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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 48.2015

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Pelc, Milan: Der Manierismus zwischen gegensätzlichen Urteilen: der Fall Grgo Gamulin
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https://doi.org/10.11588/diglit.52446#0186

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dem bis 1955 ca. 16.000 ideologisch Verdächtige und
der Kollaboration mit der Sowjetunion beschuldigte
Kommunisten ohne legalen Gerichtsprozess inter-
niert wurden. Diese jugoslawische Parteirealität um
1950 war sicherlich auch für Gamulins Wirken und
Denken nicht ohne Bedeutung. Das bezeugt gerade
seine polemische Schrift aus dem Jahr 1951, in der er
programmatisch die dogmatische Theorie Ždanovs
und anderer sowjetischer Autoren im Hinblick auf
die Geschichte der Kunst und Ästhetik angreift und
ablehnt.12 Gamulins Kritik an Zdanov und der sowje-
tischen Kulturideologie stimmt völlig mit der neuen,
sich von der Sowjetunion distanzierenden Parteipo-
litik im Jugoslawien Titos nach 1948 überein.
Die ideologische Einstellung zur Renaissance und
zum Manierismus war in den Ländern Ostmittel- und
Südosteuropas unmittelbar nach dem Zweiten Welt-
krieg und bis in die Mitte der 1950er Jahre vergleich-
bar. Sie lässt sich grob auf die folgende Polarisierung
zurückführen: Renaissance — fortschrittlich und
positiv, Manierismus — reaktionär und negativ.13 Die
Ideologisierung machte sich besonders in der Univer-
sitätslehre bemerkbar. Denn die Dozenten vermit-
telten ihren Studenten die Lehrmaterie im Einklang
mit der marxistischen Dogmatik. So bestand eine der
Aufgaben Gamulins darin, den Unterricht der Kunst-
geschichte an der Universität Zagreb ab 1947 neu zu
organisieren. Als Professor für die Kunst der Frühen
Neuzeit schrieb er auch ein umfangreiches Lehrbuch

12 GAMULIN 1951, (wie Anm. 11), besonders S. 175 f.
13 Diese Behauptung ist zwar verallgemeinernd, aber sie kann
durch viele Texte von Autoren aus allen ehemaligen kom-
munistischen Ländern belegt werden. Stellvertretend vgl.
KLANICZAY, T: Probleme der ungarischen Spätrenaissance
(Stoizismus und Manierismus). In: IRMSCHERJ. (Hrsg.): Re-
naissance und Humanismus in Mittel- und Osteuropa. Eine Sammlung
von Materialien. Bd. 2. Berlin 1962, S. 87-94. Der Manierismus
in Literatur und bildender Kunst Ungarns wird darin als die
Kunst einer Gesellschaft am Beginn des 17. Jahrhunderts
bewertet, die in eine „krisenhafte Phase“ geraten sei, wobei
auch in der Kunst als solcher die Zeichen der Krise und des
Verfalls erkennbar seien (vgl. S. 93 f.).
14 GAMULIN, G: Visoka i kasna renesansa u Italiji [Hoch- und
Spätrenaissance in Italien], Zagreb 1951.
15 „Die Kunst des Manierismus im 16. Jahrhundert ist die Kunst
der großen Periode des Humanismus im Niedergang, eine

zur Kunst des 16. Jahrhunderts in Italien, das 1951
vervielfältigt wurde und als Prüfungsliteratur bis in
die sechziger Jahre verwendet worden ist.14 In ihm
wird der Manierismus als eine kraftlose, regressive,
auf Imitation und gekünstelte Effekte orientierte
Kunsterscheinung dargestellt, die auf die vollblütige,
kreative, realistisch-idealistische Klassik — getragen
von progressiven Humanisten - folgte. Als Stil des
ästhetischen Verfalls war der Manierismus Gamulins
Meinung nach nur im Zusammenhang mit der kirch-
lichen und feudalen Reaktion im 16. Jahrhundert
sinnvoll zu erklären.15
Ob und wie lang Gamulin diese Einstellung zum
Manierismus mit Überzeugung vertreten hat, kann
nicht genau nachgewiesen werden. Wie gesagt, mit
der sich ab 1948 vollziehenden Distanzierung und
dem endgültigen Bruch Titos mit Moskau kam es
zu einer allmählichen politischen und ideologischen
Entspannung in allen Lebensbereichen, wobei der
Einfluss der Parteielite weiterhin fraglos erhalten
blieb. In ihrer politischen Neupositionierung zum
Westen war sie aber bereit, den Vertretern des Mo-
dernismus bzw. des sog. sozialistischen Ästhetizis-
mus und der Neoavantgarde im eigenen Land freien
Spielraum zu lassen.16 Die Zeichen der Entspannung
sowie die Bemühungen, sich von den sowjetischen
Dogmatikern abzugrenzen, sind in der schon er-
wähnten und 1951 veröffentlichten Abhandlung
Gamulins über die Allgemeine Kunsttheorie als Theorie
Kunst welche den Realismus verließ.“ Vgl. Ibidem, S. 226 ff.
Darin finden sich viele ähnliche Verfalls-Diagnosen für eine
Stilperiode, „deren Begriff immer pejorativ zu deuten ist“
(S. 243).
16 Der Begriff des sozialistischen Ästhetizismus als modernis-
tisch gefärbte Reaktion auf den sozialistischen Realismus
in der jugoslawischen Kunst nach 1950 wurde vom Belgra-
der Literaturtheoretiker Sveta Lukic erfunden. Vgl. dazu
ŠUVAKOVIČ, M.: Impossible Historiés. In: DJURIČ, D.
— ŠUVAKOVIČ, M. (Hrsg.): Impossible Histories. Historical
Avant-gardes, Neo-avant-gardes, and Post-avant-gardes in Yugoslavia,
1918—1991. Cambridge (Mass.) 2003, S. 2-35, hier S. 10. Erwe-
iternd zu diesem Thema im selben Sammelband: DENEGRI,
J.: Inside or Outside „Socialist Modernism“? Radical Views
on the Yugoslav Art Scene, 1950-1970, S. 170-208. Für die
Situation in Serbien vgl. MERENIK, L.: Umetnosti vlast. Srpsko
slikarstvo 1945—1968 [Kunst und Macht. Serbische Malerei
1954—1968]. Beograd 2010.

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