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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 28.1912

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10. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.27777#0050
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ssrchitektonische Rundschau

Seife 40

1912

Flicht müßige Trägheit. Sie ist der Zustand des öenusses
nach der Empfänglichkeit unteres öeistes und Herzens. Und
roenn jener König, als er gefragt murde, roas er nach der
Eroberung so oieler Cänder machen roolle, zur Antwort
gab: Dann roill ich der Ruhe genießen; so hat er im
Ramen des ganzen ITlenschengeschlechts geantroartet.
Wer diese Ruhe mit Geschmack und Beroußtsein ge-
nießen sall, muß im Schoße der Freiheit und Bequem-
lichkeit leben. Sein Haus ist der Siß eines Glücklichen,
und roer einem Gebäude diese JTlerkmale eindrücken kann,
uerfehlt den eigentlich schönen Eharakter geroiß nicht.“
„Ein schönes Gebäude sei roederhoch, noch aon großem
Umfange. Die auffallende Höhe roiirde die Sanftheit der
Empfindung stören und ein großer Umfang ihm eine
ernste ITliene geben, die in uielen Fällen sehr interessant
sein kann, aber geroiß nicht reizend ist. Der Plan des
Gebäudes sei höchst einfach, damit seine Horm leicht und
faßlich bleibe; und roer in diesem Stil arbeitet, erinnere
sich, daß die Grazien nackend sind, oder daß sie durch
die Rrt der Bekleidung fast noch mehr als nackend roerden
mussen. Jeder Rrgroohn non Pracht roird hier fehlerhaft.
Rlles, roas man am Gebäude sleht, sei nofroendig da und
habe Bedeutung. Es sei entweder ein Glied am Körper
des Gebäudes oder eine durchscheinende Bekleidung eines
Gliedes. Rlles Rngeheftete ist unzeitiger Puß. Ein Bas-
relief Pan angenehmen Figuren, ein leicht drapiertes Tuch
oder ein Heston, oon seltenen Raten unterbrochen, roird die-
sen Eharakter sehr ansfändig schmücken. Seinen stärksten
Rusdruck lege man ins Profil. Dieses sei so einfach und
frei als möglich. Das Dach leicht, die Kolonnade fern-
säulig, überhaupt nichts schroer, und fern jeder Schein
einer großen Hestigkeit.“
Dieter so definierte schöne Eharakter ist eigentlich
nur dem Wohnhause angemessen. Wie der Verfasfer sich
ein derarti-
gesGebäude
denkt, zeigt
der hier ne-
benstehende
Kupferstich
(Rbb. 2).
Der ländliche Eharakter ist dem schönen am nächsten
uerroandt. Er umfaßt die oerschiedenen ländlichen Ge-
bäude uom Custschloß bis zur Bauernhütte, „lllan oer-
meide an diesen Gebäuden alle Vorsprünge und Ver-
tiefungen; sie würden ihnen ein melancholisches Rnsehen
geben . . . Der Entresol ist bei einem schönen Candhause
oon übler Wirkung; er erinnert uns, daß roenigstens nicht
alle ITlenschen in denselben angenehm und bequem
wahnen, und dieser roidrige Gedanke grenzt zu sehr an
die reizende Erwartung, die die Hauptetage erroecken toll.“
Beim Bauernhause „kommt alles darauf an, daß man
die Sparsamkeit zur Hauptregel macht und sie allenthalben
heroorblicken läßt ... Die Symmetrie des Gebäudes aber
oerrät noch Ordnung und oerhältnismäßigen Wohlstand“.
Sehr eingehend behandelt der Verfasser in diesem Kapitel
noch die oerschiedenen Rrten oon Gartengebäuden, Grotten
und Ruinen.
Der romantische Eharakter ist der Einsiedelei, der
Kapelle, der Ritterburg, der Grotte und dem Heenschloß
angemessen. „Bei einer Einsiedelei Dermeide man jede
moderne Horm ... Die Ritterburg muß oon echter goti-

scher Bauart sein und sich auf die traurigen Reoo-
lutionen dieses Zeitalters beziehen. Hin und wieder
können einige Züge oon Härte und Gefangenschaft ihren
Eharakter oerstärken, der übrigens einen Rnstrich oon
düsterer Schroermut haben muß.“ Diese Rrt oon Ge-
bäuden finden oorzugsroeise bei Theaterdekorationen Ver-
wendung.
Das Edle im Eharakter „bezieht sich allezeit auf die
ITloralifät, und kann sich eigentlich nur in Gesinnungen
und Handlungen äußern . . . Wenn ich mir das Haus
eines Bürgers denke, scheint es mir eine der edelsten
Eigenschaften seines Gharakters zu sein, daß die Haslade
nicht lügt. Ich oerlange den Besißer eines Hauses in
dem Zustande zu finden, den die Rußenseite desselben
ankündigt . . . Zwei Eigenschaften oeredeln jedes Gebäude
ohne Ausnahme; sie sind Symmetrie und Eurhythmie . . .
Wenn man endlich die stille Größe, den höchsten Grad
des Edlen in der Baukunst erreichen roill, so muß man
an dem Gebäude Einförmigkeit herrschen lassen. Die Er-
fahrung lehrt, daß die meisten Gebäude durch übertriebene
lllannigfaltigkeit ihre Wirkung ganz oerfehlen ..."
Im Schlußkapitel „oom architektonischen Vortrage“
endlich zeigt der Verfasser die Anroendung der so ent-
wickelten Grundsäße an oerschiedenen Gebäudegattungen:
Kirchen, Akademien, Bibliotheken, Gerichtsgebäuden, Zeug-
häusern, Schauspielhäusern, Palästen (als oollkommenstes
Gebäude dieser Rrt führt er das neue Schloß in Potsdam
an) und Denkmälern, deren charakteristisehe Eigenart er
mit kurzen Strichen geistreich skizziert.
Es konnten hier nur einige Kostproben aus diesem
Werkchen gegeben roerden, das soroohl hinsichtlich seiner
Entstehungszeit als seines Inhaltes ganz oereinzelt dasteht.
Wie ein Hauch Goetheschen Geistes duftet es uns aus
dem blühenden Stil entgegen, und mit freudigem Erstaunen
lassen roir uns in die harmonische, abgeklärte Gedanken-
und Empfindungsroelt hineinführen, aus der jene Baukunst
geboren wurde, deren reine, olympische Schönheit uns
heute roieder so entzückt, in jenes Zeitalter, das seine
höchste Blüte in einem Schinkel heroorbrachte.
Wie groß ist der Rbstand zroischen solcher, auf tiefster
allgemein menschlicher Bildung fußenden Ruffasfung oom
Wesen der Baukunst und jenen schematischen Kompositions-
lehren früherer und späterer Zeit, die alles Heil nur in
der „richtigen“ Anroendung der fünf Säulenordnungen
und ihrer überlieferten Proportionen sahen! Geroiß: ITlaß-
stab und Zirkel sind das Handwerkszeug des Architekten;
aber nur, roenn er im steten lebendigen Zusammenhange
mit der Bildung seiner Zeit bleibt, sich geroissermaßen als
Priester und Kulturzeugen seiner Generation fühlt, deren
Sehnen und Glauben und unbewußt schroingendes Emp-
finden er Derkörpert, nur dann roird er unoergängliche
Werke schaffen. Unoergänglich, gerade wegen ihrer
menschlich-zeitlichen Begrenztheit als Kulturdokumente.
Der griechische Tempel, der gotische Dom, die Werke eines
Schinkel roerden in Staub zerfallen. Aber eroig ist der
Geilt, den sie Derkörpern.
So mag die kleine Schrift, deren Gedankengang roir
hier mitteilten, einerseits dazu dienen, den Gehalt der
„klassizistischen“ Baukunst tiefer zu erfassen, sodann aber
auch uns heute lebende Architekten aufs neue anregen,
in Erfüllung unterer hohen Aufgabe aus den tiefsten Tiefen
der menschlichen Seele zu schöpfen.
 
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