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Andreae, Bernard [Hrsg.]; Matz, Friedrich [Hrsg.]; Andreae, Bernard [Hrsg.]; Robert, Carl [Hrsg.]
Die antiken Sarkophagreliefs (1,2): Die Sarkophage mit Darstellungen aus dem Menschenleben: Die römischen Jagdsarkophage — Berlin, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.14580#0128

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6.2.1. DIE SPÄTTETRARCHISCHE GRUPPE

typen gibt es auf den beiden fragmentarisch erhaltenen Sarkophagen nicht, aber die Bohrtechnik bei den
Pferdemähnen und die Anordnung von deren Zaumzeug sind so gleichartig, daß man die beiden Sarkophage
gerne der gleichen Werkstatt zuordnen möchte, aus der offenbar auch der Sarkophag in Deols (Kat. 27,
Taf. 93,1; 96,2; 97) hervorgegangen ist.

Dieser kann als Musterbeispiel der ganzen spättetrarchischen Gruppe gelten, welche die an den Sarkophagen
in S. Sebastiano I (Kat. 149, Taf. 52,2) und im Cimitero Maggiore (Kat. 78, Taf. 53,1) beobachteten frühtetrar-
chischen Stiltendenzen fortsetzt. Der Sarkophag ist gekennzeichnet durch einen kräftigen, fast gewalttätigen
Schnitt. Die Jäger haben untersetzte Gestalten mit langen kantigen Schädeln, in die starkumrandete Mandelau-
gen tief eingegraben sind. Sie bestimmen zusammen mit den großen vollippigen Mündern den Ausdruck.
Der Kopf des Löwenjägers (Taf. 97,1), der wahrscheinlich ein Porträt wiedergeben soll, unterscheidet sich
kaum von denen der übrigen Jäger und folgt darin der Eigenart des tetrarchischen Porträtstils, der alle
individuellen Züge zugunsten einer massigen Geschlossenheit unterdrückt s5. In den Haaren werden mit
einfachen Mitteln ziemlich verschiedene Formen kurzer strähniger oder lockiger Frisuren angedeutet, die
jedoch gemeinsam haben, daß sie aus einer über der Stirnmitte nach vorn gezogenen und an den Schläfen
zurückweichenden flachen Bosse herausgearbeitet sind. Beim Jäger über dem Löwen findet sich ein Rudiment
der mauretanischen Zöpfchenfrisur556; lange Haare mit einer Art Pagenschnitt hat der vom Löwen zu Boden
geworfene Jäger (Taf. 97,1), und selbst ein Glatzkopf mit einem Kranz von Haaren, die an den Seiten
nach vorn gestrichen sind, fehlt nicht. Die Variationsfreude, die man bei der Haargestaltung beobachtet,
wirkt sich bei der Ausformung der Tierfelle in einem Einfallsreichtum aus, der angesichts der allgemeinen
Primitivität des Reliefstils in Erstaunen setzt. Die Borsten der Eberschwarte sind mit liebevoller Genauigkeit
in übereinanderfallenden flämmchenartigen Flocken gemeißelt und durch sicher dazwischen gesetzte Bohrstri-
che aufgelockert (Taf. 96,2). Mit der gleichen Sorgfalt ist auch der aus Fell oder grobem Maschenstrickwerk
bestehende Cucullus des Reiters am rechten Rande gestaltet, wohingegen die Löwenmähne (Taf. 97,1) eher
grob durch zwei Reihen bogenförmig gesetzter Kerben angedeutet ist.

Insgesamt strömt das Relief einen Ausdruck brutaler Kraft aus, wie er vielen tetrarchischen Denkmälern,
besonders der Dezennalienbasis, eigen ist.

Nicht zu verkennen ist dabei eine durchaus beeindruckende Frische und Unmittelbarkeit der Gestaltung,
die besonders den vollständig erhaltenen Sarkophag in Deols (Kat. 27, Taf. 93,1) zu einem Kunstwerk macht,
dem eine Fernwirkung in die mittelalterliche Kunst Frankreichs nicht versagt blieb557.

Diese Frische findet sich noch eindrucksvoller als bei den Exemplaren in Avignon (Kat. 5, Taf. 92,1 und
Kat. 6, Taf. 92,2) und Deols (Kat. 27, Taf. 93,1) bei besonders qualitätvollen Fragmenten im Museo Nazionale
Romano (Kat. 108, Taf. 92,3-5), die zu einem Sarkophag ähnlicher Komposition wie der Eberjagdsarkophag
in Pisa (Kat. 71, Taf. 92,6) gehört haben müssen. Der Sarkophag in Pisa (Kat. 71, Taf. 92,6) stellt, wie
oben gezeigt, einen Sonderfall der Treibjagdsarkophage dar. Hier ist er heranzuziehen, weil er die tetrarchische
Gruppe der Treibjagdsarkophage erweitert und ihre Datierung bekräftigt; besonders die besser erhaltenen
Nebenseiten (Kat. 71, Taf. 92,7-8) lassen sich sehr gut mit den Stilformen der Dezennalienbasis 558 vergleichen.
An Qualität bleibt aber alles bisher Betrachtete hinter den Fragmenten im Museo Nazionale Romano (Kat. 108,
Taf. 92,3-5) zurück. Sie zeigen, daß der Stilwandel, der sich in konstantinischer Zeit in den römischen
Sarkophagwerkstätten abzeichnet, nicht nur ein Problem größerer Sorgfalt und Hingabe, mit einem Wort
nicht nur ein Qualitätsproblem, sondern auch der Ausdruck einer neuen Sehweise, also ein Stilproblem
war. Denn in der Qualität stehen diese Sarkophagfragmente dem durch das Porträt des Jagdherrn in konstanti-
nische Zeit zu datierenden Sarkophag in Neapel (Kat. 57, Taf. 93,5) nicht nach.

Von ähnlicher Qualität ist auch der Sarkophag in Ferentillo (Kat. 30, Taf. 93,4; 100; 101), der ebenfalls
noch tetrarchischer Zeit angehören dürfte, wie die porträthaft ausgestalteten Köpfe des mittleren der drei
Eberjäger (Taf. 101,5) und des Hirschjägers (Taf. 101,6) zeigen: Man kann diese gut mit tetrarchischen

Die Stilcntwicklung im tetrarchischen Porträt am besten beschrie-
ben von W. v. Sydow, Zur Kunstgeschichte des spätantiken
Porträts im 4. Jh. n.Chr. (1969) 5 ff. und Bergmann (1977) 140fr.
s. Anm. 330.

R. Crozet, L'art roman en Berry (1932) 8. 299ff. - J. Adhemar,
Influenccs antiques dans l'art du Moyen Age francais (1939) 165

Taf. 9, 25. - H.-U. v. Schoenebeck, Die Bedeutung der spätantiken
Plastik für die Ausbildung des monumentalen Stils in Frankreich,
in: Festschrift Adolf Goldschmidt (193;) 23-29 bes. 24 Taf. 7,4.
- R. Hamann-MacLean, Marburger Jahrbuch für Kunstwis-
senschaft 15, 1949/50, 175 fr.
s. Anm. 415.

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