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Badische Post: Heidelberger Zeitung (gegr. 1858) u. Handelsblatt — 1923 (Januar bis Juni)

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Nr. 149 - 178 (1. Juni 1923 - 30. Juni 1923)
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inuerdings angelegen sein lätzt, die intervenierende russische
„Ecgenrevolution" zu unterstützen.

Trotz dieser tätigen Hilfe des Emigrantentums, und obwohl
Paris den Frank für den guten Zweck freigebig flattern läht, trotz
des Entgegenkommens, das die französische Regierung Warschau
in der ostgalizischen Frage bewies. und obwoh! die Russen auf
frcn,chs:sches Betreiben hin der Lausanner Konferenz fernLleibeu
mutzten, lietz die politische Vorbereitung der Jnrerveniion gegen
Ruhlcsnd noch im April doch mancherlei zu wünschen übrig: die
Polen, zu früh in den Besitz Ost-Galiziens gelangt, machten Aus-
flüchte, indem sie sich hinter der deutschen, der litauischen und inneren
Eefahr verschanztenr in Prag fanden weder die französischen
MUitärs, noch ihre russischen Agenten allzu freundliches Entgegen-
kommen; und Lberall in den Ländsrn und Ländchen des Ostens
Lberhaupt stietz der französischs Unternehmungsgeist auf den allen
Abenteuern abgewandten Wunsch der Völker und Regierungen nach
endlichem Frieden und friedlichem Wiederaufbau. Der englisch -
russische Konflikt, den Paris bewutzt aufbauschte, schien dann
vorübergehend günstigere Verhältniffe zu schaffen, und die Zuver-
sicht in russischen Emigrantenkreisen wuchs in diesem Zusammen-
hange bezeichnenderweise beträchtlich. Trotzdem unrernahm es die
Warschauer Regierung, in Paris anzudeuten, dah die Republik sich
autzerstande sehe, Frankreichs agressive Wünsche zu erfüllen, und
ähnliche Erklärungen gaben die Tschechen und Rumänen ab.

Marschall Foch rerste dennoch nach Polen. Auf die Absicht,
dis Polen im Dienste des französischen machrhungrigen Eigennutzcs
in Las mehr als zweifelhafte ALenteuer eines russischen Krieges
zu stürzeu, verzichtete er auch dann noch nicht, als Moskau Englands
Neutralität um den Preis völligen Nachgebens erkauft hatte, und
der Augcnschein ihn selbst von dem Widerwillen d-r Polen gcgcn
d'c Jntervention überzeugt haben muhte. Den Polen blieb dcin-
gegenüber nichts anderes Lbrig, als ihre Regierung zu stllrzen.
Piliudski, sin alter Eegner der Franzosen, erklärte sich seiner-
serts gegen die französischen Pläne; und selbst die Drohungen Frank-
reichs,' Warschau fortan jede finanzielle Unterstützung zu entziehen,
verfingen nicht; die Polen erklärten, sie trügen lieber die Last eines
Bankerottes allein, als die Folgen eines Bankerottes und eines
völligen Zusammenbruches dazu... Begeistert, wie in Warschau,
ward Foch auch in Prag empfangen; für das Fiasko aüer
bezeichuend, das er für erste auch hier erlitt, ist die Tatsache, dah
die Prager Regierung im unmittelbaren Anschluh an des Marschalls
pompöse Visite urrter dem Drucke Moskaus demonstrativ eine Pro-
testversammlung der Prager russrschen Emigranten gegen den bevor-
stehenden Tichon-Prozeh verbot.

Es Lesteht kaum mehr ein Zwsifel darüber, dah dis französischen
Jnterventionspläne inbezug auf Räterutzland für dieses Iahr
geicheitert sind. Man tut jedoch gut, festzuhalten, Lah aus-
schliehlich die praktische Unmöglichkeit, das Wagnis zu
ui'ternehmen, Polen und Tschechen zum Derzicht gezwun-
gen hat. Wirtschaftlich im ersten Studium der Genesung begriffen,
innerpolitisch noch völlig unkonsolidiert, und militärisch durchaus
nichi gerüstet, kann es insbesondere nicht im Jntereffe Polens
liegen, seine staatliche Existenz zur Unzeit aufs Spiel zu setzen.
Zu Moskau, wo man sich von jeher frei von rentimentalen
Zllusionen weih, glaubt jeüoch kaum jemanü an eine
ehrliche und grundsätzliche Friedensliebe Polens;
man hofft dort, Zeit gewonnen zu haben und wcih, dah die Aus-
«inandersetzung mit dem polnischen Nachbar eben nur hinausge-
schoben ist. Mittlerweile bereiten die Wühler in fränzösischem Solde
dem Kreml im Lande selbst Schwierigkeiten Lber Schwierigkeiten.
Elaubt man im übrigen in Deutschland, dah Frankreich
jcmals, so lange es mit allen Mitteln nach der Herrschaft Lber den
Kontinent strebt, darauf verzichten wird, die gegenwärtige ruffische
Regierung, Lie sich seinem Diktat nie fügen wird, dyrch etn Regime
zu ersetzen das die ruffisch-französische „Entente cordiale" sofort und
auf Deutschlands Kosten wiedererstehen lassen wird?! Frankreich
braucht tatsächlich ein Ruhland, das eher Siegeransprüche an
Mitteleuropa stellt, als dort wirtschaftspolitischc Anlehnung sucht.
Das rorläufige Scheirern der französischen ^nterventionsabstchten
im Osten berührt infolgedeffen auch das deulsche Jntereffe nah.

II. v.

zranlrelch und SowjettuKland.

Paris, 29. Juni. Bei den gestrigen Budgetberarungen in Ler
Aamnier richtete Ler kommunistische Abgeordnete Berthouboi der
Leratung des Haushalts des Ministeriums für auswärtige Ange-
legenheiten an üen Ministerpräsidenten Poincare die Frage, ob
srdiediplomatischenBeziehungenzwischenFrank-
,eich und Sowjetruhland wieder aufzunehmen ge-
denke. Der Ministerpräsident antwortete: Seines Wiffens hätten
seit der ersten Budgetdebatte in der Kammer die Sowjets sich nicht
bereit erklärt, die Zinsen für die russischen Anleihen zu bezahlen.
Man habe in Genua und anderwärts lange mit ihnen oerhandelt,
ohne dae mindsste zu erreichen. Der Abgeordnete Berthou rief
daraikf: „Werden Sie nach Aufnahme der Zahlungen die Sowjets
anerkennen?", worauf Poincars erwiderte: „Man kann einen
neuon Staat nur anerkennen, wenn er die Schulden seiner Vor-
gänger akzsptiert." _

Frankm'ch un- das nene Snlgan'en.

Franzöfische Sorgen über bulgarische Wasfenvorräte.

Von unserem 8-Korrespondenten.

Paris, 29- Juni.

Die hiesige Presse beschäftigt sich nach wie vor ausführlich mit
den bulgarischcn Ereignissen. Der „Excelsior" schildert heute
die Rückkehr der regulärsn Truppen nach Sofia, die von der Be-
völkerung freudig begrüht und mit Blumen überschüttet wurden.
Die neue Regierung, so schreibt das Blatt weiter, habe im ganzen
Lande 22 00Ü Eegner festnehmen laffen, darunter allein 2000 in
Sofia. Auf beiden Seiten habe es 600 Tote gsgeben. Diese Tat-
sache wllrde zwar von der Regireung streng geheim gehalten, abcr
fie sei sicher. Dann aber fährt das Vlatt recht bezeichnenderweise
fort, man habe feststellen können, dah die Revolution 200 000
Menschsn in Bulgarien bewaffnete, trotzdem nach dem Vertrag von
Neuilly das Land nur Lber 37950 Eewehre verfügen dürfe.
Hosfentlichwürde die neue Regierung den Ueber-
schuh der Waffen der Jnteralliierten Kontroll-
kommission schleunigst abliefern. (!!!)

Uuglaubliche Borwände sllr den sranzvstscheu Militarismus.

Paris, 29. Juni.

Zm Laufe der gestrigen Vudgetberatung der Kammer
kam cs wührenp der Nahtsitzung zu einer Debatte über das
Verhältnis der französischen und der onglischen
Luftfahrt Der Abg Bonazet verwies auf die von Premier-
minister Baldwin vorgestern im Unterhause abgegebene Erklä-
rung, England bedürse eine Luftrtistung. die derjenigen der stärk-
sten Luftmacht im näheren Umkreis zum mindesten gleichkomme.
Der Redner protestierte aufs energischste gcgen die in London
gefalleue Aeuherung (!), die die Annahme unterstells, dah Frank-
reich vielleicht an einen Angriff auf England denke. Kriegsminister
Maginot antwortete dem Äbgeordneten, Frankreich habe beim
Waffenstillstand 3500 flugfähige Maschinen gehabt. Es habe zur-
zeit deren nur noch 1300. Für Frankreich sei es eine Notvendig-
keit, die Zahl seiner Flugzeuge und seiner Geschwader zu vermehren,
La es bestimmt weih, dah Deutschland crhebliche Anstrengungen
mache, um sich eine Luftschissahrt zu schaffen. (!?) Es handle sich
nich^ um England, es handle sich ausschliehlich um Deutschland.
Es wäre von französischer Seite unverzeihlich, sich von neuem einer
deutschen Eefahr auszusetzen. An Ler Debatte beteiligte sich auch
Ecneral de Castellnau. So sonderbar es erscheinen mögs, er-
klärte er, Deutschland sei hinsichtlich der Luftfahrt vollig unvor-
bereitet in den Krieg eingetreten. Es habe keine 2000, sondern
nicht mehr als 200 und einige Flugzeuge gehabt. Die französische
Luftfahrt sei der seinigen überlegen gewesen.

Ausführlicher berichtet Lber die Sitzung der „New Pork Herald",
der seine Darstellung mit den Worten einleitet: Die militärischen
Elcmente in :-r französischen Kammer werden den Kampf aufneh-
men geqen jeden Versuch, die Eniwicklung dcr franwsiicheu Lust-
fahrt einzuschränken. Eeneral de Cahcllnauhat nach dem Blatt
unter stürmischem Beifall erklärt: Jn der Luftfahrt steht Frank-
reich allen andcren Nationen voran, und es wird sein Aeuherstes
tun, um diesen Vorsprung zu erhalten. Die Kammer habe un-
mittelbar varauf einen SonderkredirinHöheoon37Mil-
lionen Franken für wissenschaftliche Untersuchungen auf dem
Eebiete der Lrrftsahrt und Flugzeugsahrt mit 490 gegen 70 Stimmen
angenommcn, wodurch das Buüget für üie erwähnten Zwecke auf
2)1 Ltillionen Franken anwächst. Die Erllärung des Eenerals
de Lastellnau stellt ihrerseits nach dem „New Pork Herald" die
Antworr auf eine Frage des sozialistischen Abgeordneten Mitral
über die Tätigkeit der militärischen Kontrollkommission in Deutsch-
land dar. Kriegsminister Maginot hatie hierzu erklärt, dah seit
der Besetzung des Ruhrgebietes und cks kaoto schon zwei Monate
vorher die Kontrollkommisston auherstande gewesen sei, ihre Aus-
gabe zu erfüllen. Mit Rücksicht darauf sei Frankreich
gezwungen gewesen, andere unerlähliche Vor-
sichtsmahnahmenzittreffen. (!) Der ALg. Mitral vcr-
langte von der Regierung eine öffentliche Erklärunz. dah Frank-
reich seine Luftfahrt ntcht weiter zu cntwickeln beabsichtige, womit
er das Eingreifen des Eenerals de Castellnau veranlahte.

Ser prozeß Met,

Paris, 29. Juni. Nach dem Vericht des „Matin" sind dic am
Donnerstag in der Verhandlung gegen Ernest Judet vor dem
Schwurgericht verlesenen Eeheimberichte deutschenUrsprungs.
Die Berichte wurden von einem Deutschen namens LeopoId ent-
wendet und geliefert- Der Eerichtsvorsitzende schlieht daraus, dah
der Ursprung der Telegramme also als sicher angesehen werden
könne, was, wie berichtet wurde, der Verteidiger Judets anzweifelte.
Nach dem Vericht des „Figaro" entstammen die verlesenen Doku-
mente nicht dem Archiv von Brüssel, sondern demjenigen von Berlin.
Ein Agent der französischen Kontrespionage namens Leopold habe

nc

geliefert. Im ubrigen förderte die Derhandlung auch Donners-

ag keine bemerkenswerten Tatsachen zutaae. Es wurde eingehend
carüber gesprochen, dah der Schweizer Maler Bossart währeno
des Kriegcs zu grohen Vermögen gelangte, ohne dah deffen UrsprunS
aufgeklärt wurde. Behauptet wurde, dieses Eeld sei von der deut-
schen Votschaft in Bern gezahlt worden. Jn der Nachmittagssitzung
wurde die^egen Judet und Frau Boffart erhobene Anschuldigung
erörtert, wonach Judet mit dem deutschen Eesandten in Bern oon
Romberg eine Zusammenkunft gehabt hätte. Judet leugnet dics
energisch.

Sas englische Merhaus.

Erörterung politischer Tagesfragen jm englischen Parlamenl.

London, 29. Zuni.

Kenworthn fragte im Unterhaufe den Premiermin-ster, ob
eine Antwort seitens der französischen Regierung auf die letzie
britifche Note über die deutschen Reparationen und die BesetzunS
des Ruhrgebiets eingelaufen sei, welches der Charvkter der
Antwort sei und ob sie dem Parlament unterbreitet werden wird.
Baldwin erwiderte, er könne augenblicklich seiner Antwort vom
21. Zuni nichts hinzufügen. Kenworthy fragte, ob der
Premierminister eine Jnformation hwbe, wann er die Antwort er«
warten könnte. Baldwin erwiderte: Jch fürchte, ich kann es mcht
fagen. Jch werde mich sehr freuen, eine Antwort zu erhalien. .

Das Parlamentsmitglied John Word fragte den Prenner-
minister, ob seine Aufnierkfamkeit gelenkt worden sei auf deu
Staatsprozeh, dsr augenblicklich in München verhande»
werde und worin gewiffe bayrische Bürger beschuldigt würden, m»
der französischen Regierung konspiriert zu haben, um einen baye-
rischen Sonderstaai zu schaffen und serner, ob er von Len m
Frankreich im Umlauf befindlichen Gerüchte gehürt habe, dah die
britifche Negierung die französische bei ihren Versuchen, das Dentfche
Reich zu zerstllckeln, unterstütze und ob er beabsichtig«, irgeud
eiwe Erklärung über diese Frage abzuzeben.

Jn der schriftlichen Antwort teilte Mac Neill hierauf m»,
die Antwort auif die beiden ersten Teile der Anfrage laute be-
jahend, aber die im zweiten Teil« erwähnten Behauptunge"
feien vollkommen unbegründet.

Das Parlamentsmitglied Newton Moore fragte den Pr-k
mierminister, ob die Aufmerkfamkeit der britifchen Regierung aM
die Tatsache gelenkt sei, Lah die Aktion Ler französischen Behörden
im Ruhrgebiet die nötigen Kohlen- und Koksmengen abfchnitte,
dadurch die Hochöfen in diefem Bezirk an der Tätizkelt
hinderte und eine katastrophale Wirknng auf den englische"
Handel ausübe, die Jntereffen Ler Dominions in ernstester Weise
kenachteiligte und eine soziale Krise schaffe, die schlinime Wir -
kungen nicht nur in Deutschland, sondern in zanz EuroP.^
im allgemeinen haben werde. Sei die britische Regierung berelt,
bei Ler französischen Negierung Vorstellungen zu erheben, um eine
Beffernng der Lage herbeizuführen?

Jn der schriftlichen Antwort teilte VaIdwin mit, der Frage-
steller könne kaum annehmen, dah die b-ritifche Negierung nichl voll
unterrichtet fei Lber alles Wichtige, was im Rnhrgebret gescheh^.-
Er könne vcrsichert fein, dah, soüald sich zeige, dah Vorstellungen ner
Ler franMschen oder irgend einer anderen auswärtigen Nation M
einer Befferung der internationalen Lage fllhren lönntcn, e.ur
Vorschläge gemacht werden würden.

London, 29. Juni. Die Konferenz der Arbciterpartei nah"f
eine Resolution an, worin eine Kapitalabgabe verlackgr
wird und worin die Arbeitermtiglieder des Unterhauses aufgcsordert
werden, dah fte, wcnn eine solch« Kapitalabgabe nich.t zustauoo
kommt, im Parlament dahin wirken follen, dah Lei der AlschaffuirS
oon Stenern in erster Linie die Besteuerung von Lebensm.tleiu
aufgehoben wird. Eine andere Refolution verurteilt die Vel"
mehrung >der britifchen Lnftmacht, die einen RüstungS-
wettlauf mit Frankreich bedent« und eine neue Krisgsperiode e>n-
leite. Es wird verlangt, dah Erohbritannien ein« lnternationu-le
Konferenz zur Abfchaffung der Luftrüstungen einbernfe. Eine dr't^
Resolution bezeichnet die Ruhrunternehmung als eine kriegerü^
Angriffshandbung und fordert Verhandlunge'n oder sinen Lchic-^
spruch.

Die Labour parth gegen poincare.

Paris, 29. Juni. (Eig. Drahtm.) Jn der gestrigen Sitzung
Labour Party legte Ramsay Macdonald eine Resolution oo--
in der er die B e s e tz u n g des Ruhrgebietes als etn^
Annexionsakt bezeichnet und die Einberufung einer Welt
konferenz zur Lösung der-Reparationsfrage verlangt. Ramchy
Macdonald ist der Ansicht, dah dis letzten deutschen Porschlag°
schr wohl die Erundlage für Verhandlnngen bilden könnten, un
er gab dem Wunsche Ausdruck, dah die Labour Party an La»
sranzösische Proletariat eine freundschaftliche Botschaft richte, um ^
aufzusordern, der Unterstützung des Kampfes gegen MitilarisM.a^
und Jmperialismus nach Kräften beizutreten. Diese Resolut>a"
wurde einstimmig angenommen.

2sa.

Roman von Zenny Freisrau Schilling v. Canjtatt.

27. Sortieyung. Nachdruck verboten.

Dah es erst am anderen Morgen beim Frühstückskaffee geschah
nahm Friedrich nicht weiter übel.

.Iunge Leut« . . - junge Leute . . . stnd halt vevgeglich! sagte
er zu Babette und fah fchmunzelnd auf Las hnbsche Mariechen, das
hold errötet war.

Di-e junge Frau Birgid satz am Schreibtifch in ihrem gemiitlichen
Pensionszimmer in Breslau.

Sie sah blah und abgespannt aus und hatte den Kopf in die
Hand gestützt.

/ Vergessen lag di« Arbeit vor ihr, di« Biicher nnd Werke, die fie
zum Stndinm braucht«.

Wieder einmal irrten ihre Eedanken von der Arbeit ab, drehten
ste stch um den einen Punkt, von Lem Licht, Sonne und Wärms
fiir fie ausging — nm ihren Gatten.

Seit über sechs Wochen hatte sie keine Nachricht von ihm;
Birgid wollte stavl sein, wie sie es ihrem Eatten so oft gelobt hatte.
Sie wollte nicht kleinmütig fein, sondern wie cmdsr« Seemanns-
frauen, voll Eottvertrauen nnd frohem Mut.

Sie wollte sich anfrichten an der Erinnermng an jen« glückseligen
Wochen. da sie mit ihm in München war, an jene Elückszeii, die ihr
die Tore des Lebens erschloffen hatte.

Si« wollte start sein im Elanben an seine Wiederkehr, sie wollte
alle Vangigkeit niederringen! Birgid arbeitete, wt« sie noch nie ge-
arbeitet hatt«, jiebsrhaft, raftlos, nm die Angst, die in ihr zitterte,
zu Letänben. Sie schrieb nur setten und jehr kurz an ihren Vater,
der seinerseits alle Hebel anfetzte, nm Nachricht über Birgids Mann
zu bekommen.

Lr hatt« eine groh« Snmme ansgesetzt für den, der ihm Nach-
richten Lvachie über den Krenzer „Pommern", der längst überfällig
war. Eine grohe Sorge um Birgids Elück belastete Eolde Levys
altes Herz, abe: er vevschloh seinen Knmmer vor der Welt nnd den
Menfchen, er war immer ein stiller Mann gswesen.

Der Grundstein zu Birgids Sanatorium war au ihrem Hoch-
zeitstag gelegt worden. Sie und ihr Gatte hatten den Hammer über
dem Stein geschwungen, anf dem ihr Lebenswerk sich aufbanen follte.

Dte Erundmauern standen bereits, nnd der Ban rückte stetig
vorwätts; ein bewährter Architekt ans Stettin leitete das ganze.
Weih und louchtend hoben sich die hellen Mauern von dem dunklen
Wcttbband ab, das gegen Nordosten es schirmend umfriedetee.

Eold« Levy war öfter drautzen und verfolgte mit Jnteresse
diefes Bamoerk, das in goldenen Lettern die Jnschrift tragen sollte:
Sanatorium Bergen.

Simon Levy war von jeiner Rsise, die er in Jsa von Hahlinzens
Jntereffe nach Hannover unternommen hatte, znrückgekehtt.

Er hatte eine längere llnterred>ung mit seinem Oheim, u-nd
dieser war entzückt, wie klug und vorsichtig fein Neffe zu Werk ge-
gangen war, um alles vorzubere-iien, um nichts zu versäumen, den
Weg zu ebnen, der Zsa von Hahlingen zu einer reichen Erbin machen
konnte. Simon Levy hatte seinen Kreund Markns Höchstetter, der
iy Hannover als Winkeladvokat lebte, ins Vertranen gezogen.

Dieser junge Mann hatt« 'dem Kriminalgericht und deffen Be-
amten schon manchen Dienst geleistet durch Auskumdfchaft faulsr
Geschäfte, Wechselfchieberei und oergleichen, und Simon Levy wuhte,
dah er keinen Menjchen finden würde, der besser den Spürhund für
die Derhältnisse im Hahlingshaus abgeben komnte als Markus Höch-
stetter. „Die Frucht P noch n-icht ganz reif, Onkel Eold«! Wenn
sie ist reif, wird das Fräulein Jsa sie pflücken mit ihren kletnen
Händen, wivd ste haben ein Leden wie eine Prinzefsin! Vier Mil-
lionen Mark hat der alte Herr von Hahlingen hinterlassen!"

Golde Levy aber hatte nur bedächtig Len Kopf geschüttelt. „Es
kommt eben darauf an, ob das Testament noch vorhanoen fst, ob es
wird gefunden!"

„Wenn es vorhanden ist, wird Markus Höchstetter es sinden!
Dann ist die Frucht retf«, OnLel Golde!" hatte die Antwort ae-
lautet-

Dirgid packte ihre Bücher zusammen, sie konnte hente nicht arbeiten.
Sie wollte den Spätnachmittag zu einem Spaziergang benutzen,
trotz dem natzkalten Märztage. Das Wetter war ihr gerade recht.
Sie zog ihren lltster an aus dunkelgrünem Flanschftoff und drückte
die Vibermütze auf ihr Haar.

Als ste zurückkam, lag ein Brief von Zsa auf ihrem Schreibtisch.

Sie lächelte wieder und klingelie dem Mädchen nach heitzem Tee.

Der Spazierganz in den Anlagen hatte ihr gut zetan, ihre
Nerven erfrischt; sie begriff ihre Kleininütigkeit vom heutigen Nach-
mittag nicht mehr.

Der Tee tat ihr gut.

Zhre Wirtin atte ihr frifchen Zwieback und Mar-melade heraus-
geschickt, und sie jreute sich der gemütlichen Ruh« ihres Zimmers.

Zsa schrieb:

Meine liebe Virgid!

Wenn Du mich auch in Deinem Glück ganz und gar vergessen
zu haben scheinst, so tat ich nicht desgleichen. Denn Du m-uht es als
erste wiffen, meine geliebte Dirgid, datz Deine Jsa erne zlückliche
Braut ift!

Wir haben uns brieflich verlobt, Heinz und ich; denn vor d-em
Mai üarf er Arco nicht verlassen; aber dann tst feine Lunge ans-
geheilt. Er ist nichi mehr jelddie-nstsähjg und wird nur noch im Ear-

nisondienst eingestellt. Wie froh bin ich darü-ber! Drieflich verlo^
zu sein, ist wund-erfchön, und ich kann mir di« Setigkeit noch
nicht ansdewken, wie es fein wird, wenn der Frühling kommt U'M
er! O Birgid, Du wivst mein Glück verstehen!

Das, was mein« Mutte-r für mich erträumte und wünfchte. e>u
reiche Heirat, das wird fich jetzt doch nicht erfüllen, aber ste
mich dennoch segnen, wenn si« weitz, wie gtücklich ich bin. „g

Wir waren doch nun einmal sür einander bestimmt, Heinz u"
ich, als uns das Meer zu Deiner Rettuna zusammenführte! O
gid, weiht Dn noch?-

Wir werden immer in Freundfchast zusammenhalten, wie unse»
Männer, nicht wahr? — Zenz wird Lei uns wohnen und mich wieo«"
oerwöhnen wie einst! ..

Ein fühes, kleines Heim werden wir ha-ben, ganz einfach, B-iEH
äber wunderschon wird sich's darin wohnen. Wir sind ja beide
so gerinzen Ansprüchen erzogen worden, und wir werden ganz.
auskommen mit dem kleinen Eehalt. Zch träume daoon. datz ^
Heinz gelingt, in das Regiment nach Swinemünde zu koinu>
Dann wären wir all« wieder beifammen, wenn Frieden u
Erden ist! — ^

Du glaubst nichi, wie sehr ich mich zurücksehne an die Se«- ^
geht mir wie Zenz, di« auch imm-er am Wasser gelekt h»t, ^
Heimweh danach vsrspürt. —

Kürzlich war Dein Vett-er Simon hier i-n Alvensred«. Erbf^'
nm sich p.srs-önlich das Taschenbuch z-u holen, das sich in dem
meines Vaters gefunden hatte. Er tat um das kleine Vuch w>e
einen wertoollen Schatz, beinah muht« ich lachen.

Er blieb nnr eine kurze Viertelstunde, und Frau Oberin l-»d '
zum Tee, und er lernte alle meine alten Freundinnen kenneu ^
Alvensrede. Warum, liebe Birgid, sieht er nur immer so ungey ^
ernsthaft aus, so traurig beina-h, — Zetzt, wo ich selbst s-o
gtücklich bin, möchte ich alle Menfchen voll Frende sehen,
austeilen meine roten, leuchtenden Rofen, die das Glück ü-^r ^
schüttet . . . Noch ahnt und weih keiner mein Elück, nur 2-n
Gräfin Hutten, die giitig wie eine Mutter zu mir ist! .. ^s,

Hast Du jetzt gute Nachrichten von Deinem Mann? Jch
liebe Birgid.

Schreibe bald. Deiner Dich taufendmal zrühenoen 3

Birgid schrieb noch am spüten ALenL an Zsa.

Die kleine Freundin hatte wohl recht, wenn sie in ihrem
sagte: „Wir waren doch nuu einmal für einander best>n>mr, v
u-nd ich !" — .

Ja, die Menschen kamen und gingen ihre Bahn und ^ x«>
zueinander nach uralten, geheimnisvollen Gcfetzen! Und ' -jchc
Stille dieses Abends kam üver Birgid eine felsenfest« ou ^ jy'
si« fühlte es im tiefsten Herzen, ihr Mann lebte
Wwder! (Fortsctzung r°«
 
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