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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 29.1913

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Brinckmann, Albert E.: Kunstgeschichte an technischen Hochschulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.27734#0056
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im Tehrer ausprägf. Über den Ärger hinaus kann cs hier zu
roahrer Tragik und zum Bruch kommen, mag diele ftarke Steigerung
des künftlerifchen Ringens auch mehr an Kunftakademien roie an
Hachfchulen zu beobachten fein. 6s erklärt fich dies aus dem kompli-
zierteren Vorgang des baukünftlerifchen Geftaltens — uielfeitige
Künftler kommen meift zuleßt zur Baukunft —, dann wirken
die größeren technifchen Anforderungen als Beruhigungsmittel. Die
eigentliche Auseinanderfeßung mit rein kiinftlerifchen Problemen
tritt bei dem Ärchitekten fogar oerhälfnismäßig fpät ein. ln den
meiften fällen fchließen fich daher in diefer Reibung des Unterrichts
die Kräfte auf, die junge Begabung entfaltet fich, es roerden ihr neue
und ungeahnte Wege gezeigt. Übrigens fichert gerade diefes all-
mähliche Grfchloffenroerden der großen Archifektenperfönlichkeif ftark
fchulbildende Wirkung, die Baukunft felbft erfcheint in ihrer Gnf-
roicklung konferuatiuer und einheitlicher roie ITlalerei und Plaftik.
Jeder kennt dies Erlebnis: etroas, das einem an fremder Bau-
fchöpfung lange fremd, faff feindfelig gegenüberffand, roird plöß-
lich in feiner oerborgenften Wefensart erfaßt und erfüllt nun be-
feuernd mit größter £uft. Solche Erziehung zum künft-
lerifchen Erlebnis ift das bette, roas der Ärchitekturunterricht
zu bieten uermag. Dabei ift es nur eine quantitatiue Steigerung,
ob es fich um ein Ornament, um Proportionen, Raumbeziehungen,
eine ganze Stadfformation handelt.

6s fragt fich nun, roelchen Änteil an der Übermittlung
diefer erziehlich roirkfamen Kraft hat die Perfönlich -
keit des Pehrers und fein eigenes Schaffen, roelcher
Änteil aber kann fremdem, hiftarifch gewordenem Schaffen
dabei zukommen? Denn der Kunfthiftoriker an der Hochfchule
roird in den meiften fällen uon dielen drei nur zwei Wirkungs-
mittel zur Verfügung haben: feine Perfan und hifforifches material.

Die 6ntroick!ung der jüngeren Kunft gibt Belege dafür, daß
ftarke Anregungen für die bildende Kunft uon fchöpferifch nicht
tätigen Peinlichkeiten ausgehen können, dafj Sehnfucht und Kraft
ihres Geiftes allein die Peiftung uollbringt. Win ekel m an n,
Ruskin haben durch Schriften und Vorträge einen ganz gewaltigen
Ginfluß auf das Künftlertum ihrer Zeit ausgeübt, mag auch diefer
Ginflufj unüberfchreitbare Grenzen gehabt haben. Gin llmfchroung
der kiinftlerifchen Gefinnung trat ein und mit ihm ein ganz neues
Äußerungsbedürfnis. Allerdings beroies erft diefes Äußerungsbedürf-
nis anderer Geifter, indem es Werke fchuf, dafj die Anfchauungen
uon Winckelmann und Ruskin echt und förderlich waren, die uon
der lebenden Kunft formbar roaren und ihr neue Wege auftaten.
Rieht felbftfchöpferifch tätig fein ift daher zwar kein Beweis
mangelnder künftlerifcher Anfchauung, doch roird diefe immerhin zur
eigenen Päuterung auch des Werkes bedürfen; auf jeden fall aber
läfjt das Werk erft den Wert einer Kunftanfchauung durch andere

Georg Pübke, fritj König-Stift in Bad Harzburg.

Braunfchroeig Kapelle. (Vergl. Tafel 150)

beurteilen. Denn das Geftalfen macht die Anfchauung anfchaulich,
beroeift ihre Gültigkeit im Reich der form. Hätte Winckelmann als
Bildhauer gearbeitet, fa wäre feine künftlerifche Anfchauung ohne
weiteres klar zutage getreten. Da er felbft nicht darftellte, roar dies
Ingeltungbringen nur möglich, indem er Bildhauer beeinflußte durch
fein Wort. Alles gefprochene Wort ift aber in der bildenden Kunft
immer nur Urnroeg, und zwar ein unendlich mühfamer, roenn ihn
im Drange nach Äußerung die künftlerifche Änfchauung einfehlägt.

6s klingt paradox, aber doch ift es fa: man kann künft-
lerifche Anfchauung befißen, ohne fich formal zu äußern,
aber ohne form befteht für die Kunft und damit für
den Künftler die künftlerifche Anfchauung nicht. Tut
fich hier nicht ein Widerfpruch auf? Ich ermähnte die Ginroirkung
Winckelmanns und Ruskins durch ihre Schriften auf die zeit-
genöffifchen Künftler und fage jeßt: nur der uermag im
Reich der form zu gebieten, der an der farm felbft
feine Anfchauung entwickelt, findet man darin einen
Widerfpruch, fo oergißt man ein niedium, das Winckel-
mann roie Ruskin in gleicher Weife benußen: die be-
ftehende, hiftarifch gewordene Kunft. Beide
machen fie zu Trägern ihrer Anfchauung, fie wollen die
ITlenfchen diefe ihre Anfchauung nicht hören, fondern
fehen machen, Ruskin oft fo felbftherrlich, daß der
Schöpfer des alten Kunftroerkes die Interpretation des-
felben durch ihn nicht uerftehen, ja ablehnen würde.
Dennoch ift feine Suggeftionskraft fo ftark, daß wir zeit-
weilig ganz in feiner künftlerifchen Anfchauung auf-
gehen. Wie ungenügend bleibt aber diefer Weg! Immer
nur ein ITlofaik, nie ein Organismus! Das ift die tiefe
Tragik im Arbeiten des Kunfthiftorikers: innerlich ganz
Glut der künftlerifchen Anfchauung zu fein und immer
nur im Wort und anderem Kunftroerk zum mangelhaften
Ausdruck zu kommen.

für Winckelmann roar der Träger feiner künftleri-
fchen Anfchauung die Antike. Die Abficht feiner 1764
erfchienenen Gefchichte der Kunft des Altertums ift nicht,

Georg Pübke, friß König-Stift in Bad Harzburg.

Braunfchroeig Kücheneingang. (Vergl. Tafel 150)

flrchitektonifchc Rundfchau 1915
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