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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 23.1907

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Heft 8
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Haupt, Albrecht: Von germanischer Baukunst, [3] ; II. Ältester Holzbau
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https://doi.org/10.11588/diglit.44950#0074

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1907

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 8

2. Brandmauern in Gelnhausen. 13.—15. Jahrh.


alten Kunst, wenn auch nur ihrer letzten Sprößlinge. Aber es
scheint, als ob kein Bauwerk dieser Art fünfhundert Jahre über-
leben könne, und als ob die gierige Flammenzunge nach einem
ehernen Gesetze alles, was wirklich solches Alter glücklich
erreicht hat, zuletzt doch noch verschlingen müsse, wenn nicht
schon die Welle des wechselnden Zeitgeschmackes und der
unverständige Haß des Philisteriums gegen das Ehrwürdige es
hinwegspülte.
So rechnen wir die frühesten uns bekannten Holzbauten

der mittleren »gotischen« Zeit zu, dem 15. Jahrhundert oder
vielleicht noch dem Ende des 14., nicht älterer Zeit.
Die uns hier vor allem beschäftigende Frage: wie mögen
aber die Holzhäuser der romanisch genannten Periode aus-
gesehen haben? scheint schon gar nicht mehr zu beantworten.
Kein Balken ist uns davon geblieben, wie wir glauben müssen.
Und die ältesten »gotischen« Holzhäuser sind, auch nach
Schäfers und Essenweins Forschungen, recht wenig interessant.
An sich hat die magere, aus Frankreich stammende reine
Konstruktionsform der Gotik wirklich hierin kaum etwas An-

ziehendes. Und wenn es richtig ist, was jene sagen, daß diese
ältesten Häuser nicht einmal eigentliche Vorkragungen der
Stockwerke kannten, sondern als Hauptkonstruktionsstützen
mächtige aufgerichtete Stiele hatten, die durch die Stockwerke
hindurchgingen, und in welche die Querbalken für die Decken
einfach einzeln mit langen Zapfen eingesteckt wurden, um mit
Keilen daran festgehalten zu werden, dann ist diese Bauweise
im Grunde tatsächlich recht primitiv und roh und steht nicht
entfernt auf der Höhe derjenigen der folgenden Jahrhunderte.
Die Schlußfolgerung, daß die nächst vorhergehende Art noch
primitiver und weniger anziehend gewesen sei, die gezogen
werden kann, hat also scheinbar alles für sich. Das sogenannte
»älteste« Haus zu Quedlinburg (Abb. 1), der uralten Kaiserstadt
am Harz, mag dafür ein Beispiel sein. Aber — zum Glück
haben sich hier selbst die Klugen ein weniges getäuscht, und
die Schlußfolgerung ist erfreulicherweise falsch. Es gibt doch
noch Zeugen, und zwar steinerne, unverbrennliche, die von der
früheren, sogar der romanischen Holzbaukunst deutlich Zeugnis
ablegen. Das sind in unsern ganz alten Städten die ersten
Brandmauern zwischen den Häusern. Diese unscheinbaren

Werke, reine Arbeiten der Notdurft, haben nicht nur unzählige


5. Gelnhausen. 14. Jahrh.

Geschlechter der Menschen, sondern auch
verschiedene Generationen der Häuser ent-
stehen und in feuriger Lohe wieder ver-
gehen sehen und sind allein stehen geblieben.
Die ältesten dürften bis ins 12.Jahrhundert
reichen.
Solche Brandmauern sind an sich zu-
nächst weiter nichts als die Beweise dafür,
daß in jenen Städten, in denen sie auftreten,
schon vor alters gewaltige und wiederholte
Feuersbrünste den Schutz gegen Weiterver-
breitung der Brände dringend notwendig
machten. Und da war bei den so ganz un-
zureichenden Löschvorrichtungen kein andres
Hilfsmittel, als — wollte man die herge-

brachte Holzbauweise nicht ver-
lassen — die Errichtung möglichst
dicker Steinwände zwischen je zwei
benachbarten Häusern. Ganz sicht-
bar hat gesetzliche und zwingende
Bauvorschrift in vielen Fällen für
ganze Straßenzüge die Erbauung
derartiger Trennungsschutzwände
befohlen, denn öfters weisen solche
in größerer Zahl völlig gleiche Ar-
chitekturformen und Maße auf. Ge-
wiß waren vorher durch ungeheuren
Brand Straßen, ja Städte in Asche
gesunken, und ihre Neubebauung
war dann nach so bitterer Erfahrung
nach ganz denselben baulichen
Grundsätzen, vor allem gegenüber
der Feuersgefahr, erfolgt.
Das geschah natürlich zu sehr
verschiedenen Zeiten: alte Städte


3. Gelnhausen. 14. —15. Jahrh.

machten solche Erfahrung früh, andre später, und so haben
wir heute noch systematisch angelegte Brandmauern aus dem
12., 13., 14., 15. und 16. Jahrhundert und in den verschieden-
sten Formen. Von späterer Zeit, da der imitierte Palastbau
des Westens und Südens die alte Bürgerbauweise verdrängt
hatte, und die etwa noch erbauten Zwischenmauern sich als
formenlose Notdurft zwischen den gerade ansteigenden Ge-
bäuden verkrochen, brauche ich hier nicht zu reden.
Es ist natürlich, daß die ältesten großen Städte unsres
Vaterlandes am meisten davon erzählen müßten; aber kleinere
und jüngere geben oft, weil weniger durch fortwährendes
Bauen entstellt und besser erhalten, ein weit klareres Bild.
So bietet uns ein treffliches Beispiel das alte feine Reichs-
städtlein Gelnhausen, der Ort, wo der alte Barbarossa gerne
hauste, und die schönste Kaiserpfalz in deutschen Landen er-
wuchs. Kurz nach seiner Zeit füllte sich die wohlgelegene
Stadt, wie es scheint, ganz neu mit herrlichen Kirchen, unter
denen die wundervolle, leider seit der Herstellung nicht mehr
schieftürmige Marienkirche ein Prachtwerk ist, aber auch, jeden-
falls um die Wende des 12. Jahrhunderts einmal gründlich ab-
gebrannt, mit neuen Häusern nach einheitlichem Baugesetze,
denn zahlreiche noch stehende Brandmauern tragen den Stempel
der Bauzeit der genannten Kirche.
Es ist also klar und deutlich hier zu ersehen, daß die
ganze Stadt mit Ausnahme der Kirchen und Klöster und einiger
weniger monumentaler Gebäude, wie des noch stehenden
romanischen Rathauses und mehrerer stattlicher Steinhäuser,
ganz und gar aus Holzgebäuden bestand, die zu ihrem Schutze
gegen Feuersgefahr überall durch dicke steinerne Wände von-
einander geschieden waren.
Aber wie sahen diese ersten Häuser aus? Niemand weiß

es; vermutlich steht heute schon die zweite oder dritte Gene-
ration von ihnen zwischen den ersten Mauern, wenn nicht in
ihren verputzten Fachwerkfronten sich doch hier oder da ein
Rest aus ältester Zeit gerettet haben sollte. Vielleicht gibt uns
einmal später die heute trefflich geordnete Denkmalpflege, wenn
sie diese interessante Angelegenheit mit äußerster Sorgfalt ver-
folgt, doch noch Antwort hierauf.
Aber die Brandmauern selber, deren ich eine Reihe in
anspruchlosesten Gelegenheitskizzen hier anfüge, sagen uns

schon einiges, und zwar Dinge
von ganz erheblicherWichtigkeit.
Vor allem, daß die Holz-
häuser, die zuerst dastanden,
bereits in jedem Stockwerke vor-
gekragt waren, nicht wie jene
späteren »gotischen« in glatter
Vorderfront sich erhoben. Da
in Osnabrück sich gleichartige
Brandmauern aus dem ^.Jahr-
hundert vorfinden, so ist jene
Tatsache für die romanische


6. Gelnhausen. 14. Jahrh.

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