Seite 134.
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
1911, 12.
Doppel-Bürgerschule für Frankfurt a. M.
Wettbewerbentwurf Kennwort „Solo“.
Zu Tafel 115/16.
Architekt: C. F. W. Leonhardt, B.D.A.,
in Frankfurt a. M.
Was hat es aber für Sinn, von Erfolgen zu sprechen, solange
dies noch der Fall ist? Gibt es ein treffenderes Zeugnis für
den Stand des Geschmackes eines Volkes als die Architektur-
gebilde, mit denen es seine Straßen und Ortschaften besetzt?
Was wollte es demgegenüber heißen, wenn wir beweisen
könnten, daß heute bereits die Kräfte für eine anständige archi-
tektonische Gestaltung vorhanden seien, daß diese Kräfte nur
nicht an die Aufgabe herangelangten? Eben daß sie nicht heran-
gelangen, bezeichnet den Kulturzustand der Zeit. Eben daß
Tausende und aber Tausende unseres Volkes nicht nur an diesem
Verbrechen gegen die Form empfindungslos vorübergehen,
sondern daß sie als Bauherren durch die Wahl ungeeigneter
Berater noch zu ihrer Vermehrung beitragen, eben das ist das
untrügliche Zeugnis für den Tiefstand unseres Formgefühls und
damit unserer künstlerischen Kultur überhaupt.
Der Deutsche Werkbund wurde in Jahren gegründet, in
denen sich ein engerer Zusammenschluß aller an den guten
Bestrebungen Beteiligten gegen anstürmende Widersacher not-
wendig machte. Seine Kampfesjahre nach dieser Richtung sind
heute vorüber. Den Ideen, um die es sich handelt, wird von
keiner Seite mehr widersprochen, sie erfreuen sich allgemeiner
Billigung. Ist damit etwa seine Existenz überflüssig geworden?
Man könnte auf solche Gedanken kommen, wenn man das
engere gewerbliche Schaffensgebiet allein in Betracht zöge.
Wir können uns aber nicht damit begnügen, das Sofakissen und
den Stuhl in Ordnung gebracht zu haben, wir müssen weiter
denken. In Wahrheit beginnt erst jetzt, zugleich mit dem Ein-
tritt in die Friedensära, die eigentliche Aufgabe des Deutschen
Werkbundes. Und wenn bisher bei der Werkbundarbeit der
Qualitätsgedanke im Vordergründe stand, wir aber heute schon
feststellen können, daß das Qualitätsempfinden in Deutschland,
was Technik und Material betrifft, in raschem Aufstieg begriffen
ist, so ist auch mit diesem Erfolg die Aufgabe des Deutschen
Werkbundes noch nicht erledigt. Weit wichtiger als das Materielle
ist das Geistige, höher als Zweck, Material und Technik steht
die Form. Diese drei könnten tadellos erledigt sein, und wir
würden, wenn die Form nicht wäre, doch noch in einer Welt
der Roheit leben. So stellt sich uns als unser Ziel immer
Doppel-Bürgerschule für Frankfurt a. M. Architekt: C. F. W. Leonhardt, B.D.A.,
Wettbewerbentwurf Kennwort „Solo“. zu Tafel 115/16. in Frankfurt a. M.
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
1911, 12.
Doppel-Bürgerschule für Frankfurt a. M.
Wettbewerbentwurf Kennwort „Solo“.
Zu Tafel 115/16.
Architekt: C. F. W. Leonhardt, B.D.A.,
in Frankfurt a. M.
Was hat es aber für Sinn, von Erfolgen zu sprechen, solange
dies noch der Fall ist? Gibt es ein treffenderes Zeugnis für
den Stand des Geschmackes eines Volkes als die Architektur-
gebilde, mit denen es seine Straßen und Ortschaften besetzt?
Was wollte es demgegenüber heißen, wenn wir beweisen
könnten, daß heute bereits die Kräfte für eine anständige archi-
tektonische Gestaltung vorhanden seien, daß diese Kräfte nur
nicht an die Aufgabe herangelangten? Eben daß sie nicht heran-
gelangen, bezeichnet den Kulturzustand der Zeit. Eben daß
Tausende und aber Tausende unseres Volkes nicht nur an diesem
Verbrechen gegen die Form empfindungslos vorübergehen,
sondern daß sie als Bauherren durch die Wahl ungeeigneter
Berater noch zu ihrer Vermehrung beitragen, eben das ist das
untrügliche Zeugnis für den Tiefstand unseres Formgefühls und
damit unserer künstlerischen Kultur überhaupt.
Der Deutsche Werkbund wurde in Jahren gegründet, in
denen sich ein engerer Zusammenschluß aller an den guten
Bestrebungen Beteiligten gegen anstürmende Widersacher not-
wendig machte. Seine Kampfesjahre nach dieser Richtung sind
heute vorüber. Den Ideen, um die es sich handelt, wird von
keiner Seite mehr widersprochen, sie erfreuen sich allgemeiner
Billigung. Ist damit etwa seine Existenz überflüssig geworden?
Man könnte auf solche Gedanken kommen, wenn man das
engere gewerbliche Schaffensgebiet allein in Betracht zöge.
Wir können uns aber nicht damit begnügen, das Sofakissen und
den Stuhl in Ordnung gebracht zu haben, wir müssen weiter
denken. In Wahrheit beginnt erst jetzt, zugleich mit dem Ein-
tritt in die Friedensära, die eigentliche Aufgabe des Deutschen
Werkbundes. Und wenn bisher bei der Werkbundarbeit der
Qualitätsgedanke im Vordergründe stand, wir aber heute schon
feststellen können, daß das Qualitätsempfinden in Deutschland,
was Technik und Material betrifft, in raschem Aufstieg begriffen
ist, so ist auch mit diesem Erfolg die Aufgabe des Deutschen
Werkbundes noch nicht erledigt. Weit wichtiger als das Materielle
ist das Geistige, höher als Zweck, Material und Technik steht
die Form. Diese drei könnten tadellos erledigt sein, und wir
würden, wenn die Form nicht wäre, doch noch in einer Welt
der Roheit leben. So stellt sich uns als unser Ziel immer
Doppel-Bürgerschule für Frankfurt a. M. Architekt: C. F. W. Leonhardt, B.D.A.,
Wettbewerbentwurf Kennwort „Solo“. zu Tafel 115/16. in Frankfurt a. M.