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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 1991

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Bakoš, Ján: Peripherie und kunsthistorische Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.51720#0008
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dem die regionalen Gebiete verurteilt sind. Sobald die
künstliche Vorstellung der Universalität abgeschafft
und durch die Vorstellung der regionalen Pluralität
ersetzt wird, aus der die angebliche Universalität
besteht, fällt auch die pejorative Gleichstellung der
Region mit der Peripherie oder Provinz weg. Die sog.
universelle Entwicklung ist nicht nur eine nachträgli-
che Resultante der Pluralität regionaler Entwicklungs-
reihen, sondern zusammen damit geht es auch um die
Tatsache, daß die Entwicklung nicht monozentristisch,
nicht einmal in ihrem Kern geschichtlich intakt ist.
Umgekehrt, die Entwicklung spielt sich nicht nur in
mehreren pluralistischen Entwicklungsströmen ab,
sondern auch in mehreren regionalen Zentren. Die
eigene Identität einzelner Regionen wechselt historisch
und Zentren verlagern sich. Folglich ist die Kunstent-
wicklung nicht nur polyphon, sondern auch ihre
angebliche Universalität ist eine Folge des Zusammen-
wirkens der Pluralität regionaler Entwicklungsinitiati-
ven, regionaler Zentren, aber auch die eigene Struktur
der beteiligten Elemente — Regionen — strukturiert
sich historisch um.
Gegenüber dieser pluralistischen und historizisti-
schen Vorstellung ist Bialostockis Modell der Position
der Randgebiete statischer, aber dafür breiter. Die
Entwicklung ist für ihn kein Synonym des Schöpfer-
tums, deshalb ist er nicht um die Relativisierung der
Konzeption der universellen Gültigkeit der Entwick-
lung bemüht. Sein rehabilitierender Schnitt reicht
jedoch tiefer. Er rehabilitiert die Funktionsfähigkeit
und Gleichberechtigung solcher Phänomene wie „Peri-
pherie“ und „Provinz“. Er nimmt von ihnen das
Brandmal des Unschöpferischen, Kunstlosen und Un-
künstlerischen. Im Gegenteil reiht er sie als spezifische
Kategorien wieder in das kategoriale System der
Kunstwissenschaft ein. Sie kennzeichnen nach ihm
beachtenswerte konstituierende Elemente des kunsthi-
storischen Geschehens, die nicht nur als Merkmale
negativer Qualität zu verstehen sind. Sie sind spezifi-
sche, charakteristisch situierte Erscheinungen der
Kunstgeschichte, die genau zu beschreiben, zu charak-
terisieren und zu verstehen sind. Zu verstehen in ihrer
Spezifik, Struktur und Aufgabe, in der Funktion, die sie
im kunsthistorischen Geschehen spielen.
Im eigenständigen Projekt des Washingtoner Kon-
gresses fand jedoch weiterhin die Anerkennung des
Zentrismus bzw. der zentralistischen Hierarchie um-
fassende Zustimmung: Der Untertitel des ersten

Hauptthemas des Kongresses — „Zentrum und Peri-
pherie“ — lautete „Dissimilation und Assimilation des
Stils“.3 Es ist offensichtlich, daß dem Zentrum die
Stilbildung der Kunst zugestanden und vorausgesetzt
wird, daß sie von dort her in nichtzentrale Gebiete als
Dissémination ausgeweitet wird — also ein Verbreiten.
Randgebieten wird zwar eine Aktivität zugestanden,
aber nur in Gestalt des Zutritts zu dem angenommenen
„Samen“, und das als Fähigkeit ihn sich anzueignen
und anzupassen (zu assimilieren). Diese vorausgesetzte
Basis akzeptierte auch Bialostocki. Es ging ihm nicht
darum, die Auffassung vom Zentrum zu relativisieren,
es ging ihm also um nichts ähnliches wie Vayer, der sich
zugetraute die eigene Identität der Entwicklung zu
relativisieren. Es ging ihm darum, das Statut nichtzen-
traler Gebiete der Kunstgeschichte zu rehabilitieren,
sie genauer zu kategorisieren und zu spezifieren und
ihre gemeinsamen, mit dem Voranschreiten der Zeit
widerstandsfähigen Charakterzüge zu finden, die aus
ihnen synchrone Kategorien der Geschichte machen.
Allein der Titel von Bialostockis Referat kündigt offen
die rehabilitierende Absicht an: „Einige Werte der
künstlerischen Peripherien“.6 Das Wörtchen „einige“
verrät weiterhin den zentralistischen Ausgangspunkt
und relativiert das rehabilitierende Maß. Das Krite-
rium ist jedoch nicht das, was es im Modell Vayers
— die Entwicklungskontinuität — war. Das Verhältnis
zwischen dem Zentrum und den Randgebieten wird
nicht mit diesem Wert gemessen. Der grundsätzliche
Unterschied zwischen ihnen besteht nach Bialostocki
auf quantitativer Ebene — in der Geschwindigkeit des
Geschehens. Nicht die Fähigkeit die Probleme zu lösen
und ihre Lösungen zu entwickeln, sondern die Ge-
schwindigkeit und Langsamkeit der Ereignisse unter-
scheidet das Zentrum von der Peripherie. Von dieser
Seite her ist es nach dem Autor nötig, zwischen weiteren
verschiedenen Typen von Rangebieten zu unterschei-
den. Er stütz sich auf L. Karaman7, der zwischen
Provinzen und Peripherien unterscheidet. Provinzen
sind dem Zentrum näher gelegen, deshalb sind sie dem
Einfluß des einen, allernächsten Zentrums untergeord-
net, dessen Anregungen und Impulse sie vereinfachen
und reduzieren. Die Peripherien, im Unterschied dazu,
sind entfernter gelegen, deshalb unterliegen sie den
Kontakten mit mehreren Zentren, haben also die
Möglichkeit der Auswahl mit der Konsequenz, daß sie
häufiger zu eigenständigen Ergebnissen reifen. Nicht
nur die Geschwindigkeit der Veränderungen, und auch

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