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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 28.1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.27777#0038
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Architektonische Rundschau

Seite 28

1912

Wie ein unlösbares Raitel ertcheint dem Unkundigen ein Schroert,
ein Zierstück, ein Prachtgefäfj der tpäteren Bronzezeit mit seinen
rokokazierlichen sormen, fr kann es nicht tassen, dafj die alten
Bänder der Sümpfe und Wälder solch eine Kultur zu erzeugen oer-
mochten, dafj in entlegenen Einöden diese herrlichen sormen er-
sonnen rourden. Jn Einzechten und oerschlagenen sarmerhütten
gewifj nicht. Und coenn die prähistorische Wissenschaft, die sich
noch allzusehr mit bloßer Registrierarbeit zufrieden gibt, bis zur
Stunde das graste Rätsel dieser Kultur nicht zu löten oermochte,
so liegt es daran, da§ sie eines Übersall: roie nämlich die Königs-
hallen schon damals, ganz roie spöter in der Sagazeit, den roeiten,
oan lllenschenlärm erfüllten Siedelungen einen JTlittelpunkf gaben
— den Ulittelpunkt der nordisch-homerischen Welt.
Die Völkerwanderung roar über Europa hingegangen. Sie
hatte JAassen geballt und oor sich hergeroälzt, roie sie der Kreis-
lauf der Völker bisher nicht kannte, slun kommen die lllassen zur
Ruhe. War ihre Stafjkraft in der Bemegung unroiderstehlicher ge-
toesen als alles oorher, so mufjten auch die sormen um so oieles
gewaltiger sein, die sie ansetjte, da sie sich nun breit hinlagerte.
Das leben ging seinen alten Gang. Wälder wurden gerodet
und selder bestellt, wie man es immer getan, An der Kultur
des Wohnens ward wenig geändert, und
in den großen Siedelungen war immer
noch die Häuptlingshalle das beherrschende
Zentrum. Aber wenn auch auf Jahrhun-
derte hinaus noch in den Häutern der
werdenden Städte die uralte Kunst der
Wälder blieb, kam in den Herrschergebäuden
doch unmittelbar schon zum Ausdruck, wie
oiel stolzer und selbsfbemufjter die neue
macht sich gab. Sie waren das erste in
den Siedelungen, was ganz oersteinerte:
aus der hölzernen Königshalle wurde die
steinerne Pfalz.
Die Zeiten, in denen dasgeschah, liegen
uns nicht gar so fern, Es gab oiele süllten
damals, und ihr Ehrgeiz liefj sie einander
überbieten in der Errichtung prächtiger
Hallen. Von da ab, sällte man meinen,
könnte es uns nicht mehr fehlen an einem
fortlaufenden Geschichtsberichf, den die
Werke selbst erzählen. Aber die Kulturen
haben in Deutschland so oiel und so gründlich immer wieder um-
gepflügt, und so rücksichtslos haben die Späteren die Werke
der srüheren wie Steinbrüche ausgeplündert (was hat allein der
grofje Karl in dieser Art gesündigt!) oder durch „Restauration“
oerderbt, dafj wir kaum hier und da etwas Heiles finden und froh
sind, aus elenden Trümmern mindestens einiges erraten zu können.
Gleich das erste bedeutende Werk, wie ein Wunder bestaunt,
als es noch da war, haben wir nur noch schwach angedeutet im
stilisierten ITlosaik eines Kirchenwandbildes. Es ist die Königshalle
Theodorichs (Abb. 1 auf Seite 25). Alan glaubte sich freilich lange noch
im Besitj eines sragmentes dieser Halle in derSeitenfassade eines mittel-
alterlichen Palastes zu Raoenna. Aber es ist mit guten Gründen dar-
getan worden, dasj es sich hier um ein longobardisches Werk des achten
Jahrhunderts handelt, und so sind wir tatsächlich angewiesen auf
jenes Kirchenbild oon S. Apollinare Ruooo zu Raoenna. Es stellt
uns oor die srontansicht der Halle. Denken wir uns die pomp-
hafte Säulenhalle fort, die dem Eingang uorgelagert wurde, so
haben wir in der Hauptsache die alte Königshalle mit den Um-
änderungen, die nötig wurden bei einer Übertragung in Stein
und bei der Prachtliebe der neuen Zeit. Ein scheinbares Zweistock-
merk, dessen Obergeschafj aber nur fortlebt in einem Galerieumgang
mit nordischen Arkaturen. Die feste Wand des Untergeschosses ist
bereits ganz aufgelöst in Säulen, zwilchen denen, in halber Höhe
zusammengerafft, kostbare Teppiche prangen. Das Giebeldach
steigt, ganz wie beim steinernen Griechentempel, weniger kühn
empor als früher.
Wir möchten wissen, wie es im Innern einer solchen steinernen
Psalz aussah. Auskunft gibt uns erst ein Beispiel, das an die
dreihundert Jahre jünger ist: das westgotische, jetjt als Kirche be-

nutzte Bauwerk Santa ITlaria de IJaranco in Spanien (Tafel 106,
Abb. 5 und untenstehende Abb. 2). Es ist das Verdienst Albrecht
Haupts, in seinem Buch über „Die älteste Kunst, insbesondere die
Baukunst der Germanen“ den Königshallencharakter dieses Baues
wiedererkannt und alles das festgestellt zu haben, was die Kirche
später für ihre Zwecke an ihm änderte. Der Bau ist rechteckig
gestreckt, mit Eingängen in der mitte der Pängsseiten und dem
Hochsit3 an einer der Giebelwände. Die Pängswände waren fenster-
los, das Picht fiel ein durch die oberen Arkaden der Giebelseiten.
Unter ihnen waren die — jetjt offenen — Wände durch Brüstungen
geschlossen, wie tiefe Rinnen in den Stütjen bis zu 90 cm Höhe
beweisen. Ein herrliches Tonnengewölbe, durch heben Joche ge-
gliedert, schlieljt die Halle nach oben ab. Auf ihm ruht das Giebel-
dach, das die nordische Herkunft des Ganzen nach aufjen noch so
klar erkennen läfjt.
Die siebenfache Gliederung oerlangt noch ein besonderes Wort.
Flur zwei Säulenpaare sehen wir in den alten Königshallen zur
Stütje des Dachstuhls eingebaut. Es ist gewifj, dasj man nicht
dauernd bei dielen oier Säulen, der Entwicklungsstufe des ägäischen
ITlegaron, geblieben ist. Das Pangfeuer deutet bereits an, wie die
Entwicklung des Hallenbaues zur Streckung des Grundrifjrechteckes
drängte. Das wurde fortgesetjt. Altisländische Sagas wissen oon
Hallen, die mehr als hundert Ellen in die
Pänge messen. Dafür genügten die beiden
Säulenpaare längst nicht mehr. Ihrer drei
oder oier, heifjt also sechs oder acht Säulen
und mehr mufjten eingestellt werden. Als
man dann zum Steinbau überging, konnte
man, solange der Grundrifj nicht gar zu breit
wurde, die so oiel Raum einnehmenden
ITlittelsäulen entbehren und die archifek-
tonische Gliederung, wie im salle oon
Plaranco, den Wandsäulen überlassen.
Und die wuchtige Königshalle wurde
zur prangenden Kaiserpfalz. Karl mar der
erste, der Entscheidendes leistete für ihre
gesteigerten sarmen. In Aachen, Ingelheim,
Himmegen sfanden seine wichtigsten Werke,
und die Karolinger bauten nach ungefährer
Berechnung allein 150 Kaiserpfalzen. Sie
alle sind oerschwunden, kaum dafj hier und
da eine Säule, ein Kapitell erhalten blieb.
Am besten sind wir noch dran beider Aachener
Pfalz, die wir in der Subkonsfruktion des Untergeschosses haben. Es ist
ein Bangbau mit nach Süden gerichteter Hauptfront, durch fünf Quer-
wände gegliedert. Jm Abstand dieser Wände mochten oben die Säulen
der grofjen Halle aufsteigen. Bei der Breite des Grundrisses ist eine
einfache Überwölbung kaum anzunehmen. Doch es genügte die
Einteilung nur einer Säulenordnung in der ITlitte der Halle; ein
Bausystem, das während des ganzen Alittelalters dann bei ähn-
lichen Aufgaben zur Durchführung kommt, sei es bei klösterlichen
Refektorien, dem Pallas der Burgen oder städtischen Ratshallen.
Goslar, Dankermarderode, Eger und Gelnhausen zeigen endlich,
was das reife llJitfelalfer aus der Idee der Kaiserpfalz gemacht hat.
Der Unterbau erhebt sich langsam ooni Boden und beansprucht die
Bedeutung eines selbständigen Stockwerks. Roch wird er archi-
tektonisch nur nebenher, wie ein Sockel des Ganzen behandelt, und
die breite sreitreppe, die zum Eingang führt, arbeitet den Grund-
gedanken der Halle nur um so klarer heraus. Aber noch andere
Bauten drängen sich bereits an das Saalhaus und bedrohen es in
seiner Selbständigkeit: Kapelle und sürstenwohnung. Bei Goslar,
Dankermarderode wachsen Halle und Wohnbau nur erst lose zu-
sammen. In Eger aber wird die Symbiose schon herrischer. Wohnung
und Saal sind organisch miteinander oerbunden, und auch die
Kapelle kommt unter das nämliche Dach. Es ist wie eine Rassen-
kreuzung, eine Rassendurchsefjung in diesem Reben- und Ineinander
der sormen. Wohl setjt sich die Stammrasse noch durch im Giebel-
bau, der immer wieder triumphiert. Doch die Herrschaft über das
Gesamtbild der Anlage ist der Kaiserpfalz längst entglitten. Ein
anderes Gebäude hatte sie an sich gerissen: das Gotteshaus, dessen
Turm alles andere überragt, und das mit seiner Silhouette das ge-
samte späte JTlittelalter bestimmt.


2. Santa ITlaria de Raranco. Giebel.
Bus: Haupt, Die älteste Kunst, insbesondere die Baukunst der
Germanen. Verlag uon H. H. Cudiuig Degener in Ceipzig.
 
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