Die langsame Lösung der kirchlichen Vorherrschaft auf allen geistigen Gebieten hat
hier ihren stärksten Widerhall gefunden, und wie vorher die Kirche und ihre Diener
Berater und Förderer in allen künstlerischen Dingen gewesen waren, so jetzt der
gelehrte Humanist, dessen Einfluß um so weitreichender wurde, als Kunst und Ge-
lehrsamkeit mehr und mehr zueinander drängten. Die Humanisten Peutinger und
Johannes Stahius waren bei den künstlerischen Unternehmungen Maximilians die
mit allen Fragen der Bildung vertrauten Berater; Pirkheimer stand mit Dürer in
engstem Ideenaustausch, Dürers Bemühungen um die Wissenschaft sind bekannt,
Melchior Pfinzing, der Verfasser des Theuerdank, unterhielt Beziehungen zu Hans
Schwarz, und Pankraz Schwenter war der Freund der Vischer. Antike Geschichte
und Mythologie beherrschten jetzt die Vorstellungswelt fast ebenso ausschließlich wie
die Geschichten des Evangeliums und die Legenden der Heiligen in den Jahrzehnten
des 15. Jahrhunderts und früher. In immer neuen Verwandlungen haben die Leiden-
schaften und Abenteuer der heidnischen Götter, die Geschichten der Venus, das Paris-
urteil oder die Taten des Herkules die Phantasie beschäftigt und in der Kleinplastik
nicht weniger als im Holzschnitt und Kupferstich ihren Ausdruck gefunden. Religiöse
Themen traten jetzt merklich zurück. Neben kleinen reizvollen Altärchen, die für
das Haus oder die Reise bestimmt und oft als Geschenke gedacht waren, gewannen
Statuetten und Reliefs Bedeutung, die nicht mehr auf dem Altar und in der Kirche
ihren Platz haben konnten. Adam und Eva und nicht minder oft der gemarterte
Sebastian, die frei und unbekümmert ihren nackten Leib den Augen darbieten
durften, die Geschichten der Susanna und Bathseba, die ebenso häufig gemalt und
gestochen wurden, sind in der Tendenz deutlich.
Sonderbare Blüten hat ein krasser, vor Derbheiten nicht zurückschreckender Naturalis-
mus getrieben, der in der Zeit wurzelte, jedoch der Artseiner künstlerischen Auslösung
nach ohne Italien, ohne italienische Vorbilder und Anregungen, vor allem Oberitaliens,
der Riccio-Schule in Padua, nicht denkbar gewesen wäre. Statuetten nackter Männer
und Frauen, besonders alter runzeliger Frauen, lassen in ihrem oft grausamen Realis-
mus ganz unmittelbar an Figuren Riccios am Höllenberg, besonders aber an jene be-
kannte sitzende Alte denken, die bereits im 16. Jahrhundert in Nachgüssen in Deutsch-
land verbreitet war. Allegorien der Vanitas waren häufig, Darstellungen des Todes trifft
man in mancherlei Gestalt, und liest man in alten Sammlungsinventaren, so ist nicht
selten von einem „Tödtlein“ die Rede, das in der Stube gelehrter Humanisten — nicht
ohne abergläubischen Beigeschmack — dem „Memento Mori“ seinen Tribut zollte.
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hier ihren stärksten Widerhall gefunden, und wie vorher die Kirche und ihre Diener
Berater und Förderer in allen künstlerischen Dingen gewesen waren, so jetzt der
gelehrte Humanist, dessen Einfluß um so weitreichender wurde, als Kunst und Ge-
lehrsamkeit mehr und mehr zueinander drängten. Die Humanisten Peutinger und
Johannes Stahius waren bei den künstlerischen Unternehmungen Maximilians die
mit allen Fragen der Bildung vertrauten Berater; Pirkheimer stand mit Dürer in
engstem Ideenaustausch, Dürers Bemühungen um die Wissenschaft sind bekannt,
Melchior Pfinzing, der Verfasser des Theuerdank, unterhielt Beziehungen zu Hans
Schwarz, und Pankraz Schwenter war der Freund der Vischer. Antike Geschichte
und Mythologie beherrschten jetzt die Vorstellungswelt fast ebenso ausschließlich wie
die Geschichten des Evangeliums und die Legenden der Heiligen in den Jahrzehnten
des 15. Jahrhunderts und früher. In immer neuen Verwandlungen haben die Leiden-
schaften und Abenteuer der heidnischen Götter, die Geschichten der Venus, das Paris-
urteil oder die Taten des Herkules die Phantasie beschäftigt und in der Kleinplastik
nicht weniger als im Holzschnitt und Kupferstich ihren Ausdruck gefunden. Religiöse
Themen traten jetzt merklich zurück. Neben kleinen reizvollen Altärchen, die für
das Haus oder die Reise bestimmt und oft als Geschenke gedacht waren, gewannen
Statuetten und Reliefs Bedeutung, die nicht mehr auf dem Altar und in der Kirche
ihren Platz haben konnten. Adam und Eva und nicht minder oft der gemarterte
Sebastian, die frei und unbekümmert ihren nackten Leib den Augen darbieten
durften, die Geschichten der Susanna und Bathseba, die ebenso häufig gemalt und
gestochen wurden, sind in der Tendenz deutlich.
Sonderbare Blüten hat ein krasser, vor Derbheiten nicht zurückschreckender Naturalis-
mus getrieben, der in der Zeit wurzelte, jedoch der Artseiner künstlerischen Auslösung
nach ohne Italien, ohne italienische Vorbilder und Anregungen, vor allem Oberitaliens,
der Riccio-Schule in Padua, nicht denkbar gewesen wäre. Statuetten nackter Männer
und Frauen, besonders alter runzeliger Frauen, lassen in ihrem oft grausamen Realis-
mus ganz unmittelbar an Figuren Riccios am Höllenberg, besonders aber an jene be-
kannte sitzende Alte denken, die bereits im 16. Jahrhundert in Nachgüssen in Deutsch-
land verbreitet war. Allegorien der Vanitas waren häufig, Darstellungen des Todes trifft
man in mancherlei Gestalt, und liest man in alten Sammlungsinventaren, so ist nicht
selten von einem „Tödtlein“ die Rede, das in der Stube gelehrter Humanisten — nicht
ohne abergläubischen Beigeschmack — dem „Memento Mori“ seinen Tribut zollte.
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