
**) Vergl. Bühl-
mann, Der römische
Tempelbau (9. Heft,
II. Serie von Borr-
mann und Graul
»Die Baukunst«).




sehe Bedeutung der Zugänge hinzuweisen. Die Gebäude sind
in paralleler und rechtwinkliger Stellung mit seitlicher Verschie-
bung angeordnet.
Mögen die wenigen hier angestellten Betrachtungen An-
laß und Anregung geben zu weiteren selbständigen Beobach-
tungen und neuen Leistungen auf dem Gebiete der harmoni-
schen Kontrastwirkung von Zugang und Bauwerk. Dabei
wird der Blick stets auf das Charakteristische zu lenken sein.
Was für den einen Fall günstig ist, kann für einen andern
schlecht sein. Für ein schlichtes Landhaus genügt häufig die
Betonung des Zugangs durch ein geschnittenes Heckentor in
der Umzäunung. Selbst für ein Arbeiterhaus kann der Zugang
mit den billigsten Mitteln eine gewisse Poesie erhalten durch
eine Eingangslaube. Man denke ferner an den Torbogen in
der Hofmauer des Bauernhauses oder in der um die Kirche
sich ziehenden Kirchhofsmauer, an die zu Schutz und Trutz
erbauten doppelten Tore der Burgen und an die Fallbrücken
davor, an die Torbauten und Pförtnerhäuser der Klöster,
Schlösser und Parkanlagen! Die notwendige Einfriedigung er-
gänzt in der Regel den Torweg und das Gebäude zu einem
vollen Dreiklang und kann deren Zusammenstimmung mit der
Umgebung vermitteln.
Oder denken wir an die alten Stadttore! Wenn wir auf
unseren Wanderungen durch die deutschen Gaue einem mittel-
alterlichen Städtchen uns nähern, so erblicken wir aus weiter
Ferne die Türme der Kirche und vielleicht den Giebel des
Rathauses, emporragend über die Dächer der Bürgerhäuser.
Kommen wir dann in die Nähe der Stadtmauer, so verschwin-
den jene wieder, dagegen steigt der Torturm empor; durch das
alte Stadttor öffnet sich ein malerischer Durchblick in die
krummen Gassen mit ihren schiefen Giebeln und traulichen
Erkern, und erst nach mancher Biegung gelangen wir zum
Marktplatz und stehen dann überrascht vor Kirche und Rathaus.
So war der Zugang in den alten Städten in selbstver-
ständlicher Weise zu einem Kunstwerk geworden. Können
wir ähnliches von den Zugängen zu den modernen Städten
sagen?
Mit raffinierter Meisterschaft sind nicht selten die Zugänge
zu den auf steiler Höhe liegenden katholischen Wallfahrts-
kirchen angelegt: Die 14 Kreuzwegstationen, an denen Gebete
verrichtet werden, bilden in dem beschwerlichen Anstieg wohl-
tuende Ruhe-
punkte; eine Bank
unter Bäumen
oder eine schüt¬
zende Kapelle
ladet zu kurzer
Rast ein. So
gelangt man,
ohnezu ermüden,
selbst zu be-
trächtlicherHöhe
empor. Eine der
schönsten Trep¬
penanlagen die¬
ser Art mit Platt-


Abb. 9. Martinikirclie, Altsfadtrathaus und Gewandhaus zu
Braunschweig. Parallelstellung und seitliche Verschiebung.


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