Die Leute kannten den Besitz des Bläsibauers nicht, denn zum
zweitenmale arbeitete bei ihm keiner, und zum erstenmale nur, wenn
grosser Hunger trieb.
Stundenweit sind die Höhen des Kaiserstuhles mit Rebstecken besäet
wie der Igel mit Stacheln, und kreuz und quer ziehen sich in dem weichen
vulkanischen Grunde die Hohlwege durch das sonnendurchglühte Gebirge.
— Was steht ihr denn noch? Ihr kennt wohl etwa mein Rebstück
nicht? Meint ihr denn, ich würde euch spazieren führen für mein Geld?
Vorwärts, vorwärts! Hier links den Hollenpfad am Berge langgegangen!
Nach dem zweiten Hohlweg das erste Stück links an der Mauer gehört
dem Bläsibauer. Zu Mittag will ich die Hälfte fertig angebunden sehen
für mein schönes Geld!
Er warf das Fenster zu . . . Die Leute trugen ihre Bündel mit den
Bändern, die Reben und Stecken verbinden sollten, hinein in den Hohl-
weg und zogen weiter am Abgrund, an dessen gelben Erdmauern
blühendes Schlehengeäst und Brombeeren wucherten und Epheu die
schwarzen Akazienstämme zu umschlingen trachtete; sie schleppten sich
vorüber an den in die leichte und doch Halt gewährende Löss-Schicht
gegrabenen Höhlen, die im Sommer den Arbeitern Schutz geben mussten
vor dem den Rebensaft kochenden Sonnenbrand. Die Leute hatten kein
Auge für die nach kurzem nächtlichem Regen doppelt wonnige Pracht
des Rheins, für die aus dem Elsass winkenden Türme und Burgen;
sie sahen auch nicht in den nahen Tälern weisse Dunstbällchen über
dem warmen Erdboden lagern gleich Rauchwölkchen auf dem weiten
Schlachtfelde. Für die beiden alten Frauen bestand die Welt jetzt nur
aus bearbeiteten und unbearbeiteten Rebbergen.
Am Ende eines glitschrigen Fusspfades machten die beiden Wande-
rinnen Halt. Hier musste das Feld ihrer Tätigkeit sein! Sie warfen
ihre Brotbündel zusammen, und ohne weiter ein Wort zu sprechen,
machten sie sich daran, Reihe um Reihe der Reben aufzurichten und
einen jeglichen Stock zwei oder drei Mal an seinen Stecken zu ketten.
So sehr auch die alten Hände schon zitterten, die Zahl der biegsamen
grauen Reben, um die sich der zähe Bast schlang, mehrte sich zusehends,
nach einigen Stunden reckten sich auf dem Rebstück die verheissungs-
vollen Pflanzen in geraden Reihen wie die Soldaten — und als mittags
der Bläsibauer erschien, waren die Frauen gerade daran, den zweiten
Teil der Besitzung des — Endebauers in Angriff zu nehmen. Die Reben
30
zweitenmale arbeitete bei ihm keiner, und zum erstenmale nur, wenn
grosser Hunger trieb.
Stundenweit sind die Höhen des Kaiserstuhles mit Rebstecken besäet
wie der Igel mit Stacheln, und kreuz und quer ziehen sich in dem weichen
vulkanischen Grunde die Hohlwege durch das sonnendurchglühte Gebirge.
— Was steht ihr denn noch? Ihr kennt wohl etwa mein Rebstück
nicht? Meint ihr denn, ich würde euch spazieren führen für mein Geld?
Vorwärts, vorwärts! Hier links den Hollenpfad am Berge langgegangen!
Nach dem zweiten Hohlweg das erste Stück links an der Mauer gehört
dem Bläsibauer. Zu Mittag will ich die Hälfte fertig angebunden sehen
für mein schönes Geld!
Er warf das Fenster zu . . . Die Leute trugen ihre Bündel mit den
Bändern, die Reben und Stecken verbinden sollten, hinein in den Hohl-
weg und zogen weiter am Abgrund, an dessen gelben Erdmauern
blühendes Schlehengeäst und Brombeeren wucherten und Epheu die
schwarzen Akazienstämme zu umschlingen trachtete; sie schleppten sich
vorüber an den in die leichte und doch Halt gewährende Löss-Schicht
gegrabenen Höhlen, die im Sommer den Arbeitern Schutz geben mussten
vor dem den Rebensaft kochenden Sonnenbrand. Die Leute hatten kein
Auge für die nach kurzem nächtlichem Regen doppelt wonnige Pracht
des Rheins, für die aus dem Elsass winkenden Türme und Burgen;
sie sahen auch nicht in den nahen Tälern weisse Dunstbällchen über
dem warmen Erdboden lagern gleich Rauchwölkchen auf dem weiten
Schlachtfelde. Für die beiden alten Frauen bestand die Welt jetzt nur
aus bearbeiteten und unbearbeiteten Rebbergen.
Am Ende eines glitschrigen Fusspfades machten die beiden Wande-
rinnen Halt. Hier musste das Feld ihrer Tätigkeit sein! Sie warfen
ihre Brotbündel zusammen, und ohne weiter ein Wort zu sprechen,
machten sie sich daran, Reihe um Reihe der Reben aufzurichten und
einen jeglichen Stock zwei oder drei Mal an seinen Stecken zu ketten.
So sehr auch die alten Hände schon zitterten, die Zahl der biegsamen
grauen Reben, um die sich der zähe Bast schlang, mehrte sich zusehends,
nach einigen Stunden reckten sich auf dem Rebstück die verheissungs-
vollen Pflanzen in geraden Reihen wie die Soldaten — und als mittags
der Bläsibauer erschien, waren die Frauen gerade daran, den zweiten
Teil der Besitzung des — Endebauers in Angriff zu nehmen. Die Reben
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