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Robert, Carl [Editor]; Matz, Friedrich [Editor]; Andreae, Bernard [Editor]; Robert, Carl [Editor]
Die antiken Sarkophagreliefs (3,1): Einzelmythen: Actaeon - Hercules — Berlin, 1897

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.12014#0067
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DAEDALUS

sein, und da es wenig wahrscheinlich ist, dass er von der
Kuh bis zur Brust verdeckt im Hintergrund gestanden hat,
muss er in dieser Mittelscene ganz gefehlt haben. Die
beiden ersten Scenen können also gleichzeitig sein, und
man würde versucht sein, sie zu einer einzigen zusammen-
zuziehen — Pasiphae in der Werkstatt des Daedalus —,
wenn nicht die Links-Wendung der Pasiphae und das Auf-
hören des Vorhanges, das durch den Pfosten gesichert ist,
eine scharfe Scheidung anzeigten.

In der rechten Eckscene ist Pasiphae im Begriff, in
die fertig gewordene Kuh hineinzusteigen. Noch etwas
zögernd, den schleierartig über den Kopf gezogenen
Mantel mit der Rechten vor die Wange ziehend (die
Richtigkeit der Ergänzung wird durch Fig. 35' verbürgt)
schreitet sie nach links, während ein vor ihr her eilender
Amor sie am Gewand vorwärts zieht und mit der Rechten
eine aufmunternde Geberde macht. Hinter Pasiphae wird
eine Begleiterin sichtbar, die ihre sehr corrodirte Rechte auf
den Kopf der Kuh legt. Irrthümlich lässt sie der Zeichner
von Fig. 35' einen Gestus der Verwunderung machen.
Daedalus steht vor seinem vollendeten Werk. Er trägt
wieder die Exomis. Der Kopf hätte bärtig ergänzt werden
müssen. Die gesenkte Linke hielt, wie der Ergänzer richtig
angenommen hat, ein Werkzeug, wahrscheinlich wieder
den Hammer. Der jetzt falsch ergänzte rechte Unterarm
war, wie Fig. 35' zeigt, erhoben, und gewiss hat der
Zeichner von Fig. 35'" das Richtige gesehen, wenn er ihn
den im Rücken der Kuh angebrachten Deckel, von dessen
rechtem Rand ein kleiner Rest erhalten ist, hochheben lässt;
vgl. das pompejanische Bild bei Helbig 1206'. Fig. 35' und
Fig. 2S1" zeigen, dass unter diesem Deckel ein kleiner Amor
aus dem Innern der Kuh herausstieg, der jetzt völlig ab-
gearbeitet ist. Er scheint eine einladende Geberde gegen
Pasiphae hin gemacht zu haben. Eine unter der Kuh hin-
durch sichtbare Treppe soll der Pasiphae das Einsteigen
ermöglichen. Ueber der Kuh wird ein thurmähnliches Ge-
bäude sichtbar, aus dessen fensterartiger Oeffnung der
mächtige Ast einer Platane hervorragt; im Laub sitzt ein

Vogel. Wir wiederholen diesen nur mit dem Stift aus-
geführten Theil der Berolinensis-Zeichnung, der im Licht-
druck Fig. 35' nicht hinreichend deutlich ist, hier nochmals
im Text. Die Platane ist der mit einer Mauer umfriedigte
heilige Baum von Gortyn, in dessen Wipfel die kretische
Sage die Vermählung des Zeus mit der Europa verlegt
(Theophrast bist, plant. I 15) und der auch auf der Talos-
vase dargestellt ist. Der Ergänzer durfte die Mauer nicht
über die Mittelscene hin fortführen.

Auf der rechten Schmalseite Fig. 35 b, vollständiger
Fig- 35'b. Fig. 35"^ finden wir den Gemahl der Pasiphae
Minos, wie er die rechte Hand mit dem Gestus der
Adoration erhebend vor einem Tempel steht. Bekleidet
ist er mit Chiton und Mantel, den er mit der Linken
festhält; das Haar ist mit einer Binde geschmückt. Der
Tempel ist der des Neptun, wie die Darstellung im Giebel,
ein auf dem Muschelhorn blasender Triton mit Ruder in
der Rechten, erkennen lässt. An den beiden Composit-
Säulen sind oberhalb der Basen Amoren angebracht, die
wohl nur als in freier Weise wiedergegebene Säulenreliefs
verstanden werden können. Das Attribut des ersten, das
jetzt als Palmzweig ergänzt und Fig. 35'b als Tympanon
gezeichnet ist, wird wohl ein Bogen sein. Der1 zweite,
nur in den Zeichnungen Fig. 35'b, Fig. 35% erhalten,
hielt in der Linken eine Fackel. Hinter Minos schreitet,
mit Aermelchiton und einem über den Kopf gezogenen,
sie dicht umhüllenden Mantel bekleidet, eine gebückte alte
Frau, die auf der linken Hand eine Schüssel mit Früchten
trägt. Wir dürfen in ihr die Mutter des Minos Europa
vermuthen. Rechts schliesst ein Pinienbaum die Darstellung
ab. Wie ich in dem oben citirten Winckelmannsprogramm
S. 21 ff. ausführlich dargelegt habe, ist der dargestellte Vor-
gang so zu erklären, dass Minos als Myste des idaeischen
Zeus und Gegner blutiger Opfer dem Neptun, statt ihm
nach seinem Gelöbniss den von dem Gotte gesandten
Stier zu opfern, ein unblutiges Opfer von Früchten dar-
bringt. Um den Bruch des Gelübdes zu rächen, lässt
Neptun die Pasiphae in unnatürlicher Liebe zu jenem
Stier entbrennen. Die Schmalseite veranschaulicht also ein
Stück aus der Vorgeschichte der auf der Vorderseite dar-
gestellten Vorgänge. Die poetische Quelle sind, wie ich
a. a. O. gezeigt habe, die Kreter des Euripides.

Auch auf der linken Schmalseite Fig. 35 a handelt es
sich um ein ähnliches Opfer, wie der auf dem jetzt ab-
gesägten Theil Fig. 35'a. Fig. 35" a dargestellte, bekränzte
und mit Früchten bedeckte Altar erkennen lässt. Drei
Jünglinge, zwei stehend, der dritte auf einem Lehnstuhl
mit hohem Podium sitzend, blicken aufmerksam auf diesen
Altar. Der Vorderste, von dessen linker Schulter ein langer
Mantel herabhängt, macht, die geschlossene Rechte an den
Mund legend, einen Gestus der Beobachtung. Der zweite
hält in der erhobenen Linken ein in der Scheide steckendes
 
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