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Badische Fundberichte: amtl. Nachrichtenbl. für die ur- u. frühgeschichtl. Forschung Badens — 20.1956

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Nierhaus, Rolf: Zur Bedeutung der bürgerlichen Siedlung im Gewann "Mühlöschle", Gemarkung Hüfingen
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https://doi.org/10.11588/diglit.43787#0126

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120

Rolf Nierhaus

rechtlichen Sinne ist es nie gewesen; doch vgl. S. 121 — etwa seit 120—130 n. Chr. auf-
hörte, zu bestehen. Es „löste sich auf in eine Reihe zerstreuter ländlicher Gutshöfe zu
beiden Seiten des Neckars“14), denen zeitlich etwa der Gutshof im Deggenreuschenwald
an. die Seite gestellt werden kann. Der Grund für diese Entwicklung ist gleichfalls längst
bekannt: Nachdem kurz vor 90 n. Chr. die Odenwald-Neckar-Linie des Limes mit
Cannstatt als südlichem Mittelpunkt erreicht und durch Kastelle gesichert war, ging der
Verkehr vom Rhein zur Donau in immer stärkerem Maße auf die vorhin schon ge-
nannte große Straße über, die bei Stettfeld das Rheintal verläßt. Das Verwaltungs-
zentrum des rechtsrheinischen römischen Obergermanien wurde von Rottweil nach
Rottenburg a. N. — Sumelocenna vorverlegt. Die heutige Baar geriet — wie übrigens
auch der rechtsrheinische Teil der Oberrheinischen Tiefebene von Karlsruhe an süd-
wärts —• wirtschaftlich in einen toten Winkel. Die unter Vespasian 73/74 n. Chr. ge-
schaffenen Straßenverbindungen vom Rhein bei Straßburg durchs Kinzigtal an die
Donau bei Tuttlingen und von Windisch über Hüfingen nach Rottweil wurden unwich-
tig und verödeten, ohne allerdings aufgelassen zu werden. Selbstverständlich wirkte sich
die zunehmende wirtschaftliche und verkehrsmäßige Bedeutungslosigkeit der Südwest-
ecke des heutigen Baden-Württemberg auch im Siedlungsbild aus. Die Gegend blieb
dünn besiedelt; selbst günstige Böden, wie die Vorbergzone der Rheinebene, vermochten
kaum Kolonisten anzuziehen. Bestehende Siedlungen verschwanden oder schrumpften um
120 n. Chr. oder längstens mit der Schaffung des Außenlimes etwa 140 n. Chr. zu einem
Minimum zusammen, wie sich früher schon an Rottweil erwiesen hat (s. o.) und wie jetzt
sehr schön an den keramischen Funden aus der „Mühlöschle“-Siedlung wie auch an den
Sigillaten aus dem Gutshof im Deggenreuschenwald (Taf. 19, 3 —12) gezeigt werden kann.
Der Niedergang der „Mühlöschle“-Siedlung ist also aufs engste verbunden mit der
zunehmenden verkehrsmäßigen und wirtschaftlichen Abseitslage der Südwestecke des
heutigen Baden-Württemberg. Er beginnt allmählich um 100 n. Chr. und macht sich seit
etwa 120 in starkem Maße bemerkbar. Somit wäre indirekt bewiesen, daß die voran-
gehende Blütezeit des Dorfes im „Mühlöschle“ in den ersten 20—30 Jahren der römischen
Okkupation rechts des Oberrheins abhängig gewesen ist von dem damals stärkeren Ver-
kehr auf den unter Vespasian angelegten rechtsrheinischen Straßen. In dem Maße, wie
sich dieser Verkehr seit etwa 100 n. Chr- allmählich auf die direktere und bequemere
Rhein-Donau-Straße über Stettfeld und Cannstatt verlagerte, mußte ein Straßendorf wie
das unsere an einer der nunmehr verödenden Strecken aus den Tagen Vespasians in
Abgang kommen.
Bemerkt sei endlich noch, daß der von Revellio im militärischen Sinne (s. o. S. 118) ver-
wandte Ausdruck „Canabae“ für die hier als Straßendorf gedeutete Siedlung trotz dieser
Umdeutung nicht unbedingt falsch ist. „Canabae“ heißt „Buden“, „Schuppen“, „Ba-
racken“, „Magazin für Waren, besonders für Wein“ u. ä., und in diesem Sinne gibt es
auch rein zivile Canabae15), die selbstverständlich in einem Straßendorf ebensogut wie in
den Lagerdörfern vor den Toren der Kastelle vorkommen können. In den Lagerdörfern,
die ja mehr oder weniger stets auf Aufbruch eingerichtet sein mußten (s. o. S. 118), be-

14) Zitat aus P. Goeßler, Arae Flaviae. Führer durch die Altertumshalle der Stadt Rottweil (1928)
26; ähnlich F. Hertlein, Die Römer in Württbg. I (1928) 33; O. Paret, ebenda III (1932) 192.
 
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