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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 25.1909

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Heft 9
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Bernoulli, Hans: Die Einheit des Materials im Aufbau der Städte
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https://doi.org/10.11588/diglit.42077#0076
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1909

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 9


Brunnenhalle im Bad Hersfeld.
alle Backsteinrohbauten dem Putzbau gewichen sind, in Frank-
furt a. M., wo noch der Fachwerkbau neben den neueren Stein-
bauten besteht.
Die Einheit des Materials war kein erklügeltes Mittel; sie
ergab sich von selbst aus der Verwendung des nächsterreich-
baren guten Materials. Stilwandlungen konnten keine neuen
Steinbrüche eröffnen; man nutzte auch weiter die im Lauf der
voraufgegangenen Stilperiode erworbene Materialkenntnis. So
war der innere Zusammenhang gewahrt trotz formaler Ver-
schiedenheit.
Die Einführung einzelner Materialien von weither, z. B. des
Hausteins in Backsteingegenden, wie Lübeck, Hamburg u. s.w.,
kam nur den Bauten von besonderer Bedeutung, meist den
öffentlichen Gebäuden zugute. Das neue Material vermag in
der sonst gleichgearteten Masse einen Bau klar und bedeutend
auszuzeichnen.
Ähnlich heben sich auch ganze Stadtviertel durch ein dem
Landstrich sonst fremdes Material heraus: so in Potsdam das
holländische Viertel — holländische Backsteinrohbauten mit
rotem Anstrich zwischen den märkischen Putzbauten des 18. Jahr-
hunderts.
Solche Gruppenbildungen mit eigener Bauweise stören die
Einheit des Stadtbildes weniger, als die Durchsetzung der ganzen
Stadt mit einzelnen Häusern in fremder Bauart. In der abge-
trennten Gruppe bildet sich leicht ein eigener Maßstab aus, das
Gefühl der Zusammengehörigkeit,
der Selbständigkeit muß in solcher
Gruppe wachsen. Damit hat die
Stadt ein neues, lebensvolles Glied
gewonnen. So, als selbständiger
Körper, wirkt z. B. der Baukomplex
des Beamtenwohnungsvereins in
Steglitz bei Berlin, eine geschlossen
bebaute Privatstraße in weißgefug¬
tem Backsteinrohbau inmitten des
reinen Putzbaues, ähnlich die Bauten
der neuen Charite in Berlin. Ander¬
wärts sind es Kasernen, Irrenanstal¬
ten, Schulhauskomplexe, die sich
durch ihr Material von der Umge¬
bung abheben.
Der Klassizismus, der um die
Wende des 18. Jahrhunderts die
Führung übernahm, brauchte einen
grauen, neutralen Ton für seine zar¬
ten Gliederungen, und bis auf wenige
Ausnahmen an der Ostseeküste
wurde das bisher tonangebende
Material unterdrückt. Unerbittlich
wurden die Fachwerkbauten über-

Architekten: Th. Lehmann & G. Wolff in Halle a. S.
putzt, die Sandsteinfassaden aller Färbungen erhielten einen
grauen oder weißen Anstrich, die Fassadenmalereien, die in
vielen Städten ganze Straßen entlang die Häuser bedeckten,
verschwanden unter der Tünche. Wohl entstand nun wieder
eine einheitliche Färbung der Straßen und Städte, doch war
die Überlieferung unterbrochen. Das bodenständige Material
war ersetzt oder vertuscht, weil die neue Formgebung nichts
damit anzufangen wußte. Diese künstliche Einheit konnte sich
wohl während der Herrschaft des Klassizismus rein erhalten,
doch mit dem Wandel des Stils mußte die größte Unsicherheit
Platz greifen.
Die Verbilligung des Transports trat hinzu und ermöglichte
die Materialverwendung weit vom Ursprungsort. Die Industrie
stellte künstliche Baustoffe her, die vollends an keine bestimmte
Gegend gebunden waren. Die Einheit der Kunstauffassung
ging über dem Streit der Schulmeinungen verloren. Die einzelnen
Richtungen bevorzugten wohl jede eine Gruppe von Baustoffen,
doch in den seltensten Fällen mit Rücksicht auf das heimische
Material.
So wurde es möglich, daß in Berlin mit rotem Sandstein,
in Kiel und Hamburg mit Muschelkalk gebaut wird, daß sich
der Backsteinbau nach Heidelberg und Karlsruhe verirrte, daß
in Mainz und Frankfurt, den klassischen Stätten des Buntsand-
steins, der helle Sandstein zur Verwendung kommen konnte.
Um die Verwirrung zu mehren, erstand der vor 1 */« Jahr-

Festhalle in Landau. — Gartentor. Architekt: Hermann Goerke in Düsseldorf.


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