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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 1991

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Bakoš, Ján: Peripherie und kunsthistorische Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.51720#0010

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an die Spitze der Publikation gestellt wurde, die auf
neue Art Grundfragen der italienischen — also von
unserem Standpunkt aus entwicklungsbildenden
— Kunst ordnet. Es ist gerade die italienische Kunst,
wie die Autoren bemerken, wo sich die Problematik der
Beziehung der Zentren und der Peripherien zuspitzt,
wo sie außerordentlich markante Konturen deshalb
erhält, weil hier in enger Nachbarschaft sowohl Brenn-
punkte künstlerischen Geschehens als auch Gebiete der
Transformation ihrer Errungenschaften gemeinsam
existierten. Vom Standpunkt dieser Tatsache aus ist
logisch nicht nur, daß die Beziehung Zentrum — Peri-
pherie die Autoren im ersten Plan thematisieren und als
fundamentales Problem der italienischen Kunstge-
schichte verstehen, sondern vor allem deshalb, weil sie
die genannte Beziehung ablehnen als antithetisch zu
verstehen. Das Begriffspaar Zentrum — Peripherie
halten sie für ein komplementäres Paar, was mit anderen
Worten heißt: Zentrum und Peripherie bedingen sich
gegenseitig. Das Zentrum zeugt nicht allein die Peri-
pherie, sondern die Peripherie schafft, vollendet, recht-
fertig und ergänzt sinnvoll die Existenz des Zentrums.
Die Abhängigkeit ist also gegenseitig.
Für das antithetische Verständnis von Zentrum und
Peripherie (wenn man die Peripherie für eine negative
und völlig passive Erscheinung hält) enthüllen die
Autoren das Dilemma zwischen Kreativität im idealis-
tischen Sinne (der Geist führt wohin er will) und dem
summarischen Soziologismus.10 Anders gesagt, der
zentralistische Hegemonismus (das dualistische Ab-
sondern und das Stellen des Zentrums und der Periphe-
rie gegen und über sich) beruht auf dem verschwiege-
nen axiologischen Dualismus von Autonomismus ver-
sus Determinismus: Das Schaffensvermögen wird für
die absolute Freiheit und durch alle Beziehungen
transzendierend gehalten, wobei es völlig dem Zentrum
zugeschrieben wird, die Verbreitung der Früchte des
Schaffensvermögens für eine völlig determinierte und
passive, in den Bereich der Soziologie fallende Tätigkeit
zu halten, die sich ausschließlich mit der Peripherie
verbindet. Die strenge Abgrenzung der künstlerischen
Autonomie von der gesellschaftlichen Bindung und der
Kreativität von der sozialen Kommunikation hat die
hermetische Isolierung des Zentrums von der Periphe-
rie zur Folge, ihre Kontraposition als Sphäre schöpferi-
scher Aktivität und als Sphäre passiver Abhängigkeit.
Diesen Dualismus zu überwinden ist nach Castelnuovo
und Ginsburg eine erstrangige Aufgabe, die jedoch

voraussetzt, die künstlerischen mit den nichtkünstleri-
schen Erscheinungen in Beziehung zu setzen. Das
Verhältnis von Zentrum und Peripherie impliziert also
das Problem der Beziehung Kunst und Gesellschaft.
Die Bestimmung dieser Beziehung beinhaltet die Ant-
wort auf diese Kardinalfrage. Wie man die Beziehung
der Kunst zur Sozietät begreift, so erscheint auch die
Beziehung der Zentren und Peripherien.
Es existiert jedoch noch ein weiterer Grund, weshalb
die Problematik von Zentrum und Peripherie den
ersten Platz in der Storia dell’arte italiana bekam. Bis
heute, so konstatieren die Autoren, spielt sich die
Erforschung der italienischen Kunstgeschichte an dem
Horizont ab, den am Übergang vom 18. zum 19.
Jahrhundert L. Lanzi mit seiner Arbeit „Storia pittori-
ca della Italiana...“11 bestimmte. Es war gerade diese
Publikation, mit der Lanzi die Grundlagen des regiona-
len Pluralismus legte, der Konzeption, nach der sich die
Kunstgeschichte aus der Pluralität gleichwertiger re-
gionaler Einheiten zusammensetzt. Lanzi formulierte
die Kunstgeschichte Italiens als Geschichte der parallel
existierenden, eigenständigen und sich ihre Identität
erhaltenden Kunstschulen. Im Unterschied zu Wink-
kelmann verstand er sie nicht als nationale Schulen,
sondern als geographische Schulen (Stadt- bzw. Land-
schaftsschulen), infolgedessen wurde für ihn das kunst-
historische Bild in erhöhtem Maße pluralistisch. Das
war selbstverständlich kein Universalismus (Theorie
der allgemein gültigen, gesetzmäßig verlaufenden,
notwendigen und linearen Entwicklung der Kunst), auf
den Lanzi mit seinem „Polyzentrismus“ reagierte. Es
war ein Biographismus (Kunstgeschichte verstanden
als Künstlerviten), der die kunsthistorische Szene
wenigstens seit Vasari beherrscht, dessen isolierte
Zergliederung und Desorganisiertheit Lanzi ganz im
Geiste der Aufklärung durch eine klar gegliederte
historische Struktur ersetzen wollte. Folglich war es
nicht romantischer Nationalismus, sondern aufkläreri-
scher Rationalismus, der seine Hand führte, als er die
Struktur der Kunstgeschichte als pluralistisch zusam-
mengesetztes Terrain parallel existierender Zentren
und Schulen formulierte, von denen jede ihre Spezifik
und Identität sich bewahrt, den Rahmen individuellen
Schaffens abgrenzt, und in Koexistenz mit anderen
Schulen über das endgültige Geschichtsbild als Mosaik
mitentscheidet. Es war ganz im Geist der Aufklärung,
daß im Vordergrund von Lanzis Aufmerksamkeit nicht
die diachrone sondern die synchrone Struktur der

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