Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 25.1909

DOI Heft:
Heft 4
DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:
Schellberg, Karl: Alte und neue Kunst: Vergleichende Reisebetrachtungen aus Italien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42077#0045

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1909

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 5

Alte und neue Kunst.

Vergleichende Reisebetrachtungen aus Italien.
Von Karl Schellberg, Kgl. Regierungsbauführer
Assistent an der Technischen Hochschule zu Aachen.

Brünnchen aus Florenz.
Aufnahme von Architekt
Karl Schellberg in Aachen.


Italien war immer das heiß ersehnte
Ziel der Geister, die der Kunst tiefste
Offenbarungen suchten. Jetzt er-
schließt der moderne Verkehr dessen
Herrlichkeiten bequem in wenigen Stun-
den, aber einst lag die Alpenkette wie
ein unübersteigbarer Wall davor, und es
gehörte volle Begeisterung und Ausdauer
dazu, die Schwierigkeiten einer Romfahrt
zu überwinden. Das heiß Erkämpfte
wurde dann auch tief durchlebt, denn
das Bekanntwerden mit Italien bedeutete
damals die Aufnahme einer Welt, von
deren Schönheit und geistiger Größe man
nur gehört, die deshalb in der Unmittel-
barkeit des Eindruckes überwältigte, und
als Frucht der Begeisterung erstand über-
all in deutschen Landen italienische Kunst.
Ist heute noch der Künstler solch
tiefer Begeisterung fähig? Man möchte
es verneinen, nicht weil dem heutigen
Geschlecht die Begeisterungsfähigkeit
überhaupt abhanden gekommen, sondern
weil Anschauung und Ideengang völlig

andre geworden. Nach einer Zeit, die, überwältigt durch die

Klarheit und Größe der antiken Kunst, in deren Nachahmung

aufging, sehen wir heute als höchstes Ziel, Neues und Indivi¬

duelles zu schaffen, und in dem Maße wie dieser Gedanke
Oberhand gewann, sank die Wertschätzung für das historisch
Gewesene. Inwieweit das berechtigt ist, mag später unter-
sucht werden. Gerade Italiens Kunst ist uns sozusagen von
der Wiege an vertraut, mehr als das, was eigene heimische
Kunst in deutschen Landen Großes geschaffen; die reichen
Mittel moderner Reproduktionstechnik haben sein Bild fast
fix und fertig in unser Hirn projiziert. Es ist nicht mehr das
Neue, Unbekannte, das, von unsrer Phantasie geheimnisvoll
verbrämt, uns mit tausend Fäden zu sich zieht, uns antreibt,
den tiefsten Grund seines Wesens zu erfassen. Meist sind

Altes Gebäude in Orvieto. Aufnahme von Architekt Karl Schellberg
in Aachen.


früherer Zeiten — ja gerade bei ihnen — die feste und sichere
Aufnahme der Ideen der vorhergegangenen Generationen zur
Voraussetzung hatte, daß Individualität nicht Loslösung von
der Überlieferung, sondern kraftvolle, eigene Betätigung der-
selben bedeutet. Nur so bleibt die Entwicklung in gesunden
Bahnen und vor Verirrungen und Absonderlichkeiten bewahrt.
Hat die jüngste Kunstentwicklung das nicht bestätigt? Schon
sehen wir, wie nach dem Aufflackern eines schrankenlosen Indi-
vidualismus eine allmähliche Wandlung der Anschauungen sich
vollzieht. Die klassische Kunst bleibt der objektive Maßstab
für die Bewertung künstlerischen Schaffens, der Vergleich mit
ihr der Prüfstein, an dem wir erkennen, wie weit eine neue
Entwicklung den großen Grundgesetzen gerecht wird.
Wuchtig und kraftvoll lassen die Stätten klassischer Kunst
der Frühzeit wie des Mittelalters das Bild einer längst ver-
gangenen Zeit vor unsern Augen erstehen. Wir bewundern
das Riesengeschlecht, das in diesen Mauern wohnte, wo sich
Quader auf Quader in mächtigen, doch fein empfundenen Ver-
hältnissen türmen. Wie zwerghaft erscheinen uns dagegen die
Gebäude, die sich jetzt ihnen anlehnen, wie klein die Menschen,
die jetzt um sie wandeln!
Wenn wir auf die Riesentrümmer des Forum Romanum
hinabblicken, mag uns ein Gefühl der Kraftlosigkeit beschleichen
vor diesen Gigantenwerken, welche der Cäsarenwille dort ge-
schaffen, um die Natur in Schatten zu stellen. Bedenken wir
aber auch, daß die Tausende und Abertausende von Menschen-
kräften, die damals ungezählt für eine solche Aufgabe ver-

Kunstgenuß und -Erfassen davon
in hohem Maße abhängig. Oft auch
mindern die Wirkung kritische Ver-
gleiche: bald mit überschwenglichen
Vorstellungen der Phantasie, bald
mit Werken deutscher Kunst, die,
als Früchte italienischer Studien, uns
bedeutsamer vorkommen als ihre
Vorbilder. Gleichwohl verbleibt ein
Rest ungeahnt großer seelischer Ein-
drücke, die nur das persönliche Er-
lebnis zu vermitteln imstande ist.
Daß wir der klassischen Kunst
kälter, ich möchte sagen, objektiver
gegenüberstehen, ist erfreulich, in-
sofern darin die Befreiung von der
einstigen Befangenheit zum Aus-
druck kommt, die eine Weiterent-
wicklung der Kunst verhinderte. Als
neue wertvolle Errungenschaft er-
scheint uns die tiefere Erkenntnis
der allgemein künstlerischen Grund-
sätze jener großen Zeiten und das
davon ausgehende selbständige Su-
chen nach neuen Gedanken und
Formen. Wir lernen erkennen, daß
das selbständige Weiterschreiten
selbst bei den größten Meistern

Straßenbild aus Florenz. Aufnahme von Architekt Karl Schellberg in Aachen.


35
 
Annotationen