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Robert, Carl [Hrsg.]; Matz, Friedrich [Hrsg.]; Andreae, Bernard [Hrsg.]; Robert, Carl [Hrsg.]
Die antiken Sarkophagreliefs (3,3): Einzelmythen: Niobiden - Triptolemos ungedeutet — Berlin, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.12730#0172
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UNGEDEUTET

Die Frage ist die, ob wir eine einzige Szene, oder drei
verschiedene, Entführung, Opfer und Schlacht, oder Auf-
bruch zu einer solchen, zu konstatieren haben. Die streng
symmetrische Komposition spricht von vornherein für die
erste Alternative, und das Problem wäre zu deren Gunsten
entschieden, wenn sich die Wiedergabe des oberen Teils
der Platte auf Fig. 437' als authentisch erweisen ließe.
Freilich scheint diese wegen gewisser Details, z. B. der
Formen der Helme, der Keule in der Hand der linken Eck-
figur u. a. verdächtig zu sein; aber das könnte auf Un-
genauigkeiten des Zeichners, wie sie auch sonst in den
Tophamiani recht häufig sich finden, beruhen, und solche
Ungenauigkeiten finden sich ja auch in der Wiedergabe des
sicher antiken unteren Teils der Platte: so hält der Camillus
statt der Fruchtschüssel ein kleines Schälchen, das Schwert
des Opferers steckt nicht in der Scheide, was sich noch
jetzt am Original ganz deutlich erkennen läßt, sondern ist
entblößt, der von links Herankommende ist barfüßig, zwi-
schen den Leichen fehlen die Waffen, am Altar das Bukra-
nion. Oder aber diese wegen ihres modernen Aussehens ver-
dächtigen Teile, nicht also der ganze obere Teil, könnten
am Original ergänzt gewesen sein. Es liegen drei Möglich-
keiten vor:

1. Der Zeichner Ciferri hat den oberen Teil auf dem
Papier aus seiner Phantasie frei ergänzt.

2. Es war in Villa Mattei der obere Teil der Platte
modern ergänzt.

3. Die Platte war im Anfang des 18. Jahrhunderts noch
vollständig erhalten.

Die erste Möglichkeit ist ausgeschlossen. So weitgehende
Ergänzungen finden sich sonst in den Tophamiani nicht.
Aber selbst wenn man hier eine allein dastehende Ausnahme
konstatieren wollte, so verrät doch die Zeichnung des obe-
ren Teils selbst durch vieles, daß sie nicht von Ciferri er-
funden sein kann. Es genügt nur zwei Punkte hervorzu-
heben. Sie enthält den Oberkörper des Victimarius, aber
dessen noch heute erhaltener Unterkörper fehlt, ist also
von Ciferri ebenso übersehen worden, wie die Vorderbeine
des Opferstieres. Wie sollte er aber unter diesen Umstän-
den dazu kommen, den Oberkörper zu zeichnen, d. h. eine
Figur frei zu ergänzen, von der er auf dem antiken Teile
keine Spur gefunden hatte und die er zwischen den Kopf
des Stieres und den von links herankommenden Mann müh-
sam einklemmen mußte? Ähnlich verhält es sich mit dem
Zweigespann links. Hier hat Ciferri im unteren Teile die
flacher gehaltenen Reste des zweiten Rosses übersehen, hin-
gegen im oberen zwei Pferdemäuler gezeichnet. Also muß
er den oberen Teil wirklich plastisch vor sich gehabt haben.

Gegen die zweite Möglichkeit, daß es sich um eine Er-
gänzung aus dem 17. oder dem Anfang des 18. Jahrhun-
derts handelt, scheint zunächst der selbst durch die manie-
rierte Zeichnung noch durchschimmernde antike Charakter

der Köpfe zu sprechen. Durchschlagend aber ist folgendes.
Wir haben gesehen, daß nach einer guten Beobachtung von
Duhns der Herbeieilende in der verlorenen rechten Hand
einen Speer gehalten haben muß. Fig. 437' zeigt nun die-
sen Arm genau so, wie er unter dieser Voraussetzung ge-
halten gewesen sein muß, d. h. zur Seite ausgestreckt und
mit geschlossener Faust. Hätte ein Ergänzer diese Arm-
haltung aus dem Ansätze am Beine des Victimarius erschlos-
sen, so würde er auch den Speer ergänzt haben. Folg-
lich kann der Oberkörper dieser Figur nicht ergänzt ge-
wesen sein, und was von dieser gilt, gilt natürlich auch
von den übrigen Figuren. Somit bleibt nur die dritte Mög-
lichkeit. Die Platte war am Anfang des 18. Jahrhunderts
noch vollständig, und Ciferris Wiedergabe der fehlenden
Teile ist authentisch.

Wir lernen also, daß der Opferer, wie zu erwarten war,
und der Victimarius bärtig waren, daß die beiden Gepan-
zerten in der Gruppe rechts Helme trugen und die rechte
Eckfigur tatsächlich ihre linke Hand nach den Zügeln des
Zweigespanns ausstreckte, ferner daß der von links Herbei-
eilende jugendlich war und gleichfalls einen Helm trug.
Am wichtigsten aber ist die Aufklärung, die wir über das
Paar auf dem Wagen links erhalten: ein Mädchen, das sich
in den Armen eines Jünglings sträubt; den linken Arm
streckt es hilflos empor, die Haare sind gelöst, der Ober-
körper entblößt. Der Jüngling legt den linken Arm fest um
seinen Leib, wie die Dioskuren die ihrigen um die Leukip-
piden, z. B. auf der Jattaschen Vase, Momimenti dell1 In-
stituto XII lav. 16; daß sein rechter Arm den Rücken des
Mädchens umfaßt hat, haben wir schon oben S. 529 aus
dem Chlamyszipfel geschlossen, der von diesem Arm herab-
gefallen sein muß. Die rechte Hand wird ohne Zweifel
die Zügel gehalten haben. Das bogenförmig flatternde Ge-
wand hinter dem Rücken des Entführers ist gewiß der
Mantel des Mädchens, den Ciferri irrtümlich mit der Chla-
mys des Jünglings in Verbindung gebracht zu haben scheint,
die, vom rechten Arm herabfallend, durch den angepreßten
Körper des Mädchens so verschoben wird, daß sie schär-
penartig quer über die Brust des Jünglings läuft. Ob die
Keule in der erhobenen rechten Hand der linken Eckfigur
auf Mißverständnis des Zeichners oder auf falscher Ergän-
zung beruht, muß dahingestellt bleiben.

So handelt es sich denn bei der Gruppe links in der
Tat um eine Entführungsszene, wie Ritschl und Sauer an-
genommen hatten; aber der Gedanke an Pelops und Hip-
podamia ist, auch abgesehen von den oben erörterten Gegen-
gründen, schon dadurch ausgeschlossen, daß sich das Mäd-
chen seinem Entführer zu entwinden sucht.

Nach dem Ermittelten scheint sich die oben aufgewor-
fene Frage dahin zu beantworten, daß wir es nicht mit
drei verschiedenen, sondern mit einer einzigen Szene zu
tun haben. Wie die vier Gefallenen und vielleicht auch
 
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