leptische Bild ist geboren.98 Dieses Bild kennt keine
Grenzen, sondern nur Auflösung und Verflüssigung:
seine verschlingende Wirkung ist essentiell, es ist
ein verschmelzendes Bild der Einswerdung und der
Vernichtung wie die Nymphe selbst.99
Übertragen wir diese Dynamik nun auf die Bild-
sprache Botticellis. Botticelli hat die Identität der
Ninfa in einem Exzess sowohl der stilistischen als
auch der inhaltlichen Bedeutung emuliert. Der Fluss
der Kleidung, die Flut des weiblichen Tanzes und der
Ozean der Bildoberfläche — grenzenlos, verflüssigt
und verflüssigend zugleich - bringt eine nymphische
Handschrift hervor, die erschüttert wie die das pani-
sche mystériumfascinans. Der Künstler hat das Gefühl
des künstlerischen Zeitgeistes von den Vibrationen in
der Tiefe des Bauches in ungekannte Höhen getrie-
ben, wie sehr diese Kunst auch augenscheinlich bei
ihrem Gegenteil ansetzt: dem Verstandesmäßigen
des humanistischen Ideals.100
Wir wissen, dass der Begriff Zeitgeist heutzutage
als zu beladen betrachtet wird, ja reaktionär klingt.
Nichtsdestotrotz schafft diese Perspektive eine erste
Hinwendung zum nymphischen Affekt, die Paul Van-
denbroeck kürzlich ausgehend vom Phänomen des
Stilbruchs und dem locus einer Schwelle im „Fühlen
der Formen“ weiter vorangetrieben hat.101 Die Nymphe
des Quattrocento wie die Judith Botticellis betreffen
die Essenz einer künstlerischen Handschrift, die
98 Georges Didi-Huberman verbindet die Nymphe schließlich
mit dem Tod (supra): „Sogesehen ist sie ywiefach flüssig: unstet und
ausgreifend wie das Leben, ansteckend und ungreifbar wie der Tod.“
99 Siehe auch QUACKENBOS, J.: The Transliminal. In: The
North American Review, 183,1906, Nr. 597, S. 237-249, hier S.
237: fi'ransliminal means across the ihres hold. It supposes a dividing-
line (Urnen) between the every-day waking and working mind, conscious
of its own acts and States, and an extended realm of spirit beyond the
region of sense and remotefrom man's objective ken.“
100CRUM, R. J.: Judith between the Private and Public Realms
in Renaissance Florence. In: The Sword of Judith. Judith Studies
across Disciplines. Hrsg. K. R. BRINE u. a. Cambridge 2010,
S. 291-306.
101VANDENBROECK, P.: Late Gothic Mannerism in Antwerp:
On the Significance of a ‘Contriveď Style. In: Antwerp
Royal Museum Annual, 2004 - 2005, S. 301-330. Siehe auch
MUCHEMBLED, R.: The Order of Gestures. A Social
History of Sensibilities under the Ancien régime in France.
In: ROODENBERG, H. u. a. (Hrsg.): A Cultural History of
Dezentralisierung, Fragmentierung, Überwuche-
rung, ausladende Konturen und Unübersichtlichkeit
huldigt. Diese Charakteristika des bewegten Beiwerks
dürfen dann auch verführen und beunruhigen. Die
Hyperemotinalität dieser „Aufwühlungen“ scheinen
sich sympathetisch in eine Körperlichkeit zu trans-
formieren, die die alte Formensprache sprengt. Nach
Vandenbroeck entstehen solche (scheinbaren) Ano-
malien oder Übergänge in der Kunstentwicklung,
immer wenn ein herrschender Blick nicht mehr zu
genügen vermag und die künsderische psyché auf die
Suche nach neuen Wegen geht.102 * Solch ein Prozess,
ein Stilwechsel, sorgt dafür, dass neue künstlerische
Freiräume erschlossen werden müssen, in unserem
Fall die ekphrasis.
Vandenbroek vergleicht den neuen genius loci des
Stils mit der künstlerischen chora\vň der Schauplatz
eines souveränen und bedeutungsgeladenen Beitrags
des Künstlers, der zugleich auch eine Fundstätte
spontanen, teilweise unbewussten Formenausdrucks
ist.104 Auch hier häuft sich die Proliferation des
künstlerischen Freiraums — das schon oft erwähnte
Beiwerk — im Motiv der Nymphe. Diese neue rebel-
lierende Handschrift huldigt der Dezentralisierung,
der Fragmentierung und Überwucherung, wird eine
nympholeptische Bildsprache.
Der Störsender in Ghirlandaios Zyklus setzte
tatsächlich neue Pulsschläge frei, die ihren Ursprung
Gesture. Cambridge 1991, S. 129-151; NOVA, A.: Folengo and
Romanino. The ‘Questione della lengua’ and Its Eccentric
Trends. In: Art Bulletin, 76, 1994, S. 664-679; OTTINGER,
K.: Laube, Garten und Wald. Zu einer Theorie der süddeut-
schen Sakralkunst 1470-1520. In: Festschrift Jur Hans Sedlmayr.
München 1962, S. 78-98, 201-228; GOLSENNE, Th.: Les
miracles de la peau. Figures de l’incarnation dans les arts
visuels (XlVe - XVe siècles). In: Extremities and Excrescences
of the Body (=Micrologus, 20). Milano 2012, S. 433-450.
102Der Autor geht hierin weiter, als wir beabsichtigen, und
versteht den herrschenden Blick auch als einen fixierenden
fallozentrischen.
103 Chora (Khord) ist nach Platons Timaeus ein Ort, ein Intervall der
Potentialität, wie Matrix und Uterus. Siehe auch DERRIDA,
J.: Khöra. In: DUTOIT, T. (Hrsg.): On the Name. Stanford
— Paris 1995.
104MARGARONI, M.: The Lost Foundation: Kristeva’s Semi-
otic Chora and Its Ambiguous Legacy. In: Hypatia, 20, 2005,
S. 78-98.
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Grenzen, sondern nur Auflösung und Verflüssigung:
seine verschlingende Wirkung ist essentiell, es ist
ein verschmelzendes Bild der Einswerdung und der
Vernichtung wie die Nymphe selbst.99
Übertragen wir diese Dynamik nun auf die Bild-
sprache Botticellis. Botticelli hat die Identität der
Ninfa in einem Exzess sowohl der stilistischen als
auch der inhaltlichen Bedeutung emuliert. Der Fluss
der Kleidung, die Flut des weiblichen Tanzes und der
Ozean der Bildoberfläche — grenzenlos, verflüssigt
und verflüssigend zugleich - bringt eine nymphische
Handschrift hervor, die erschüttert wie die das pani-
sche mystériumfascinans. Der Künstler hat das Gefühl
des künstlerischen Zeitgeistes von den Vibrationen in
der Tiefe des Bauches in ungekannte Höhen getrie-
ben, wie sehr diese Kunst auch augenscheinlich bei
ihrem Gegenteil ansetzt: dem Verstandesmäßigen
des humanistischen Ideals.100
Wir wissen, dass der Begriff Zeitgeist heutzutage
als zu beladen betrachtet wird, ja reaktionär klingt.
Nichtsdestotrotz schafft diese Perspektive eine erste
Hinwendung zum nymphischen Affekt, die Paul Van-
denbroeck kürzlich ausgehend vom Phänomen des
Stilbruchs und dem locus einer Schwelle im „Fühlen
der Formen“ weiter vorangetrieben hat.101 Die Nymphe
des Quattrocento wie die Judith Botticellis betreffen
die Essenz einer künstlerischen Handschrift, die
98 Georges Didi-Huberman verbindet die Nymphe schließlich
mit dem Tod (supra): „Sogesehen ist sie ywiefach flüssig: unstet und
ausgreifend wie das Leben, ansteckend und ungreifbar wie der Tod.“
99 Siehe auch QUACKENBOS, J.: The Transliminal. In: The
North American Review, 183,1906, Nr. 597, S. 237-249, hier S.
237: fi'ransliminal means across the ihres hold. It supposes a dividing-
line (Urnen) between the every-day waking and working mind, conscious
of its own acts and States, and an extended realm of spirit beyond the
region of sense and remotefrom man's objective ken.“
100CRUM, R. J.: Judith between the Private and Public Realms
in Renaissance Florence. In: The Sword of Judith. Judith Studies
across Disciplines. Hrsg. K. R. BRINE u. a. Cambridge 2010,
S. 291-306.
101VANDENBROECK, P.: Late Gothic Mannerism in Antwerp:
On the Significance of a ‘Contriveď Style. In: Antwerp
Royal Museum Annual, 2004 - 2005, S. 301-330. Siehe auch
MUCHEMBLED, R.: The Order of Gestures. A Social
History of Sensibilities under the Ancien régime in France.
In: ROODENBERG, H. u. a. (Hrsg.): A Cultural History of
Dezentralisierung, Fragmentierung, Überwuche-
rung, ausladende Konturen und Unübersichtlichkeit
huldigt. Diese Charakteristika des bewegten Beiwerks
dürfen dann auch verführen und beunruhigen. Die
Hyperemotinalität dieser „Aufwühlungen“ scheinen
sich sympathetisch in eine Körperlichkeit zu trans-
formieren, die die alte Formensprache sprengt. Nach
Vandenbroeck entstehen solche (scheinbaren) Ano-
malien oder Übergänge in der Kunstentwicklung,
immer wenn ein herrschender Blick nicht mehr zu
genügen vermag und die künsderische psyché auf die
Suche nach neuen Wegen geht.102 * Solch ein Prozess,
ein Stilwechsel, sorgt dafür, dass neue künstlerische
Freiräume erschlossen werden müssen, in unserem
Fall die ekphrasis.
Vandenbroek vergleicht den neuen genius loci des
Stils mit der künstlerischen chora\vň der Schauplatz
eines souveränen und bedeutungsgeladenen Beitrags
des Künstlers, der zugleich auch eine Fundstätte
spontanen, teilweise unbewussten Formenausdrucks
ist.104 Auch hier häuft sich die Proliferation des
künstlerischen Freiraums — das schon oft erwähnte
Beiwerk — im Motiv der Nymphe. Diese neue rebel-
lierende Handschrift huldigt der Dezentralisierung,
der Fragmentierung und Überwucherung, wird eine
nympholeptische Bildsprache.
Der Störsender in Ghirlandaios Zyklus setzte
tatsächlich neue Pulsschläge frei, die ihren Ursprung
Gesture. Cambridge 1991, S. 129-151; NOVA, A.: Folengo and
Romanino. The ‘Questione della lengua’ and Its Eccentric
Trends. In: Art Bulletin, 76, 1994, S. 664-679; OTTINGER,
K.: Laube, Garten und Wald. Zu einer Theorie der süddeut-
schen Sakralkunst 1470-1520. In: Festschrift Jur Hans Sedlmayr.
München 1962, S. 78-98, 201-228; GOLSENNE, Th.: Les
miracles de la peau. Figures de l’incarnation dans les arts
visuels (XlVe - XVe siècles). In: Extremities and Excrescences
of the Body (=Micrologus, 20). Milano 2012, S. 433-450.
102Der Autor geht hierin weiter, als wir beabsichtigen, und
versteht den herrschenden Blick auch als einen fixierenden
fallozentrischen.
103 Chora (Khord) ist nach Platons Timaeus ein Ort, ein Intervall der
Potentialität, wie Matrix und Uterus. Siehe auch DERRIDA,
J.: Khöra. In: DUTOIT, T. (Hrsg.): On the Name. Stanford
— Paris 1995.
104MARGARONI, M.: The Lost Foundation: Kristeva’s Semi-
otic Chora and Its Ambiguous Legacy. In: Hypatia, 20, 2005,
S. 78-98.
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