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Robert, Carl [Hrsg.]; Matz, Friedrich [Hrsg.]; Andreae, Bernard [Hrsg.]; Robert, Carl [Hrsg.]
Die antiken Sarkophagreliefs (3,3): Einzelmythen: Niobiden - Triptolemos ungedeutet — Berlin, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.12730#0016
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374

NIOBIDEN.

Marmorbild (Niobe, XXIV Hall. Winckelmannsprogr., Her-
mes XXXVI 1901 S. 381 f.), aber wenn die Sarkophagarbeiter
den Körper des Mädchens, das sie im übrigen genau nach
dem Gemälde wiedergeben, nach der entgegengesetzten
Seite kehren wie dort, so treffen sie hierin wieder mit dem
Meister der Florentiner Gruppe zusammen, der mit der
Figur dieselbe Umkehrung vorgenommen und sie obendrein,
statt mit der Amme, mit einem ihrer Brüder verbunden
hat (Amelung Skulpturen des Vatik. Mus. II 401 Taf. 57).

Gehen die besprochenen drei Gruppen auf ältere Nio-
bidendarstellungen zurück, so ist die vierte Gruppe, der
seinen getroffenen Bruder stützende Niobide, einem andern
Sagenkreis entnommen; sie ist aus der Gruppe von Orestes
und Pylades umgebildet, die im II. Bande dieses Werkes
S. 178 besprochen ist; vgl. Taf. LVII 167—169.

Von den Einzelfiguren sind nur drei den beiden erhal-
tenen Exemplaren dieser Sarkophagklasse gemeinsam, zwei
Töchter und ein Sohn. Die in den Nacken getroffene Nio-
bide, die auf 312 ins Zentrum, auf 313 ans rechte Ende
gestellt ist, könnte, vielleicht durch eine Reihe von Mittel-
gliedern, auf die Niobide aus den Sallustischen Gärten zu-
rückgehen [Ausonia 1907 tav. 1. 2). Die sog. älteste Tochter
der Niobe (Amelung a. a. O. 175) kann aber, wenn sie an-
ders gleichfalls aus jener wundervollen Statue umgebildet
ist, zu diesen Mittelgliedern nicht gehören, da die Sarkophag-
figur dem Original viel ähnlicher ist als sie. Ähnlich könnte
man versucht sein, die Fliehende mit dem bogenförmig
flatternden Gewand, die bei 313 auch auf der linken
Schmalseite wiederholt ist, auf die zu derselben Gruppe
wie die Römische gehörige Kopenhagener Niobide (Arndt
Glyptoth. Ny Carlsberg 38) zurückzuführen. Für den Bru-
der aber, der mit zwei Speeren in der erhobenen Linken
den Geschossen Apollos zu entfliehen sucht, kann ich ein
Vorbild nicht nachweisen; denn mit der einen Terrakotta-
figur aus Gnathia (Pagenstecher Sitz.-Ber. d. Heidelberger
Akad. 1910, 6. Abh., S. 12 Abb. 3) ist die Ähnlichkeit doch
gar zu gering. Wenn aber wirklich die beiden Töchter
letztlich auf jene Niobidengruppe des 5.Jahrhunderts zurück-
gehen, so liegt die Vermutung nahe, daß dieser noch wei-
tere Figuren entstammen, deren Originale uns nicht erhalten
sind, und dann hat diese äußerst glücklich erfundene Jüng-
lingsfigur auf diese Abstammung großen Anspruch; ebenso
die auf 313 neben ihr angebrachte, auf 312 fehlende Ge-
stalt des sein Antlitz mit dem Arm bedeckenden Knaben.
Abgeschwächt erscheint das Motiv auf dem etruskischen
Sarkophag bei Stark a. a. O. IX 2, und bei der Kopenhage-
ner Giebelfigur (Arndt-Amelung Einzelverkauf 1789—91,
Brunn-Bruckmann Denkm. 649), wo das Bedecken des Ant-
litzes aufgegeben ist. Ob dasselbe von dem gleichfalls
nur auf 313 erscheinenden fliehenden kleinen Mädchen
gilt, muß dahingestellt bleiben, da, wie wir bereits sahen,
auch andere als Niobidendarstellungen benutzt worden sind.

So scheint die an einen Pfeiler gelehnte Tochter auf 312 a
nicht sehr glücklich aus dem attischen Aphroditetypus aus
der Schule des Pheidias entwickelt zu sein, über den Ame-
lung Bonner Jahrb. 101 S. 153 ff. gehandelt hat, während ihr
Gegenüber einfach dem in die Hüfte getroffenen Bruder
auf 312 b nachgebildet ist.

Nach dem Gesagten versteht es sich von selbst, daß
die Verbindung dieser verschiedenartigen Elemente erst in
den Sarkophagateliers erfolgt ist, wobei man auf die Götter
an den Ecken nicht immer die gebührende Rücksicht ge-
nommen hat. So laufen die fliehenden Mädchen den Pfeilen
der Diana gerade entgegen, Niobe hebt ihren schützenden
Mantel nach der Seite hin, wo die Göttin sich nicht befindet,
und der seinen Bruder stützende Niobide blickt ängstlich
und vorwurfsvoll statt nach Apollo nach der entgegen-
gesetzten Richtung.

Das ursprüngliche Schema der Komposition tritt auf 312
klar zutage. Dort sind die Geschlechter streng geschie-
den und die Anordnung zeigt eine wohl durchdachte Sym-
metrie. Auf 313 ist diese dadurch zerstört, daß das in dep
Nacken getroffene Mädchen unter ihre Brüder versetzt ist.
Eine gewisse Symmetrie ist allerdings auch hier durch-
geführt, aber eine weniger glückliche.

Weit einheitlicher ist die zweite Klasse, für die es,
außer den bereits hervorgehobenen Momenten, charakte-
ristisch ist, daß die meisten Söhne beritten sind. Ihr male-
rischer Charakter, der besonders in der einen Zeichnung
des dal Pozzo 317"' herausgearbeitet ist, legt es nahe ein
Bild als Vorlage anzunehmen. Doch stehen dem Gedanken,
die ganze Komposition auf ein solches zurückzuführen, er-
hebliche Bedenken entgegen. Der in römischer Rüstung
mit Haar- und Barttracht der Antoninenzeit dargestellte
Amphion, mit dem sich der Wächter auf den Orestes-
Sarkophagen II 177. 178. 180 vergleichen läßt, ist viel-
leicht erst von den Sarkophagarbeitern als Pendant zur
Niobe eingeführt. Niemals ist er auf andern Bildwerken
Zeuge der Katastrophe. Allerdings erscheint er bei Iuvenal
VI 172 ff. in ähnlicher Situation wie auf den Sarkophagen:

„parce, precor, Paean, et tu, dea, pone sagittas,
nü pueri faciunt, ipsam configite matrem"
Amphion clamat. sed Paean contrahit arcum;
extulit ergo greges natorum ipsumque parentem.

Daß er zugleich mit seinen Kindern getötet wird, berichtet
auch Apollodor III 5, 6, 4. Auch für Niobe, deren Kopfhal-
tung hier der Florentiner Statue ähnlicher ist als bei der
ersten Klasse, läßt sich auf dem supponierten Gemälde ein
passender Platz schwer ausfindig machen, da an eine zentrale
Stellung zwischen ihren berittenen Söhnen kaum zu denken
ist. Am meisten Anstoß erregt aber die Einführung eines
zweiten Pädagogen, zumal dieser seine Hilfe nicht einem
seiner Pfleglinge, sondern einer der Töchter angedeihen
 
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