Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 24.1908

DOI Heft:
3. Heft
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27776#0029
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1908

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 3

Kgl. Landgericht zu Dresden. Kgl. Landbauamt Dresden I.

Erker. Entwurfsbearbeitung und Leitung der Bau-

ausführung : Landbauinspektor Kramer.

Oberleitung: Finanz- und Baurat Gläser.

Kgl. Landgericht und Gefängnisgebäude.

Es mag der Mangel am äußerlichen Hervortreten sozialer und kul-
tureller Entwicklung gewesen sein, verbunden mit dem Überwiegen philo-
sophisch-ästhetischer Spekulation und dem Fehlen eines allgemeinen kraft-
vollen Kunstgefühls, welcher die Baukunst des neunzehnten Jahrhunderts
allmählich zu einer beklagenswerten Veräußerlichung führte. Im schein-
baren Auffrischen historischer Stile suchten die Bauenden ihr bestes Können
zu verwerten. Die Frage »in welchem Stile sollen wir bauen«, wurde
zwar zweck- und resultatlos, aber mit allergrößtem Ernste und Eifer be-
handelt. Als dann die großen neuen Aufgaben infolge der Entwicklung
der Technik und des nachfolgenden allgemeinen sozialen Aufschwungs
kamen, da war das Bemühen immer noch, die neuentwickelten Grundrisse
und alle modernen Bedürfnisse in die Zwangsjacke der historischen Stile
zu stecken. Erst jetzt sehen wir wieder, daß ein Bau unbekümmert um
renaissancemäßige oder gotische Baumassen und Bauformen im ganzen
und im einzelnen aus dem Bedürfnisse, der Konstruktion, dem Materiale
zu entwickeln ist und daß die Überlieferung erst in letzter Linie mitsprechen
darf. Die leichter bewegliche Privatbaukunst findet zuerst Gesundung;
voran dem Zwange der Notwendigkeit folgend eine der schwersten Auf-
gaben: das moderne Geschäftshaus; dann auf englische Anregungen hin
das Landhaus, mit ihm, aber unabhängiger von England, die Wohnungs-
einrichtung. Nun geht es weiter, die großen und kleinen Verkehrsbauten
folgen, es beginnen auch staatliche und städtische Verwaltungsbauten sich
anzureihen. Während aber die meisten in freier Weise Anschluß an die
Heimatkunst suchten — am Stock (um nicht zu sagen an Krücken) geht
der Genesende leichter und lieber — ist nur hin und wieder einmal ein
Bau erstanden, der in Grundriß, Aufbau und Einrichtung selbständig auf
eigenen Füßen steht. Einen solchen haben wir vor uns! Ohne Rücksicht
auf überkommene Schemata: Vorlage, Rücklage, Mittel- und Eckbauten ist
hier mit heißem Bemühen ein Grundriß rein aus dem Zwecke entwickelt,
ein Aufbau klar als Bild des Inneren gegliedert und die Einrichtung streng
aus dem Gebrauche entwickelt. Vom Dresdener Hauptbahnhofe geht man
wohl nur eine Viertelstunde bis zu den Justizneubauten im Südviertel,
und doch welch weiter Weg von den Schauern der in Eisenblech aus-
gebildeten Palazzoarchitektur der Südseite des Bahnhofes bis zu den
schlichten Putzwänden am Münchener Platz!

Am Südende Dresdens, da wo schon die das Elbtal begrenzenden
Ränder anschwingen, erheben sich seit kurzem die neuen Gebäude für die
Strafrechtspflege. Mitsamt den Höfen bedecken sie zwei Drittel eines Bau-
blockes, der, zwischen Helmholtz-, George Bähr- und Abekenstraße liegend,
sich bis zum Münchener Platz erstreckt. An diesem liegt das Gerichtsgebäude
selbst mit dem vom Publikum benutzten Haupteingange. Östlich mit vier
Kreuzflügeln folgt das Gefängnis. In den Winkeln zwischen den Flügeln
bleiben Höfe für die Gefangenen und die Wirtschaftszwecke übrig. An
den Straßen, bezw. der Nachbargrenze stehen vier Gebäude: Verwaltungs-,
Wirtschafts- und Maschinenhaus, und ein Flügel des Gerichtsgebäudes.
Sie reichen nahe an die Flügelköpfe des Gefängnisses heran, sind mit
diesem durch ausgesetzte Bögen, welche Gänge tragen, verbunden. So
ist für den Anblick von der Straße das Gefängnis fast völlig gedeckt und
der Einblick in die Höfe verwehrt. Dadurch und durch entsprechende

Ausbildung der Schauseiten ist bei dieser Gebäudegruppe der Lage in
einem Stadtteile mit besseren Wohnungen Rechnung getragen. Im Ge-
richtsgebäude sind untergebracht: in dem Teile zunächst dem Gefängnisse:
die Behörden, welche mit den Untersuchungsgefangenen zu tun haben,
sich diese vorführen lassen müssen, nämlich die Untersuchungsrichter-
abteilung des Landgerichts, die Rechtshilfeabteilung des Amtsgerichts und
die Staats- und Amtsanwaltschaft. Die andre Seite am Münchener Platz
und der Straße füllen in zur Zeit zwei einen Hof abschließenden Flügeln
die Beamten der urteilenden Gerichtsbehörden, nämlich der amtsgericht-
lichen Schöffenabteilung und der Strafkammern des Landgerichts; gleich
am Eingänge ist die Kasse und darüber das Präsidium. In einem zwischen
den Höfen anschließenden, allseitig für die Beamten zugänglichen Mittelbau
liegen die Verhandlungssäle, je 2—3 in 3 Geschossen; vorn in einem
verbindenden Flügel im Obergeschosse der große Schwurgerichtssaal. Zu
•jedem Saale gehört eine Gruppe von Nebenräumen.

Wie durch diese Anordnung der Verkehr des Publikums zusammen-
gehalten und vereinigt und von dem der Beamten abgetrennt ist, wie eine
klare Übersichtlichkeit und größtmögliche Verkehrsbequemlichkeit für das
Publikum in origineller Weise erreicht ist, das erscheint ganz meisterhaft.
Es ist nur natürlich, beeinträchtigt aber den Wert des neuen Organismus
nicht im geringsten, daß Beamte und Publikum sich nicht gleich in den
ersten Tagen hineinfanden und aus ihren kleinen Schmerzen große Klage-
lieder in der Dresdener Tagespresse machten. Schon jetzt nach wenigen
Wochen mehren sich die Stimmen derer, die anerkennen, daß hier eine
ungewöhnliche Leistung vorliegt. Nur eines ist nicht zu verkennen: die
Aufgabe des alten Systems langer Korridore mit langen unbegrenzten
Zimmerfluchten und die dafür eintretende Gliederung in begrenzten Gruppen
läßt keine Verschiebungen in der Benutzung zu und auch nicht so leicht
eine Veränderung der Zweckbestimmung einzelner Räume oder Raum-
gruppen. Leider ist eine solche Veränderung erheblicher Art kurz vor
Fertigstellung und Übergabe des Baues doch eingetreten und hat den Wert
langjähriger geistiger Arbeit nicht zur Erkennung gelangen lassen. Große
Raumgruppen, die für einen ganz bestimmten Zweck angelegt waren, wurden
zuguterletzt einem andern Zweck dienstbar gemacht, und je zweckmäßiger
sie erst gewesen wären, um so unzweckmäßiger mußten sie nun werden.
Die daraus sich ergebenden Störungen können nicht wohl dem Architekten
zur Last gelegt werden.

Ein Besuch des Gebäudes wird uns mit seiner Gliederung am besten
bekannt machen. Eine breite Freitreppe ladet zum Eintritt ein, eine ge-
räumige Vorhalle öffnet sich weit allem Volke, das Gerechtigkeit sucht.
Dann lassen uns die zur Abhaltung von Kälte und Zug zweckentsprechend
kleineren Türen in eine Halle, deren Beleuchtungsverhältnisse und schlichte
Ausstattung: Fußboden von Granitplatten, Pfeiler und Wände von Kalk-
steinquadern, darüber rauher, graugetönter Putz, auch an der Wölbung,
und deren Gesamtform eine ganz charakteristische Stimmung haben. Sie
dehnt sich nach links, ist beiderseits an den Längswänden von Treppen
begleitet, über welche das Licht eintritt. Inschriften, welche auf einge-
meißeltem Goldgründe an den Quadern auffallen, machen viele Fragen
überflüssig; sie sagen, daß man über diese Treppen zur Untersuchungs-
richterabteilung, zur Staatsanwaltschaft und zum Schwurgerichte gelangt.
Hat man diesen Weg einmal eingeschlagen, dann ist ein Fehlgehen aus-
geschlossen. Beim Eintritt aber — ehe unser Blick die Halle durch-

Gefängnisgebäude beim Kgi. Landbauamt Dresden I.

Kgl. Landgericht zu Dresden. Entwurfsbearbeitung und Leitung der Bau-

Einfahrt ausführung: Landbauinspektor Kramer.

Oberleitung: Finanz- und Baurat Gläser

19
 
Annotationen