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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 29.1913

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flrchifekfonifche Rundfchau

1913,12

Seite VIII

Adolf Wollenberg, Berlin Eingang des Kurhaufes Dr. Weiler in Weitend bei Berlin

Bücherbefprechungen und Büch^ranzeigcn

Die Baukunlt und religiöle Kultur der Chinefen. I. P’u't’o Shan,
die heilige Intel des Kuan yin. Von ernlt Bö rieh mann, mit
208 Bildern und 35 Tafeln. Verlag non Georg Reimer, Berlin. Preis ge-
heftet m. so.

Dies iin Aufträge des Deutlchen Reiches herausgegebene und Seiner
majeltäf dem Kaifer geroidmete Werk, uorausfichtlich das erlte einer längeren
Reihe gleichartiger, erregt unlerc höchfte Aufmerklamkcit. Wir leben in einer
Zeit der geroaltigften Umroälzungen. tn Europa ftiirzt das letjte orientalilche
Reich krachend zulammen, und das alte byzantinifche Reich, feit einem halben
Jahrfaufend mit ehernen Toren gegen den Okzident gefchlollen, ruird roohl
bald roieder zu Europa gehören, und leine zertrümmerten Reite vuerden uns
zu neuer forfchung und geiltiger Befitjnahme zugänglich tuerden.

Der bis uor kurzem Itreng abgelchlollene fernlte Orient hat leine Pforten
für die Europäer und ihr Wefen öffnen müflen; nach Japan ift jetjt China
dem unoermeidlichen Schickfal anheimgefallen, die umltürzende roeltliche
neuerung gezroungen hereinzulallen, und das uiclfaufendjährige Himmlifche
Reich kracht in allen fugen. nicht allzulange mehr mag es dauern, bis
leine bisherige Religion, Sitte, Kultur und Kunft der Vergangenheit angehört.
Es ilt bereits Ipät Abend für lie getoorden. So ift es hohe Zeit, lie noch zu
erfüllen und zu Itudiercn, um ruenigltens ein lieberes Bild der Kerbenden
Gelamtkultur der nachmelt zu retten. Und es mar auch nofroendig, dafj
lolches Unternehmen mit größeren öffentlichen JAitfeln begonnen und fort-
geführt, gemillermafjen amtiieh uerroirklichf roerde.

Der Verfalier hat zu dielem Zroecke China drei Jahre lang bereift, ilt
daher mit dem Gegenftande roohloertraut, belitjt aber auch, mie es Icheint,
die für leine Aufgabe unentbehrlichen Fähigkeiten und Kenntnille in hohem
ITtalie; und das mar das Wichtiglte. Vor allem deshalb, roeil nicht nur heut-
zutage jede mirklich roiffenfchaftliche Erforfchung dieler Art lieh nicht mehr
einleitig auf das blofj Technilche und formale belchränken kann, fondern
auch, roeil gerade in China Kunlt, Kultur, Religion, Philolophie, Dichtung und
Verhältnis zur Flatur ein unlösbares Ganzes bilden, uon dem lieh nichts
Einzelnes herauslölen läfjt. Und Glück genug, dafj heute das alles noch
hinreichend lebendig und fomit uerftändlich und im Zufammenhang uor uns
fteht, um als Ganzes erfafjt roerden zu können. Wie traurig, dafj uns uom
Griechen- und Römertum nur zerriffene Ruinen zugänglich find, aus denen
der Odem des Hebens feit zroeitaufend Jahren mich! Wie unendlich uiel mehr
als alles heute mögliche Kombinieren und Studieren der Trümmer roäre es, auch
nur einen Tag ins einffige antike Heben tauchen zu können !

Im alten China, dem Hände, das lieh rüftet, Vergangenheit zu roerden,
ift das noch möglich. Und fo begrüfjen roir den erften Schritt auf diefem
Wege mit aufrichtigfter Anerkennung und in der ficheren Erwartung, dafj
uiele folche uns tief hineinfördern roerden in das uns noch fa fremde Gebiet.

Es ift nun gar nicht möglich, einen erfchöpfenden Überblick delfen zu
geben, roas uns in diefem erften Bande geboten ift. Erftlich handelt es lieh
eben nicht blofj um die paar Tempel einer heiligen Infel, die dem chinefifchen

Cande gerade in der mitte uorgelagert ilt und faft den öftlichften Punkt des
Reiches bildet, uielmehr um diele Infel als Tlafionalheiligtum mit ihren Bergen,
Tälern und Wäldern, ihren drei Hauptklöftern, ihren Gräbern, ihren Anfie-
delungen, ihrem religiöfen und fonftigen Wefen, das dort lieh uollzieht, ja
felbft mit der Poefie, die das Ganze uergoldet. Das ganze Bild ift heute ein
überreiches, ein Zufammenklang uieler Töne und Harmonien. Und denkt
man lieh die Infel oerlaffen, die Tempel zerfallen — roas roäre dann non
diefem Reichtum in kürzefter Zeit noch übrig! Ein paar mauern, Wege,
Brücken, einige Denkmäler. Die fo leicht erbauten Tempel und Wohnungen
roären roeggeblafcn, ihre Ausftattung oerflogen — und gar keine ITlöglichkeit
mehr gegeben, lieh auch nur annähernd ein Bild deffen zu machen, roas
heute da noch fo frifch und lebendig oor uns fteht.

für uns Architekten ift die Arbeit Börfchmanns, trotjdem es eben ein
Gefamtkulturbild, nicht auf Architektur befchränkt ift, doch oon hoher Be-
deutung und auijerardentlichem Wert. Denn da ift die Architektur noch ganz
ins Heben uerfchmolzen, ein Teil daoon, ein Glied des grollen Körpers, und
im Bereiche eines jeden, nicht ein Stück für lieh, das, nur einer beftimmten
Kaffe fozufagen zugehörig und zugänglich, oon der großen menge hingenommen
roerden mufj, roie es ift. Wir ftreben ja heutzutage ein roenig danach, daf3
es bei uns auch roieder fo roerde, dafj untere Gebäude, grofj und klein,
Gebäude des Volkes, nicht blofj der Architekten, roerden möchten. - ln China
ift das, roie einft in Japan, uöllig erreicht. Die eindringenden Wefteuropäer
haben es leider fchon etroas geftört. —

lllan ficht, ich kann auf das einzelne nicht eingehen, mufj mich oiel-
mehr auf den Hinroeis belchränken, dafj der Verfaffer zuerft die Infel, ihre
Hage, ihre Bedeutung und ihre Gefchichte kurz befchreibt, fodann auf die
drei Tempel P’u toi sze, fa yü sze und fo fing sze bis ins einzelnfte eingeht,
zuletjt den Gräbern und Infchriften gerecht roird. Zum Abfchlufj des Buches
gibt der Verfaffer ein Stück feines Tagebuches.

Wenn ich dem hinzufüge, dafj nun jeder Tempel in feiner Anlage und
Umgebung, mit feinen Hotosteichen, Brücken, Portalbauten, feinen oerfchiedenen
Hallen für das Gebet, größeren und kleineren Tempeln und Kapellen, mit
den umgebenden Wohn-, Pilger- und Gäftehäufern, Schatjhaus und Küche,
Bibliothek, in der Anlage, mit Plänen, Anfichten, Durchfchnitten in Wort und
Bild dargeftellt ift, fodann aber jeder roichtige Bauteil bis ins einzelne und
letjte der Ausftattung befchrieben roird, fa gibt das ein ungefähres Bild des
Gebotenen. Es kommen noch dazu die Einzelkunftroerke, Skulpturen, malereien,
die feftlichen Ausftattungen, die Zeremonien und zuletjt die zahllofen
Sprüche und Gedichte, die als höchfter Schmuck allem die letjte Vollendung
geben. —

Es fei ausdrücklich betont, dafj die Arbeit Börfchmanns in ihrer Art
durchaus neuartig und fo durchgeführt ift, da^ fie nicht nur für Architekten,
fondern für jeden freund der Kunft und des Schönen eine freude ift. Es
läfjt fich leider nichts herausnehmen, roeil eines allzufehr am anderen hängt,
fonff roäre ich gerne auf einzelnes eingegangen. Die bildlichen Darftellungen
in Photographie, Zeichnung und Skizze erfchöpfen den Gegenftand, foroeit das
bei feiner llatur möglich ift, und find trefflich und mufterhaft. Aber der Ver-
faffer ift auch ein höchft gewandter Schriftftcller und feinfühliger ITlenfch,

(Sorflefjung Seite IX)
 
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