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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 29.1913

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Ritter, Heinrich August: Architektur und Plastik am Roland zu Bremen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27734#0024
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lang führenden Hauptoerkehrsader
betonf, fo gibt es dem ganzen Pla^e
Rhythmus und Charakter. DieVorder-
teite itt dem Dome zugekehrt. Von
dietem zur Obernftraije gehend, tieht
man den Roland oor den rück- und
linksteitigen Platjroänden zu einer
Reihe höchtt malerifcher Architektur-
bilder uerroachten, oon denen die
beigefügte Abbildung eine Probe
gibt. Die Ausgeglichenheit, die alle
diete Bilder auszeichnet, und be-
tonders die beherrfchende Stellung,

die der Roland in ihnen immer Fageplan _20 “ *° 5° 60m

roieder einnimmt, find darauf zurück-
zuführen, daf3 fein Abftand uon der rückroärtigen Platjroand ebenfo glücklich ausgeklügelt
ift roie der oom Rathaufe. Der zurzeit für die Wirkung des Denkmales ungünffige freie
Kaifer-Wilhelm-Plat^ roar früher bebaut. Dafj der Roland mährend der Renaiffancezeit
Dielleicht einen anderen Platj als gegenroärtig einnahm, beroeift nichts gegen die Vor-
trefflichkeit feines gegenroärtigen und auch nichts gegen die Annahme, dafj er urfprünglich
roahrfcheinlich auf diefem errichtet und für diefen berechnet rourde.

Flur das JAittelalter konnte ein Gebilde oon fo rouchtiger, oolkstümlicher Kraft fchaffen,
und es ift nicht nur angefichts diefes FRonumentes überaus bedauerlich, daf^ die unoergleich-
lichen Anregungen, roelche die Architekturplaftik diefes Zeitalters für fehr Diele moderne
Aufgaben bieten könnte, fo roenig ausgenutjt roerden. Cin in feiner ungerechtfertigten Über-
treibung hinderliches Vorurteil, nach roelchem die Renaiffance uneingefchränkt als eine
Crrettung der Indioidualität aus den Banden finfterer Dogmen angefehen merden mu§,
liegt uns noch zu fehr im Blute. Wären mir mit der Kunftgefchichte zugleich in die
Gefchichte der menfchlichen Raffen eingeführt morden, fo roürde bald eine andere, begrün-
detere Anficht und eine liebeoollere Würdigung der in ihrer tiefen Innerlichkeit und Cin-
fachheit uns fo fehr naheftehenden mittelalterlichen Kunft herrfchend geroorden fein. Das
Germanentum, das in der Renaiffance Italiens, Frankreichs, Spaniens und Deutfchlands einen fo
überreichen Jndioidualismus entfaltete, oerleugnete
felbftuerftändlich diefen ihm angeborenen Wefens-
zug am roenigften in derjenigen Kunft, die im
Gegenfafje zur Renaiffance nicht feine abgeleitete,
fondern feine ureigenfte, mit noch ungebrochener
Kraft ins Beben gerufene Schöpfung mar. Aller-
dings handelt es fich hier nicht in erfter Cinie
um Indioidualität der Ginzelperfönlichkeit, fondern um Indioidualität der Raffe, für die künft-
lerifche Offenbarung der Indioidualität der Ginzelperfönlichkeit fand die lugendzeit des Germanen-
tums fo roenig ITlufje roie die lugendzeit des Griechentums. Sie erfolgt ftets erft in Späteren
Zeiten des Raffenlebens und kann in jedem falle nur dann als ein glückoerheifjendes Zeichen
begrüfjt roerden, roenn ihr gefestigte Überlieferungen, aus gefund gebliebenen Raffeninftinkfen
heraus, Richtung und Ziel geben. Was hätten roir nicht gewonnen, roenn in unferer oor ge-
roaltige neue oder oeränderte Aufgaben gestellten Zeit efroas mehr oon dem auf das Typifche
gerichteten Geifte der germanifchen lugend roirkfam roäre. Das FFlittelalter kannte keine Archi-
tekten, die Gefallen daran gefunden hätten, an Kirchen, Grabdenkmälern, Rafhäufern, Schenken,

Wohnhäufern oder ßildfäulen, ohne Rückficht auf die Aufgabe, durch Anbringung oon mehr oder

weniger fich gleichbleibenden Schnörkeln und Will-
kürlichkeiten ihre eigene Persönlichkeit zu oerherr-
lichen. Das brachte auch die Renaiffance nicht
über fich. Das Hineintragen eines bis zur Kari-
katur oerzerrten Kultus der Persönlichkeit und der
Originalität in die Architektur blieb erft den Archi-
tekten des neueften Deutschland oorbehalten. Durch
ihn oerbarrikadierten Sie fich bis auf den heutigen
Tag foroohl im Städtebau roie in Ginzelroerken den
Weg zu gefchloffener Gröfje, zu dem die Gemein-
samkeit des Blutes und das roachfende Verftändnis
für die Überlieferung uns in einer Gpoche gewal-
tigster Bauaufgaben wohl hätten führen können.

Schalter-, Kaffen- und Treppenhallen durchaus
profaner Gefchäftspaläffe, in denen am hel-
lichten Tage das elektrische Ficht angezündet
roerden mufj, roeil „perfönlich“ empfindende Archi-
tekten in ihnen römifche oder altaffyrifche Grabes-

Horizontalfchnitt oberhalb der füfje Stimmungen improoifierten, befagen für die Vorderanficht

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