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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 42.2009

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Carqué, Bernd: Epistemische Stile der Vergegenwärtigung: französisches und ungarisches Mittelalter auf der Pariser Weltausstellung 1900
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https://doi.org/10.11588/diglit.51714#0072

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Bauten zur Budapester Millenniumsausstellung 1896
näher in Augenschein genommen werden.


2. Das ungarische Palais am Quai d’Orsay. Repro: MMLKOWSKY
1900 (wieAnm. 69), S. 263.

fragen, die in Frankreich zur Folge hatten, daß dort
seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die nationale Se-
mantik des Mittelalters ebenso einer fortschreitenden
Marginalisierung unterlag wie dessen historisierende
Vergegenwärtigung vermöge der künstlerischen Ima-
gination. Vor diesem Hintergrund sind sodann (II.)
die Inszenierungsformen, Deutungsleistungen und
Sinnangebote des Vieux Paris genauer zu verorten,
bevor von dort aus schließlich (III.) der ungarische
Pavillon und dessen Vorgeschichte in Gestalt der

I.
Eine Tafel aus Anatole de Baudots La sculpture
française (1884)6 führt uns auf scheinbar vertrautes
Terrain [Abb. 3]. Entspricht die Art und Weise ihrer
Objektpräsentation doch vollkommen dem, was uns
in jenen zahlreichen Mappenwerken und Foliobän-
den vor Augen steht, die in den Dezennien um 1900
im Medium der Heliogravüre oder Autotypie pho-
tographische Aufnahmen zu Tableaus arrangierten,
die bau- und bildkünstlerische Belegstücke für die je
eigene Stilphysiognomie der Jahrhunderte versam-
meln: Die Objekte zeigen sich bevorzugt nahsichtig
in den Blick genommen, meist bildparallel ausgerich-
tet, in Schärfe und Ausleuchtung gleichmäßig erfaßt
sowie zuweilen freigestellt. Stutzig macht freilich, was
diese Tafel auf solche Weise zur Anschauung bringt
und ganz selbstverständlich als „Sculpture française
— Ile-de-France -XIIIe siècle' deklariert. Denn bekannt-
lich handelt es sich bei den Monstren und Chimären
um eben jene Skulpturen, welche die Equipe um den
Bildhauer Victor-Joseph Pyanet auf Veranlassung
und nach den Entwürfen des Architekten und Res-
taurators Eugène-Emmanuel Viollet-le-Duc gegen
1850 für die Balustrade der Pariser Kathedraltürme
geschaffen hat.7
Umfassend dokumentiert finden sich diese
Figuren unter den über 6000 Aufnahmen, die der
Photograph Séraphin-Médéric Mieusement seit
1876 im Auftrag der Commission des Monuments his-
toriques und anderer Denkmalpflegebehörden von
Bau- und Bildwerken insbesondere des Mittelalters
angefertigt hat.8 400 dieser um höchste Präzision
und Objektivität der Darstellung bemühten Bil-
der wählte das Kommissionsmitglied Anatole de
Baudot9 für sein Tafelwerk aus, das im visuellen

6 BAUDOT, A. de (Hrsg.): Dz sculpturefrançaise au Moyen Age et
à la Renaissance. Paris 1884.
MACÉ DE LÉPINAY, F.: Geoffroy-Dechaume et la restau-
ration de la sculpture de Notre-Dame de Paris (1848 — 1867).
In: De Plâtre et d’Or. Geoffroy-Dechaume, sculpteur romantique
de Viollet-le-Duc. Nesles-la-Vallée 1998, S. 157-171; künftig
umfassend zu diesen Figuren und ihrem Imaginarium CA-

MILLE, M.: The Gargoyles of Notre-Dame. Medievalism and the
Monsters of Modernity. Chicago 2009 (im Druck).
8 Mieusement, cathédrales de France. Photographies du XIX’ siècle. Paris
1988; Regards objectifs. Mieusement et Lesueur, photographes à Rlois.
Paris 2000.
9 Zur Person LENIAUD, J.-M.: Les cathédrales au XIX' siècle.
Paris 1993, S. 119 ff, 612 ff. und passim.

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