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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 3.1969

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Nr. 2
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Farner, Konrad: Die Oktoberrevolution und die Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.31181#0361

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Moskau das ,,Institut für künstlerische Kultur"
zu gründen und 1921 die ,, Akademie der Kunst
und Wissenschaft", wird er Professor an der
Kunsthochschule; aber er steht mit seiner Malerei
und seiner Kunsttheorie abseits, er bleibt gesell-
schaftlich im luftleeren Raum — seine metaphy-
sischen Bilder einer Heilung durch den Geist sind
weltanschaulich dem Dialektischen Materialismus
der proletarischen Revolution völlig entgegen-
gesetzt. Er ist und bleibt Platoniker, seine Kunst
ist und bleibt abstrakt. Er ist so wenig die jetzige
Realität wie Malewitsch mit seinem Suprematis-
mus und Petroff mit seinem verspäteten Symbo-
lismus, wie Larionow mit seinem Rayonnismus
und Lebedeif mit seinem Kubismus . . . Die andern
aber, die Konstruktivsten und Kubo-Futuristen,
die Biomechaniker und Dynamisten, sie alle
befinden sich zwar nicht abseits des politischen
und sozialen Geschehens, im Gegenteil, sie sind
direkter Widerschein der momentanen Revolutions-
geschehnisse und deshalb, gerade als extremer
Gegenpol der reinen ,,dauernden und absoluten"
Abstraktion blosse Tageskunst, bloss zeitlich
bedingt, bewusst und betont relativ, Ausdruck
einer ganz besonderen aktuellen gesellschaftlichen
Situation, eines gesellschaftlichen Fieberzustandes:
sie sind die Revolution während ihres Ausbruches
und Furors, sie sind in ihrem hektischen Pathos
und ihrem rasenden Tun blosser Begleitumstand
der Revolution, Blut und Schweiss einer kreissenden
Geb urt.
So befinden sich die Künstler, die einerseites
das Absolute in einer ewige Werte beanspruchenden
Abstraktion ersehnen, und die anderseits das Re-
lative in einer schnellvergänglichen, dynamischen
Konstruktion suchen, gleichermassen im Gegensatz
zum gesellschaftlichen Realismus Lenins, wie denn
auch das Traktat der holländischen Stijl-Gruppe,
gerichtet an die Künstler Europas, der denkbar
grösste Gegenpol ist zum Aufruf Lenins ,,An Alle!",
gerichtet an die Völker Europas — beides Mani-
feste der gleichen Zeit, des denkwürdigen Oktober
1917.
Die Wirrnis, die politisch wie künstlerisch die
Oktober-Revolution begleitet, ebbt nun langsam
ab: allmählich beginnen sich die politischen Grup-
pen zu kristallisieren in der Partei der Bolschewiki,
beginnen sich die Künstlergruppen zu entwirren
und aufzulösen, um sich dann ebenfalls neu zu
sammeln. Nach der Beendigung des fast drei

Jahre dauernden, unzählige Opfer heischenden
Bürgerkrieges und der überaus schwierigen Wi-
derherstellung der Volkswirtschaft zeichnet sich
langsam die Konsolidierung des neuen Sowjetstaa-
tes ab, kommt es 1922 zur Bildung der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken. Hand in Hand
mit der ökonomischen Rekonstruktion und dem
Ausbau einer neuen materiallen Basis der Ge-
sellschaft folgt die Entfaltung eines neuen geistigen
Ueberbaues: Millionen von Arbeitern und Bauern
lernen schreiben und lesen, tausende von Schulen
werden gebaut, unzählige Bibliotheken werden
errichtet, überall werden Theater eröffnet — im
Jahr 1920 gibt es allein innerhalb der Roten
Armee an die zweitausend Theatergruppen und
dramatische Zirkel. Die Begegnung des Volkes
mit der Kunst in solch grossem Ausmass ist
tatsächlich erstmalig in der Menschengeschichte.
Diese Begegnung jedoch ist ein komplizierter
dialektischer Prozess, der doppeltes verlangt:
das Volk muss sein künstlerisches Bewusstsein
ständig heben und differenzieren, der Künstler
muss eine Aussage machen, die dem Volk We-
sentliches verständlich mitteilt; und das Wesent-
liche ist jetzt die stattfindende Aenderung der
Gesellschaft, die Verwirklichung der revolutionären
Postuláte. Aber wie soll die abstrakte Kunst
diese Mitteilung machen, wo sie doch zuletzt,
menschlich gesehen, individualistisch-existentiell
verankert ist, weltanschaulich gesehen, platonisch-
metaphysisch fixiert? Wie soll das Volk diese
abstrakte Aussage verstehen, die innerhalb der
bisherigen Kunstgeschichte etwas völlig Unge-
wohntes darstellt und die erst noch in einer Sprache
redet, deren Vokabular sogar die ästhetisch Ge-
bildeten der bürgerlichen Klasse nur allmählich
erfassen, und das zudem Missverständnissen Tor
und Tür öffnet? Wie soll das Volk, auch das
revolutionäre, auf Bildung und neues Wissen
erpichte Volk dieser Malerei begegnen, die be-
hauptet, allein die wahre Revolution zu vertreten
und die eifernd und nicht selten geifernd die
gesamte künstlerische Tradition verneint, sogar
verachtet? — Es ist Malewitsch, der höhnisch
Chagall als einen Gestrigen bezeichnet und ver-
treibt! Wie soll sich das Volk, das mit naturalisti-
schen Augen die unmittelbar verständliche, eben
,volkstümliche" Malerei des späten neunzehnten
Jahrhunderts betrachtet oder ihr erstmals be-
gegnet, dieser Kunst der Historienbilder und

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