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Robert, Carl [Hrsg.]; Matz, Friedrich [Hrsg.]; Andreae, Bernard [Hrsg.]; Robert, Carl [Hrsg.]
Die antiken Sarkophagreliefs (3,1): Einzelmythen: Actaeon - Hercules — Berlin, 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.12014#0069
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5-

DAEDALUS

seinen Vater, sondern auf eine mit Kopfflügeln ausgestattete
Göttin, die mit entblösstem Oberkörper, die Beine mit
dem Mantel verhüllt, auf einem Felsstück sitzt und mit der
rechten Hand eine kleine geschlossene Rolle emporhebt,
wie um sie dem Icarus zu zeigen; also die Parze. Zwischen
Daedalus und Icarus steht, des Raumes wegen kleiner gebildet,
Apollo. Er lehnt sich mit gekreuzten Beinen an einen
Pfeiler, auf dem sein mit der Chlamys umwickelter linker
Arm ruht. Die gesenkte Rechte hält einen Lorberzweig.
Der Blick ist auf die Schicksalsgöttin gerichtet. Sehr ähnlich
ist Apollo, unzweifelhaft nach einem statuarischen Vorbild,
auf einer unter Septimius Severus im Jahre 218 geprägten
Münze von Tavia dargestellt (Mionnet IV 400, 158. Over-
beck Kunstmythologie III Apollon. Münztafel IV 14. S. 302
Nr. 6b), nur dass er dort in der Linken die Leier, in der
Rechten das Plectrum hält; s. über diesen Typus Overbeck
a. a. O. S. 196 ff.

In der rechten Eckscene sieht man Icarus tot auf
einem Felsstück liegen, auf dem Vegetation angedeutet
scheint. Kopf und Arme hängen schlaff herab. Im Rücken
ragt noch der eine Flügel empor. Ueber ihm sitzt auf
einem überhangenden Felsen ein bärtiger Lokalgott, der
schwerlich individuell zu benennen ist. Die Rechte, die
einen Zweig hält, ruht auf dem hochgezogenen Knie.
Um die Beine ist der Mantel geschlungen, dessen Zipfel
die linke Hand fasst. Die Blicke sind auf Icarus gerichtet.
Links finden wir die Schicksalsgöttin aus der Mittelscene
wieder. Sie steht hier vor dem Toten und liest in der
geöffneten Rolle. Ebenso liest auf dem Capitolinischen
Prometheus-Sarkophag (Bottari e Foggini Musco Capitolino
IV 24; Wiener Vorlegeblätter Ser. D Taf. n 4) die vor
dem Toten sitzende Parze in dem entrollten Schicksals-
buch. Auf unserm Sarkophag ist der Gegensatz der ge-
schlossenen und geöffneten Rolle unverkennbar. Warnend
zeigt die Schicksalsgöttin in der zweiten Scene dem zu
verwegenem Flug sich anschickenden Icarus das Buch, das
sein Schicksal enthält; in der dritten hat es sich erfüllt.
Diese doppelte Seite der Schicksalsgöttin prägt sich in
der römischen Religion in den Gestalten der Parca und
der Morta aus, worüber mir Wissowa folgendes bemerkt:
„Varro bei Gellius III 16, 10 nennt als tria Fata Parca
Nona Decima, Caesellius Vindex ebd. § 11 gibt Nona
Decima Morta als nomina Parcarum an: beiden kommt
es darauf an, einen Dreiverein zu schaffen, darum fügen
sie zu dem nach den beiden Geburtsmonaten benannten
Paare Nona Decima (wahrscheinlich Beinamen der Geburts-
göttin Carmenta) der eine Parca, der andre Morta hinzu,
die wiederum ihrerseits ein Paar bilden. Parca Morta ist
eines der in der römischen Religion zahlreichen Beispiele
für die Umfassung eines religiösen Begriffes von seinen
entgegengesetzten Polen her, wie z. B. Patulcius Clusivius,

Conditor Promitor, Panda Cela, Prorsa Postverta, Anna
Perenna; eine genaue Entsprechung bietet Genita Mana
(Plut. R. 52; vgl. Plin. N. IL XXIX 58. S. Bugge in
Kuhns Zeitschr. V 10), in deren Namen sich ebenso wie
in Parca Morta die Beziehung auf Geburt und auf Sterben
vereinigt, während die Weihinschrift von Agnone der deiva
Geneta allein gedenkt." Danach dürfen wir die Göttin in
der Mittelscene als Parca, die in der rechten Eckscene
als Morta bezeichnen. Auch die Gegenwart des Apollo
in der zweiten Scene vermag ich nur aus seiner Eigenschaft
als Weissagegott zu erklären, da sonst irgend welche Be-
ziehungen dieser Gottheit zu Daedalus und Icarus nicht
nachweisbar sind. Dass die Figur eine der von Daedalus
gefertigten Statuen sein solle, von denen Philostrat I 16
den Künstler umgeben sein lässt, wird kaum Jemand im
Ernst behaupten wollen.

Der Sarkophag ist schwerlich älter, als die Mitte des
dritten Jahrhunderts, daher die der Mode jener Zeit ent-
sprechende Unbärtigkeit des Daedalus.

38) F. Graz, Johanneum. Fig. 38. L. 0,61. H. 0,75.
Zeichnung von Rath 1892.

Uebcr die Provenienz schreibt mir W. Gurlitt, dessen Freundlich-
keit ich auch die Zeichnung und die Literaturnachweise verdanke:
„Das Relief stammt aus dem , Antikenthurm' in Seggau bei Leibnitz,
welcher bereits in einer Urkunde vom Jahre 1220 als turrls antzqua
bezeichnet wird und aus Material aus der Ruinenstätte von Flavia
Sol va (im Leibnitzer Feld) hergestellt ist. Er wurde im Jahre 18 14 zum
Theil abgetragen und dabei dieses Relief nebst vielen Inschriften und
Skulpturen gefunden. 18 16 ist es in die Sammlung des Johanneums
gelangt." Das viereckige Loch ist nach Mittheilung desselben Ge-
lehrten modern eingearbeitet, also nicht etwa ein antikes Klammerloch.

Abbildungen: A. von Muchar Geschichte des Herzogthums
Steiermark I 1844 ~^a^- XIV Nr. 26 (ganz ungenau und mit will-
kürlichen Zusätzen) — R. Krabl Schriften des historischen Vereins
für Innerösterreich I 1848 Taf. XXVIII Nr. 148.

Litteratur: Jahresbericht des Johanneums 18 17 S. 10; R. Krabl
a. a. O. S. 05 (Amor und Psyche); Fr. Pichler Mittheilungen des his-
torischen Vereins für Steiermark XIX 1871 S. 87; "W. Gurlitt Katalog
der Ausstellung culturhistorischer Gegenstände in Graz 1883 Nr. 711.

Das Fragment Fig. 38 enthält die Gruppe des Icarus
und der Parze fast genau, wie auf 37. Nur hebt die
Parze nicht die Rolle, sondern den Zeigefinger mit
warnender Geberde. Doch könnte die zerstörte Linke
die Rolle gehalten haben.

Dass das Stück von einem Sarkophag stammt, ist nicht
ganz sicher. Der halbrunde obere Abschluss, den die
Abbildung bei Muchar zeigt, ist nach Gurlitts Mittheilung
für die in Steiermark gefundenen Grabreliefs charakteristisch;
doch ist auf jene auch sonst stark interpolirte Abbildung
kein Verlass, und die Uebereinstimmung mit 37 scheint
mehr für einen Sarkophag zu sprechen.
 
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