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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 27.1911

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Heft 3
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Alte Haussprüche
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Zetzsche, Carl: Aus dem Propsteigebäude in Wechterswinkel
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https://doi.org/10.11588/diglit.35084#0044

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Seite 34.

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

1911, 3.


Wettbewerbentwurf für eine Markthalle in Stuttgart (11. Preis).
Vorderfront am alten Schloßplatz und der Dorotheenstraße.

Aus Niederbayern:
Gehst du ein, gehst du aus,
Bleib allzeit gut Freund dem Haus!
Aus Oberhollabrunn:
Herr Gott laß wachsen viel Korn und Wein,
So werden wir fromm und zufrieden sein!

Und an einem Bäckerhaus in
Früh, bevor der Tag noch graut,
Frühe wenn die Erde taut,
Müssen die Bäcker wachen,

Kufstein (18. Jahrhundert) steht
Brod und Semmeln machen:
Hei, das wär eine feine Kunst,
Hätten sie das Mehl umsunst!

Im Gegensatz zu diesen oft urwüchsigen und derben Erzeugnissen der
Volkspoesie vergangener Zeiten zum Schluß auch ein Beispiel aus neuester
Zeit, den Richtspruch, den ein Dichter — Ernst von Wildenbruch — für sein
Weimarer Haus gefunden hat, in dem er nur so kurze Zeit wohnen sollte:
Gott laß dies Haus besteh’n

Und laß es Glück und Freude seh’n,
Solange Deutschland steht und hält.
Wenn Deutschland aber sinkt und fällt,
Am selben Tag, zur selben Stund’,
Schlag Gott dies Haus in Grab und Grund!

Aus dem Propsteigebäude in Wechterswinkel.
Eine Meile etwa westlich von den sagenumwobenen Trümmern
der stolzen Kaiserpfalz Salzburg und dem reizenden Land-
städtchen Neustadt an der (fränkischen) Saale, dessen noch gut
erhaltene Mauern Karl der Große als Huldigung für seine junge

Gußeiserner Ofen im Propsteigebäude in Wechterswinkel.


Architekten: Professor P. Bonatz und F. E. Schöler
in Stuttgart.
Gemahlin herzförmig angelegt haben soll, liegt in einer Tal-
mulde zwischen den Ausläufern des Rhöngebirgs versteckt das
Dörfchen Wechterswinkel. Wohl sehr wenigen dürfte heute auch
nur sein Name bekannt sein, und doch blickt es auf eine acht-
hundertjährige, nicht unbedeutende Vergangenheit zurück.
Hier wurde zu Anfang des zwölften Jahrhunderts, an-
geblich 1111, als Stiftung zweier Grafen von Henneberg, nach
anderen von Konrad III., dem ersten Staufenkaiser, und dem
Würzburger Bischof Embrico (1125 1147) das erste Zisterzienser-
Nonnenkloster im Bistum Würzburg erbaut.
Für hundert adelige Klosterfrauen bestimmt, die einer Äbtissin
unterstanden, gewann es anfänglich großen Ruf durch die strenge
Zucht, die in seinen Mauern herrschte. Bald aber machte tiefe
Sittenlosigkeit wiederholtes Einschreiten der Bischöfe nötig, und
so war das Kloster innerlich schon längst dem Untergang verfallen,
als im sechzehnten Jahrhundert der Nachwuchs adeliger Fräulein
aus dem protestantisch gewordenen fränkischen Adel versiegte.
Fürstbischof Julius von Mespelbrunn, der Erbauer des
Juliusspitals in Würzburg, bestimmte deshalb die reichen Ein-
künfte des verwaisten Klosters zur besseren Dotierung der Pfarreien
und Schulen des Bistums. Das Kloster blieb dem Namen nach
bestehen. Ein Propst verwaltete es, dem auch die weltliche
Gerichtsbarkeit zustand. 1803 wurde das Klosteramt (mit
346 Untertanen) säkularisiert.
Von den ausgedehnten und jedenfalls einst reich aus-
gestatteten Klosterbauten ist wenig erhalten. Das meiste ist wohl
schon im Markgrafenkriege zerstört worden. Von der Kirche,
einer flachgedeckten Pfeilerbasilika, ist nur noch ein Teil des
Langhauses erhalten; bemerkenswert ist an ihr nur noch das
Portal. Der Kirche gegenüber steht das Propsteigebäude. Ein
Torweg führt durch die Mauer an der Straße in den Hof, den
seitlich zwei kleinere Wirtschaftsgebäude und rückwärts das
Propsteigebäude umschließen. Dieses, ein rechteckiger Bau mit
Erd- und Obergeschoß, ist augenscheinlich zur gleichen Zeit
entstanden wie das Juliusspital in Würzburg. Seine Erdgeschoß-
fenster sind mit den gleichen kraftvollen Stabgitterkörben ver-
wahrt. Von Fürstbischof Franz Ludwig ist es 1792 erneuert,
wie das in dem Wappen über der Haustür angebrachte Chrono-
stichon: FranCIsCo LVDoVICo hVIVs VILLae restaVratorl slt
Longa saLVs aC beneDICtio besagt, dessen großgeschriebene
Buchstaben als Ziffern gelesen und zusammengezählt 1792 er-
geben. Schon das schöne Portal läßt erkennen, mit welchem
erlesenen Geschmack damals in dem weltfernen Wechterswinkel
die Wohnung des Propstes eingerichtet worden ist, der doch in
Würzburg seinen ständigen Sitz hatte. Aber wie sieht es heute
darin aus! Von der Einrichtung ist nichts mehr erhalten, außer
dem reizvollen Treppenhaus, dessen Ausgestaltung unsere Bilder
zeigen, und einem prachtvollen gußeisernen Ofen, der in einem
der Zimmer steht. Alles andere ist herausgerissen und verkauft,
die Dielen sind schadhaft, das Dach undicht; aber das Gebäude
ist sonst wohl ohne allzu großen Aufwand wiederherzustellen. Das
Grundstück, das jetzt Herrn Josef Heidenheimer in Würzburg
gehört, steht zum Verkauf. Wird sich ein Liebhaber finden, der
das verwahrloste, aber in seiner Anlage schon eigenartig aus-
geprägte Anwesen in neuem Glanze erstehen und eine der
einstmaligen Einrichtung ebenbürtige für seinen Sommer- oder
Jagdaufenthalt herstellen läßt? Wer, wie ich, unvermutet auf
beschaulicher Wanderung solche Szenen einer hochentwickelten
Lebenskultur in abgelegenster Einsamkeit findet, wird dies für die
Vertiefung unseres Schaffens von ganzem Herzen wünschen! tz.
 
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