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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 23.1907

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Heft 6
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Streit, Hans: Über Raumkunst und Raumstudium
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https://doi.org/10.11588/diglit.44950#0060

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1907

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 6

d:.

Betonbrücke über die Wallstraße in Ulm. Entwurf und Ausführung: K. Württ. Staatseisenbahnverwaltung
unter Oberleitung von Oberbaurat H. Neuffer in Stuttgart.
Architekt: Paul Bonatz daselbst.


••
Uber Raumkunst und Raumstudium.
Von Hans Streit in Stuttgart.

^as steti^e Fortschreiten der modernen Architektur
objektiv verfolgt, wird die wachsende Gestaltungskraft
der Architekten als Raumkünstler anerkennen. Es ist
eine Errungenschaft der letzten 20 Jahre, daß der Frage der
Raumgestaltung wieder das Verständnis entgegengebracht wird,
welches alle großen Kunstperioden ausgezeichnet hat. Wäh- [
rend eines halben Jahrhunderts war der Raum den Architekten
nichts andres, als eine Funktion äußerer Zufälligkeiten. Heute
sind wir auf dem Wege, wieder Raumkünstler zu werden, i
Räume von künstlerischem Wert zu schaffen. Ich sage aus-
drücklich: wir sind erst auf dem Wege dazu, denn die Raum-
kunst ist vorerst die Kunst einzelner, sie ist noch nicht All-
gemeingut geworden. Sie bricht sich auch langsamer Bahn,
als die Kunst der Außenarchitektur. Versuchen wir die
Ursachen zu erkennen.
Die Raumkunst stellt mannigfachere Anforderungen an
das Können des Architekten, als die Kunst der Außenarchi-
tektur; in erster Linie verlangt sie als Grundlage das größte
Vorstellungsvermögen.
Der Raumkünstler hat vielerlei Fragen zu lösen; er hat mit
der absoluten Größe, der Form, den Verhältnissen, mit dem
Material, der Beleuchtung — sowohl natürlicher als künst-
licher — und mit den Farben zu rechnen. Die Lösung dieser
Fragen aber ist bedingt durch Zweck und künstlerische Be-
stimmung des Raumes. Man wird einwenden, alle diese Fak-
toren habe der Außenarchitekt auch zu berücksichtigen. Ge-
wiß; je vollkommener er ihnen gerecht wird, je harmonischer
die einzelnen Lösungen zusammenklingen, desto bedeutender
wird der Wert seiner Schöpfung.
Wenn wir trotzdem häufiger künstlerisch durchgebildeter
Außen- als Innenarchitektur begegnen, so hat das verschiedene
Gründe. Einmal hängt es mit der menschlichen Schwäche
zusammen, in erster Linie da etwas zu leisten, wo es von
vielen gewürdigt wird. Die Fassade sieht jeder, der vorbei
geht; wie es innen aussieht, das wissen nur die wenigen, die
im Hause verkehren. Die Hauptschuld an solchem äußeren
Schein trifft ja wohl die Bauherren. Andrerseits bildet das be-
ständige Betrachten und bewußte oder unbewußte Studium
von Fassaden, Baugruppen und Straßenbildern das Auge des
Architekten. Dieser bekommt allmählich eine gewisse Routine.
Für den Innenarchitekten liegen die Verhältnisse weniger
günstig. Unsere Wohnräume, also diejenigen Räume, die am
nachhaltigsten auf uns einwirken, zeigen im allgemeinen nur,
wie man es nicht machen soll. An künstlerisch durchgebil-
deten, ja vollkommenen Wohnräumen fehlt es zwar nicht, aber
sie sind Ausnahmen anstatt Regel. Was an Versammlungs-
räumen, Sälen u. s. w. während der letzten Jahrzehnte ge¬

schaffen wurde, ist größtenteils das Ergebnis empfindungs-
loser Schablone.
Kein Wunder also, wenn wir den Aufgaben der Innen-
kunst unbeholfener gegenüberstehen; es fehlt uns eben an
der praktischen Erfahrung, an der Übung des Auges und
vielleicht nicht zuletzt an der Vorstellungskraft, die Wirkung
der zu schaffenden Räume uns im Geiste lebendig zu ver-
körpern. Und das ist doch des Pudels Kern. Mit Grund-
| rissen, geometrischen Ansichten und Perspektiven ist das
wenigste getan. Letztere sind so häufig nichts anderes als
Selbstbetrug. Solche Mittel können uns wohl zufällig zu
künstlerischen Wirkungen verhelfen; der Architekt soll aber
nicht bloß zufällig etwas Ganzes schaffen, sondern durch Be-
herrschen und bewußtes Ausnützen seiner Mittel. Damit soll
auch gesagt sein, daß nicht bloß Repräsentationsräume, Wohn-
zimmer, Eßzimmer u. s. w. Anspruch auf künstlerische Durch-
bildung haben; vielmehr bedürfen auch Neben- und Verbin-
dungsräume der Liebe und Sorgfalt des Künstlers. Gerade
diese Nebenräume sind viel wichtiger, als oft angenommen
wird; ihre künstlerische Bedeutung liegt darin, zu vermitteln
und auszugleichen und so die übrigen Räume zu einem ab-
geschlossenen, harmonischen Ganzen zu vereinigen. Als solche
Räume sind zu betrachten: Treppenhäuser, Flure, Vorplätze,
Gänge, Garderoben u. s. w. Zweckmäßigkeit, gute Verhält-
nisse, Einfachheit und Maßhalten mit den dekorativen Elementen
sollen solche Räume auszeichnen.
Die beste Würdigung finden die Nebenräume im Villen-
bau, weil der Architekt durch das naturgemäße Ineinander-
übergehen der einzelnen Räume gezwungen wird, die Neben-
räume in engere Beziehung zu den Haupträumen zu bringen.
Am ungünstigsten sind die Verhältnisse beim Miethaus. Die
Unmöglichkeit, hier Räume von guter Wirkung zu erzielen,
ist oft schon durch die Grundrißanlage begründet. Enge
Treppenhäuser, winklige Vorplätze, lange Gänge bedürfen der
besonderen Sorgfalt des Architekten. Aber da heißt es ge-
wöhnlich: man wohnt im Zimmer; also wenn die Zimmer
reich, oft überreich ausgestattet sind, dann ist alles getan.
Das ist ein Irrtum. Der erste Eindruck prägt sich tief ein,
und der Vorplatz ist das erste, was wir von einer Wohnung
sehen. Und wie kalt mutet es uns an, wenn wir zur Verbin-
dung der Räume einen langweiligen Gang zu durchgehen
haben, einen Raum, der keinen höhern Anspruch erhebt, als
ein nüchternes Mittel zum Zweck zu sein. Was diesen Räumen
not tut, ist die Sorgfalt und Liebe des Architekten, die Liebe
nämlich, die aus wenigem viel zu machen, die aus dem Not-
wendigen künstlerische Werte zu gewinnen versteht.
Den Haupträumen wird schon mehr Aufmerksamkeit zu-

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