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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 3.1969

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Nr. 2
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Junghanns, Kurt: Das Bauhaus und die Kathedrale der Zukunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.31181#0286

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Grosz, Max Beckmann u. a., den Entwurf einer
neuen besonderen Stadt. Diese Arbeit sollte sein
Bekenntnis zum Frieden sein. Er bat sie ,,Dem
Friedfertigen" gewidmet.
,,Es ist nicht denkbar", schrieb er hier ,,daß
Millionen von Menschen ganz dem Materialismus
verfallen, dahinleben, ohne zu wissen, wofür sie
da sind. Es muß etwas in jedes Menschen Brust
leben, das ihn über das Zeitliche hinaushebt und
ihn die Gemeinschaft mit seiner Mitwelt, seiner
Nation, allen Menschen und der ganzen Welt
fühlen läßt. Wo liegt das?" Und er fuhr fort:
,,Sollen wir dahinvegetieren, ohne uns die wahre
Schönheit des Lebens zu schaffen?" Sein Entwurf
sollte eine Antwort auf diese Frage sein, ein
leuchtender Protest gegen den Krieg und die
schrittweise Zerstörung alles Menschlichen. Taut
versuchte sich eine friedliche Gesellschaftsordnung
vorzustellen und erdachte für sie eine entsprechen-
de neue Form der Stadt. Sie sollte ein Zentrum
haben, wo statt der Bauten des Geschäfts und der
Politik nur solche des friedlichen Lebens, der
Kultur, der Künste, der Wissenschaften und des
Sportes sich erheben. Dieses Zentrum dachte er
sich erhöht angeordnet, um es weithin sichtbar
zu machen, und nannte es die
In seinem Projekt waren Opernhaus, Theater,
Konzertsäle, Kinos, Musseen, Bibliotheken, Volks-
häuser mit Klub- und Leseräumen, Wandelgänge,
Gartenhöfe und Terrassen zu einem großen
Ensemble zusammengefügt. Taut hat sich lebhaft
vorgestellt, wie die Menschen sein Zentrum
bevölkern werden, wie sie vielleicht erst in schönen
Lesehallen sich in Bücher vertiefen, um am
Abend ins Theater oder in ein Konzert zu gehen,
und wie sie ihre Erlebnisse schließlich im Durch-
schreiten der stillen nächtlichen Gartenhöfe in
sich abklingen lassen.
Das Besondere der neuen Stadtkrone aber war
ein der alles überragte und an Schön-
heit übertreffen sollte. Taut dachte an ein über-
dimensionales Glashaus, das durch die Pracht
seiner Formen und Farben dem unversieglichen
Glauben an die Schönheit des Lebens und an die
Macht der Menschlichkeit Ausdruck geben sollte.
In seiner Vorstellung war es ein von Sphären-
musik erfüllter Glasdom zur inneren Sammlung
und Besinnung für alle Menschen, ein vom Son-
nenlicht durchstrahltes Tor zum Kosmos mit
seiner Reinheit und seinen unerforschten wunder-

baren Geheimnissen. Deshalb zeichnete er den
Bau gern mit einer Strahlenglorie. Alle Künste
sollten zu seiner Ausgestaltung beitragen. Wie
einst vom Tempel und von der Kathedrale,
schrieb Taut, so werde dieser große Bau das Denken
und Empfinden der Menschen in einem Punkt
zusammenfassen und eine neue Kultur und Kunst
hinunterstrahlen bis zur einfachsten Hütte. So
werde alles wieder in einem großen Gedanken
vereint wie in den Zeiten hoher Kultur. Bei Bruno
Taut tauchte die Idee des ,,großen Baues" zuerst
auf, 1916, hervorgerufen durch die Schrecken des
Krieges und die Ablehnung der kapitalistischen
Welt. 1919 erschien das Werk unter dem Titel
,,Die Stadtkrone" in Buchform und wurde sofort
zum festen Begriff. Taut hatte den Bestrebungen
und Sehnsüchten des fortschrittlichen Teiles der
deutschen Intelligenz damit eine zentrale künst-
lerische Idee gegeben. Sie geisterte seit 1919 als
Kathedrale des Sozialismus, als Kultbau, als
Einheitskunstwerk, als Gesamtkunstwerk, als Volks
haus durch viele Gedanken, Schriften und künst-
lerischen Werke der Nachkriegsjahre in Deutsch-
land. Bekannt dafür sind die phantastischen
Entwürfe für Kultbauten und Volkshäuser von
Hans von den Brüdern Luckhardt und
anderen in leuchtender Glasarchitektur. Allge-
mein herrschte eine grosse Begeisterung für die
Farbe. Licht und Farbe wurden wie Befreier
begrüsst, und die Bewohner einer von Taut
errichteten und sehr bunt gestrichenen Siedlung
in Berlin nähten sich 1919 eine absichtlich ganz
bunte Fahne für ihre Feste, die FuTme des Propre-
Food.
Taut war nach der Novemberrevolution auch
die treibende Kraft bei der Verwirklinchung
seiner neuen Idee. Er gründete mit seinem Bruder
Max Taut, W. Gropius, A. Behne und einigen
anderen den Arbeitsrat für Kunst und sorgte
dafür, dass der,,Grosse Bau" zu einem der Haupt-
anliegen dieses Zusammenschlusses wurde. Er
bildete hier eine Arbeitsgemeinschaft aus Ver-
tretern der verschiedenen Künste, die mit dem
Entwurf für ein grosses zentrales Bauwerk prak-
tisch beginnen sollten. Er war von dem Gedanken
so besessen, dass er schliesslich ein Architektur-
schauspiel skizzierte, das das Emporwachsen
eines solchen Baues in vielen Szenen darstellen
sollte.

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