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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 25.1909

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Heft 8
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Städtebaufragen: die Idealpassage in Rixdorf
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https://doi.org/10.11588/diglit.42077#0072

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1909

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 8



Idealpassage in Rixdorf. Architekten: Willy & Paul Kind
Grüner Hof (3). in Rixdorf-Berlin.
Städtebaufrage n.
Die Idealpassage in Rixdorf.
So mancher praktische Fehlgriff, mancher auf Abwege
leitende künstlerische Irrtum in den neueren städtebau-
künstlerischen Bestrebungen beweist, daß die Grundlage jeder
organischen Entwicklung von Bebauungsweisen noch vielfach
verkannt wird. Nicht die Bauweisen, nicht die Stilformen,
weder historische noch moderne, vermögen unsre Stadterwei-
terungen oder durchgreifenden Neubebauungen mit lebendigem
Geiste zu erfüllen, sie einheitlich und wahr zu gestalten, daß
sie nicht mehr wie törichteTheaterkulissen oder als abschreckende
Zeugnisse von Unkultur und Protzentum um uns herumstehen.
Das beweisen uns die alten Städte, in denen die Bauten ver-
schiedenster Zeiten und Stile, hier in Fachwerk-, dort in Back-
stein- oder Werksteinausführung deshalb ein so wohltuend
einheitliches Gesamtbild geben, weil sie typische Lösungen
klar erkannter Bauaufgaben und damit der kennzeichnende
Ausdruck der jeweiligen Lebensbedürfnisse, der Tätigkeit und
Lebenskultur ihrer Erbauer und Bewohner sind.
Nach dem Bedürfnisse sind die Straßenzüge gelegt, die
Quergäßchen entstanden. Die Einteilung der Baublöcke und
die Tiefe und Breite der einzelnen Grundstücke entspricht
durchaus den Bauaufgaben, und wir können in der Bauge-
schichte genau verfolgen, wie einschneidende Veränderungen

Idealpassage in Rixdorf.

in der Lebensführung, in der Tätigkeit und den Wohnungs-
ansprüchen der Bewohner auch deutlich erkennbare Änderun-
gen in der Bebauungsweise, in der Gestaltung der Straßen-
bilder und Stadtviertel nach sich gezogen haben. Natürlich
hat bei so organischem Wachstum auch der Aufbau seine
innere, nicht äußerlich-stilistische Übereinstimmung behalten,
oder bei Veränderung der Grundlagen sinngemäße Wandlungen
erfahren, so daß die Harmonie der Verhältnisse, die auch in
abweichenden Schmuckformen und Zierweisen zu Tage tretende
einheitliche Baugesinnung die künstlerische Einheit des Ge-
samtbildes und das selbstverständliche Zusammenwirken der
verschiedenen Gebäudearten ergeben.
Warum nun reihen die neuen Bauten sich nicht folge-
richtig dieser einheitlichen Entwicklung an? Nach den unbe-
streitbaren Fortschritten in der Bautechnik, in der Befriedigung
der hygieinischen Anforderungen, wie all der mannigfachen,
früher unbekannten Bedürfnisse, die den Inbegriff modernen
Komforts bilden, müßten sie als fortschrittliche Weiterbildungen
die früheren Leistungen übertreffen. Daß sie trotzdem an Wirkung
im einzelnen, mehr noch in der Gesamtheit, vor allem aber an
wirklicher Zweckmäßigkeit, an vornehm-behaglicher Wohnlich-
keit und im weisen Maßhalten mit den architektonischen und
dekorativen Mitteln den alten Bauten empfindlich nachstehen,
kann unmöglich an einer so absolut geringeren Leistungs-
fähigkeit unsrer Architekten liegen. Weit mehr Anteil hat daran
wohl der nicht abzuleugnende Mangel an einer gleichmäßigen
und gefestigten innerlichen Lebenskultur, die zur Herausbildung
eines einheitlichen, künstlerisch reifen Stils unerläßlich ist und
auch durch die beste Arbeit der Architekten allein nicht ersetzt
oder hervorgezaubert werden kann. Aber auch das ist nicht
das wichtigste!
Die letzten Jahrzehnte haben eine solche Menge nicht nur
völlig neuer Aufgaben, sondern auch einschneidendster Ver-
änderungen der überlieferten Wohnungs- und Bebauungsweise,
ja der Lebensverhältnisse überhaupt, gebracht, daß von wirk-
licher Abklärung noch kaum die Rede sein kann, am wenigsten
von ausgereiften Bautypen, die den neuen Verhältnissen und
Anforderungen in jeder Hinsicht entsprechen. Solange es
aber daran fehlt, ist natürlich auch nicht daran zu denken, daß
bei der Aufstellung neuer Bebauungspläne, namentlich solcher
für größere Gelände mit verschiedener Bebauung, auf die
innere Übereinstimmung zwischen den mannigfachen Anforde-
rungen der Zweckmäßigkeit und der Schönheit in wirklich
großzügiger Weise schon durch die Aufteilung des Geländes
so nachdrücklich hingearbeitet werden könnte, wie es leicht
geschehen würde, wenn wir bereits mit ausgereiften Bautypen
wie in früheren Zeiten rechnen dürften. Auch darf man die
weitere Gefahr nicht unterschätzen, daß, je länger der Ausbau
eines solchen Bebauungsplanes dauert, desto sicherer auch das
jetzt als zweckdienlich und erfreulich Empfundene bald durch
die inzwischen fortschreitende Klärung der Baugedanken über-
holt wird. Das wird sich bei so rasch fortschreitender Ent-
wicklung, wie wir sie gegenwärtig erleben, natürlich nie ganz
vermeiden, aber doch in den mißlichen Einwirkungen erheb-
lich mildern lassen, geradeso wie der Widerstreit zwischen
der möglichst weitgehenden Bodenausnutzung und den künst-
lerischen und kulturellen Bestrebungen nie
ganz zu überwinden sein wird. Überall wird
mindestens die Frage angemessener Verzinsung
die unerläßliche rechnerische Grundlage bilden.

ERDGESCHOSS.

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