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Andreae, Bernard [Hrsg.]; Matz, Friedrich [Hrsg.]; Andreae, Bernard [Hrsg.]; Robert, Carl [Hrsg.]
Die antiken Sarkophagreliefs (1,2): Die Sarkophage mit Darstellungen aus dem Menschenleben: Die römischen Jagdsarkophage — Berlin, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.14580#0112

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4.3.6. KINDERSARKOPHAGE IN ROM UND AJACCIO

Die Tatsache, daß die Kinderlöwenjagdsarkophage in den beiden letzten Jahrzehnten des 3.Jahrhunderts
besonders zahlreich begegnen, spricht dafür, daß ihr Fehlen vor dieser Zeit nicht ein Zufall der Überlieferung
ist.

Ein Problem bietet allerdings ein Kindersarkophag mit Löwenjagddarstellung im Museo Nazionale Romano
(Kat. 107, Taf. 75,5), der von der Forschung bisher einhellig in die Frühzeit der römischen Sarkophagproduk-
tion datiert wurde511. Dieser Kindersarkophag scheint aus der Reihe der Löwenjagdsarkophage herauszufallen,
weil er als einziger nicht einen gegen den Löwen ansprengenden Reiter in der Mitte zeigt. Vielmehr ist
die Komposition nach einem einfachen dekorativen Schema aus fünf Jägern zu Fuß aufgebaut, die mit
ihren Hunden drei Tiere gestellt haben, einen Löwen in der Mitte, der einen ihrer Kameraden niedergerissen
hat, einen Bären auf der linken sowie einen Panther auf der rechten Seite. Die beiden äußeren Tiere haben
sich auf den Rücken gerollt und schlagen mit den Pranken gegen die Speere, mit denen die jeweils äußeren
Jäger auf sie einstechen. Von den jeweils innen angeordneten schwingt der linke ein Schwert, der rechte
holt mit einem mächtigen Feldstein zum Wurf aus. Nach der Körperhaltung möchte man annehmen, sein
Ziel sei der Löwe in der Mitte, aber er wendet sein Gesicht nach rechts zu dem auf den Rücken gerollten
Panther, scheint also mit dem Körper um seine eigene Achse herumwirbeln zu wollen, um den Steinbrocken
auf das Tier niedersausen zu lassen. Der Jäger in der Mitte, der seinem zu Boden geworfenen Jagdgefährten
zu Hilfe eilt, bildet das Zentrum der Komposition. Mit der Rechten holt er zum Schlag aus, der Raum
links von ihm wird durch einen fächerförmig hochwehenden Mantel gefüllt, der vom linken Arm gehalten
wird. Die Körperachse dieses Jägers in der Mitte ist nahezu senkrecht, während die Jäger auf den Flügeln
der Komposition sich zueinander neigen. Der jeweils rechte ist vom Rücken gesehen, der linke von vorn.
Dies ist ein Mittel der Verschränkung, das dazu dient, der Komposition etwas von ihrer Eintönigkeit
zu nehmen. Dem gleichen Ziel dienen die zwischen den Jägern aufwachsenden Bäume mit ihren bizarren
Formen. Links sieht man einen Baum mit belaubten Ästen. Zwei andere Bäume sind Konipheren mit
den charakteristischen durch Schlitze scharf voneinander getrennten Nadelbüscheln, der vierte Baum ist
ein Stamm mit vier unbelaubten Ästen.

Die Oberfläche des Reliefs ist sehr verrieben, so daß man aus ihrer Betrachtung allein keine sichere Datierung
ableiten kann. Wegen des Fehlens von Bohrspuren und wegen der Proportionierung des Sarkophages glaubte
ich mich früher der von R. Paribeni vorgeschlagenen Datierung kurz vor der Mitte des 2.Jahrhunderts
n.Chr. anschließen zu müssen512. In diesem Fall wäre der Sarkophag im Museo Nazionale Romano (Kat. 107,
Taf. 75,5) der einzige Löwenjagdsarkophag so früher Zeit. Man müßte ihn in den gleichen Zusammenhang
stellen wie die Erotenjagdszenen auf Deckelborden von Sarkophagen des 2.Jahrhunderts n.Chr.513 oder
wie die Circusszenen auf dem Deckel des Schlachtsarkophags im Konvervatorenpalast514. Mit diesen hat
er aber im Grunde nichts gemein. Wenn es sich bei der Darstellung auf dem Sarkophag im Museo Nazionale
Romano (Kat. 107, Taf. 75,5) um eine reale, nicht mythische und nicht eindeutig im Circus stattfindende
Löwenjagd handelt, dann wäre es sehr merkwürdig, wenn er schon einige Generationen vor der Entwicklung
der entmythisierten Jagdsarkophage entstanden wäre. Zweifel an der Frühdatierung des Sarkophages sind
also berechtigt, und sie verstärken sich, je genauer man die Prinzipien der Komposition und das, was
an Stil noch zu erkennen ist, unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Datierung ins 3.Jahrhundert ins
Auge faßt.

Hier bieten zwei Denkmäler eine Entscheidungshilfe, die zwar schon lange bekannt sind, aber erst neuerdings
richtig beurteilt werden können. Das eine ist ein früher in der Sammlung Courcel in Cannes aufbewahrter
fragmentierter Sarkophagdeckel, der als verschollen galt, im Jahre 1973 aber von Mr. und Mrs. Bromstedt
dem Paul Getty Museum in Malibu geschenkt wurde (Kat. 46, Taf. 75,3.4).

Das andere ist ein bereits von E. E^sperandieu315, wenn auch mit unzureichender Abbildung veröffentlichter
Kindersarkophag, der 1838 in der Nähe von Ajaccio auf Korsika gefunden wurde und im dortigen Musee

511 Vgl. die zu Kat. 107 zitierte Literatur. Heibig4 III Nr. 2390, S. 3 15
Zeile 2 : > 1. Jh. < ist leider ein Druckfehler. Wie aus dem Zusammen-
hang hervorgeht, sollte es heißen : > 2. Jh.< In der Analyse der Kom-
position folge ich H. Brandenburg, Der Beginn der stadtrömischen
Sarkophag-Produktion der Kaiserzeit, Jdl 93, 1978, 318 Anm. 81,
der richtig gesehen hat, daß man den Sarkophag nicht ins 2. Jh.

n.Chr. datieren kann. Allerdings kommt dann nur das 3.Jh. in
Frage.

2 Heibig4 III Nr. 2390, vgl. jedoch Anm. 511.

3 s. Anm. 24.

4 s. Anm. 2;.

5 Esperandieu, Recueil I Nr. 22.

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