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Matz, Friedrich [Hrsg.]; Andreae, Bernard [Hrsg.]; Robert, Carl [Hrsg.]
Die antiken Sarkophagreliefs (2): Mythologische Cyklen — Berlin, 1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.12015#0039
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B. ACHILLEUS, ILIUPERSIS.

Die Achilleussarkophage zerfallen in zwei Hauptclassen,
von denen die eine vornehmlich seinen Aufenthalt auf
Skyros, die andere seine Thaten und seinen Tod
vor Troia behandelt. Doch sind beide Classen nicht
streng gesondert; vielmehr werden trojanische Scenen wie-
derholt auf den Schmal- und Rückseiten der ersten Classe
angebracht. An die zweite Classe schien es zweckmässig,
die mit ihr mehrfach verbundenen Darstellungen der Iliu-
persis anzuschliessen, während die von dem Kampf des
Achilleus mit der Penthesileia sich von den übrigen Ama-
zonenkämpfen nicht trennen Hessen und daher mit diesen
zusammen, allerdings auf Kosten der streng chronologischen
Anordnung, einen besonderen Abschnitt beanspruchen.

Die Sage, dass Achilleus, um ihn vor dem Kampf um
Troia und einem frühen Tode zu bewahren, von seiner
Mutter Thetis zum König Lykomedes nach der Insel
Skyros gebracht worden und dort unter den Königstöchtern
verborgen geblieben sei, bis ihn Odysseus und Diomedes
durch eine List entdeckten, ist der alten epischen Poesie
noch unbekannt; es scheint, dass der Mythos seine Ent-
stehung dem Lokalpatriotismus der Skyrier verdankt, wel-
cher einerseits bestrebt war, den von Achilleus mit der
skyrischen Königstochter Deidameia erzeugten Helden
Neoptolemos, den Zerstörer von Uion, für Skyros zu retten,
andrerseits die missfällige Version der Kyprien und der
kleinen Uias, nach welcher Achilleus die Insel mit Waffen-
gewalt erobert hat, zu eliminiren. In weiteren Kreisen
scheint diese Inselsage zuerst durch das sie verherrlichende,
Jn Athen befindliche Gemälde des Polygnot von Thasos
(Pausanias I, 22, 5) populär geworden zu sein. Bald darauf
fand die Sage in den Skyriern des Euripides1) die erste
Poetische Bearbeitung, von der wir Kunde haben. In der
Alexanderperiode begegnet der Mythos abermals in einem
Bilde des Malers Athenion aus Maroneia (Plinius XXXV,
'34), der einzigen litterarisch bezeugten Darstellung der
Sage,

von welcher wir Nachklänge in den Bildwerken
der römischen Kaiserzeit, vor allem den ältesten unter ihnen,

') Dass das gleichnamige Stück des Sophokles einen andern Stoff,
.e Abholung des Neoptolemos von Skyros, behandelte, habe ich Bild und
ied S. 34 a. 40 im Anschluss an Tyrwhitt gezeigt.

den pompejanischen Gemälden (Helbig Wandgemälde der
vom Vesuv verschütteten Städte Campaniens Nr. 1296—1299.
Nr. 1301. Nr. 1302; Sogliano Le pitture murali Campane scoverte
negli anni 1867—1879 nr. 572. nr. 573) zu finden erwarten
dürfen.

Auf den Sarkophagen wird, mit alleiniger Ausnahme von
23, stets der Moment vorgeführt, in welchem Achilleus
beim Schall der Trompete die Waffen ergreift und, ohne auf
das Flehen der Deidameia und ihrer Schwestern zu achten,
gegen die vermeintlich einbrechenden Feinde zu kämpfen
sich anschickt, derselbe Moment, den auch alle übrigen er-
haltenen Darstellungen aus der Kaiserzeit und wahrschein-
lich auch das Gemälde des Athenion veranschaulicht hatten.
Von einer Einwirkung der an Sagengehalt freilich überaus
dürftigen Achilleis des Statius, lässt sich nirgend Etwas
wahrnehmen, wie denn überhaupt keine ausführliche poeti-
sche Behandlung, sondern nur eine ganz allgemeine, lediglich
aus mythologischen Handbüchern geflossene Vorstellung
von der Sage den Bildwerken zu Grunde zu liegen scheint.
Am meisten zeigt sich der Mangel an Charakteristik
darin, dass, wieder mit Ausnahme von 23, nirgend an-
gedeutet ist, auf welche Weise Achilleus in den Besitz der
Waffen kommt. Odysseus, Diomedes und ihre Gefährten
erscheinen nicht als Kaufleute, sondern in kriegerischer
Tracht; von den Schmucksachen, die sie der Sage nach
neben den Waffen den Töchtern des Lykomedes zum Kauf
oder Geschenk anbieten,1) findet sich, von dem Spiegel auf
29. 30 abgesehen, nirgend eine Spur; die auf dem Boden
hingestreuten Spindeln und Wollkörbe dienen lediglich zur
Charakteristik des Frauengemachs. Diese Gleichgültigkeit
gegen das Charakteristische beweist, dass der bildliche
Typus allgemein bekannt und schon ziemlich abgebraucht
war. Mit der Zeit steigert sich diese Gleichgültigkeit immer
mehr. Der wirkungsvolle Contrast des in Mädchenkleidern
zum Kampf stürmenden Achilleus kommt nur in der ersten

') Hygin. Fab. 96: qui cum intelligere non possent quis esset tarum
Ulysses in regio vestibule munera feminea posnit, in quibus clypeum et
bastam et subito tubicinem inssit canere, armorumqut crepitum et clamoretn
fieri iussit. Achilles bostem arbitrans adesse vestem muliebrem dilaniavit atque
clypeum et bastam arripuit. ex hoc est cognitus.

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