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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 24.1908

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12. Heft
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1908

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 12

2) Denkstein von Herlufmagle
(Seeland).

Betrachtungen über germanische Kunst
im allgemeinen und über altdänische
Grabmalkunst im besonderen.

Von Richard Haupt.

4) Liegender Denkstein von der Kirche zu Klim; jetzt im Kopenhagener Museum.

10) Grabstein aus Westerwig.
Inschrift: AO.

Es ist ein großer und schöner Gedanke, in der Welt
allenthalben, wohin germanische Volkskraft gedrungen,
die Spuren ihrer Kunst zu suchen, das Gemeinsame
auszufinden, auszusondern von dem Allgemeinen, und so immer
mehr für sich rein darzustellen, was das Germanentum seiner
Eigenart gemäß aus sich selbst hervorgebracht hat. Es ist dafür
eine Forschung auf unendlich weitem Gebiete erforderlich, und
da uns hier Literatur und Geschichte keine genügenden Anhalte
geben, muß ein ahnendes künstlerisches Eindringen und Nach-
fühlen zur Erkenntnis leiten. Drum ist die
Aufgabe äußerst schwer, und es kann nur
dem aufopferndsten Fleiße und dem treue-
sten, selbst nachschaffenden Forscher ge-
lingen, die zerstreuten Spuren so aus dem
Fremden auszusondern und unter
sich zu verbinden, daß sie sich in
die Reihen vollständiger, einheit-
licher Bilder sammeln lassen.

Die Aufgabe ist besonders da-
durch schwierig, daß wir dem
deutschen Wesen bei solcher For-
schung doch eigentlich nirgends
rein begegnen; daß sich vielmehr
seine Kultur, nicht der Eiche son-
dern dem Efeu gleich, immer nur
hat erheben und entfalten können
i'i Berührung mit den Kulturen
andrer, und zwar, nach dem Gange
der Weltgeschichte, mit solchen,
die bereits auf erheblicher Höhe
gestanden haben und eine große
ältere Entwicklung damals hinter sich hatten, als der deutsche
Geist, empfänglich und bildsam, sie zu erfassen und zu durch-
dringen strebte. Aber auch weiterhin sind die Gebiete, in denen
sich das entwickeln und entfalten sollte, was wir als germani-
sche Kunst erkennen, nicht abgegrenzt geblieben, sondern sind
e>ner fortwährenden Wechselwirkung mit jenen alten Kulturen,
Ur|d dem Einfluß der neueren ausgesetzt gewesen. So hat der
Reiche, für alles Neue unendlich empfängliche Sinn des Ger-
manen nie die gerade Linie eigener Entwicklung in ununter-
brochener Linie einhalten können.

Wir müssen aber auch, wollen wir nicht in Gefahr des
Irrtums fallen, dem Gedanken gänzlich entsagen, es sei zu irgend

3) Liegender Grabstein von der Kirche zu Grenaa.

einer Zeit, etwa noch vor jenen Berührungen, eine allen Ger-
manen gemeinsame bodenständige, hoch entwickelte Kunst vor-
handen gewesen, und ihren Spuren hiernachzugehen. Solche
hat es niemals gegeben.

Wir dürfen vor solcher Einräumung nicht zurückschrecken,
als träten wir damit dem Germanentum zu nahe. Nicht einmal
die Griechen haben eine wirklich originale Kunst aus sich ent-
wickeln können. Sie fußen überall auf derjenigen der älteren
Völker und der Völker, mit denen sie rings in Berührung ge-
kommen sind. Von diesen hat ihr beweglicher,
gelehriger Geist aufgenommen, was in seinen
Bereich fiel. Nachher freilich haben sie das
Glück gehabt, sozusagen ungestört sich selbst
leben zu können und haben aus jenen Ele-
menten, sie mit der Eigenart ihres
Geistes durchdringend, ihr Eigenes
gebildet; ohne zu viele Hemmung
und überwältigende Beeinflussung
haben sie unter Verhältnissen, wie
sie die Weltgeschichte nie ebenso
günstig geboten hat, in allen Rich-
tungen des geistigen und künst-
lerischen Lebens ihrem Vermögen
Form und Ausdruck gegeben. Ihre
Tempel, ihre Statuen, ihre Trauer-
spiele erscheinen als ein-
heitliche Erzeugnisse ihrer
Kultur.

Dies ist bei den Germa-
nen ganz anders. AusTheo-
dorichs Grabmale spricht
gewiß ihre Kunst; dies Werk konnte nur von deutscher Kraft
und deutschem Gefühle hervorgebracht werden, es ist also ein
deutsches Werk, und der Wormser Dom ist auch eines, wie es uns
Eduard Paulus in seinen köstlichen Bildern
aus Kunst und Altertum in Deutschland so
überwältigend schön schildert, ein Dichter
und Forscher, dessen tief- und hochstreben-
der urdeutscher Geist uns überhaupt an so
vielen Werken unsres Vaterlandes die deut-
sche Art erkennen lehrt. Und die Edda und
das Nibelungenlied sind deutsch; aber zu
erklären und innerlich zu erkennen sind doch
diese alle nur, indem wir zugleich bemerken,
wie viel Fremdes erst durchzuleben und zu
bewältigen war, ehe diese Früchte erwachsen
konnten. Denn es ist selbst das deutsche
Volksmärchen, diese unsre eigenste Schöp-
fung, keineswegs das Kind des werdenden

*) Die Bilder 2—31 und 34 sind aus J. B. Löfflers Werk
entnommen. Alle Beispiele sind, wo nicht anders angegeben ist, 6) Platte aus der Kirche
aus Jütland. zu Hundborg.

1) Denkstein über König Gorm den Alten und Königin Thyra zu Jellingen.
Nach J. Kornerups Zeichnung*).

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