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HARM-HEYE KANINSKI

auseinandersetzt und ein hervorragendes Beispiel (er)findet, wie Lacans
Ansätze in einer „praktischen Kritik des Sehens“ exemplarisch zu reali-
sieren sein könnten.
I

Jean-Paul Starte unterzieht den Blick im gleichnamigen Kapitel
seines Hauptwerkes Das Sein und das Nichts6 einer eingehenden Unter-
suchung. In diesem Versuch einer phänomenologischen Ontologie analy-
siert er Struktur und Funktion des Blickes, wobei das Erste nicht ohne
das Zweite zu denken ist, da sich beide jeweils aus dem Anderen er-
schließen. Im Rahmen allgemeiner Betrachtungen untersucht Sartre die
Wahrscheinlichkeit der Fremdexistenz. Diese erschließt sich über und
durch den Blick, welcher sich wiederum durch die in den von ihm Be-
troffenen geweckten Affekte offenbart. Zentralen Affekt stellt hierbei die
Scham dar, „ein menschliches Gefühl (...), welches eine Gewissheit über
die Existenz anderer Menschen vorauszusetzen scheint7 8“.
Ein für jede Form der Untersuchung der Struktur des Blickes be-
merkenswertester Moment in Sartres Reflexion ist das Szenario vom
„ertappten Voyeur“. Jenes übernimmt auch Joan Copjec in dem Text Der
Andere, wahrscheinlich6. Sie beschreibt hier (nach Sartre und ebenso
eingängig) wie ein in den Akt der heimlichen Beobachtung vertiefter
Sehender, plötzlich gewahr wird, dass er selbst (ohne sein bisheriges
Wissen) längst Ziel eines fremden Blickes geworden ist9. Von besonde-
rem Interesse ist nun, dass er dabei selbst aus dem Verborgenen erspäht
wird. Derjenige, der ihn erblickt, bleibt ihm also unsichtbar.
Ohne Zweifel ist die Sehrichtung zweier Augen das, was am häufigsten einen
Blick offenbart. Aber es würde ebenso gelegentlich eines Rascheins von Zwei-
gen, eines von stille gefolgten Schrittes, eines halb offen stehenden Fensterla-
dens, der leichten Bewegung einer Gardine gegeben sein10.
Das Beschriebene lässt sich also nicht (mehr länger) als rein op-
tisch-mechanisches Phänomen charakterisieren. Der Blick muss mehr
als den Moment des Sehens beinhalten. Sartre bemerkt, dass ich mir der
Präsenz des Blickes eben auch bewusst werden kann, ohne dessen Trä-
ger eindeutig auszumachen. Als Träger des Blickes kann hierbei statt
6 J.-P. Sartre, Der Blick, (in:) Das Sein und das Nichts, op.cit., S. 338-397.
7 A. Honneth, Anerkennung und Verdinglichung, (in:) Jean Paul Sartre. Das Sein
und das Nichts, Hrsg. B.N. Schuhmacher, Berlin 2003, S. 138.
8 J. Copjec, op.cit., S. 79-88.
9 Vgl. ibidem, S. 80.
10 J.-P. Sartre, op.cit., S. 344.
 
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