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Buch I. Art. 47. 48.

stets mehr dem Bejahenden als dem Verneinenden sich
zuzuneigen, während er doch nach Recht und Ordnung
sich zu beiden gleich verhalten sollte; ja, bei jedem wahr-
haft bejahenden Lehrsätze ist sogar die Kraft des ver-
neinenden Falles die stärkere.80)
47.
Der menschliche Geist wird von dem, was die Seele
mit einem Male und plötzlich erschüttert und durchdringt,
am meisten bewegt, und seine Phantasie pflegt sich damit
zu erfüllen und zu erhitzen; alles Andere soll sich in
nicht zu begreifender Weise ebenso verhalten wie das
Wenige, was die Seele besetzt hält. Der Geist beschafft
dazu Voraussetzungen und Erfindungen; aber zu jenen
entfernteren und ungleichartigen Fällen, welche den Lehr-
sätzen erst die Feuerprobe geben, vermag er nicht überzu-
gehen, wenn nicht ein harter Zwang und ein gewaltiges
Gebot ihn dazu nöthigen.
48.
Der menschliche Verstand lodert auf, aber er vermag
weder zu beharren noch anzuhalten; er treibt vorwärts,
aber vergeblich. Deshalb kann man sich kein Ende und
kein Aeusserstes der Welt vorstellen, vielmehr ist man
genöthigt, immer noch etwas darüber hinaus anzunehmen;
ebenso wenig kann man sich vorstellen, wie die Ewigkeit
bis zu dem heutigen Tage hat ablaufen können, weil der
gebräuchliche Unterschied zwischen dem Unendlichen von
Vorn und dem Unendlichen von Rückwärts unbegründet ist;
denn es folgte daraus, dass ein Unendliches grösser wäre
als das andere, und dass das Unendliche ein Ende nähme
und an das Endliche grenzte. Aehnlich verhält es sich
mit der unendlichen Theilbarkeit der Linien; das Den-
ken reicht dazu nicht aus.
Aber verderblicher zeigt sich diese Ohnmacht des
Geistes bei der Auffassung der Ursachen. Denn das All-
gemeinste der Natur muss von bejahendem Inhalte sein
80) Weil viele Fälle noch nicht hinreichen, die Allge-
meinheit einer von ihnen abgeleiteten Regel zu beweisen;
aber ein einziger Fall, der ihr widerspricht, genügt, sie
umzustossen.
 
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