DER BAYERISCHE
VORGESCHICHTSFREUND
Blätter zur Förderung der Vor- und Frühgeschichtsforschung.
Begründet von J. Kandler.
Schriftleitung: J. Kandler und Dr. Fr. Wagner.
Heft 4 (1924).
Die geistigen Eigentümlichkeiten des Eiszeitmenschen.
(Mit Tafel I—III.)
Wenn wir die Kulturelemente des Eiszeitmenschen bis zurück zur
Chellesstufe betrachten, so ergibt sich die Schlußfolgerung, daß schon
der Neandertalmensch, trotz seinen etwas abweichenden körperlichen
Eigentümlichkeiten, seinem Geiste nach voll und ganz Mensch gewesen
ist. Der Neandertalmensch verfertigte aus Stein Waffen und Werkzeuge
(BVfr. I/II S. 34/35), während die Tiere im günstigsten Falle irgend einen
Stein oder Ast zur Verteidigung vorübergehend benutzen. Der Neander-
talmensch kannte schon das Feuer und hat sich dasselbe nutzbar gemacht.
Er bestattete seine Toten, schützte sie gegen Raubtiere und gab ihnen
ihr Eigentum mit ins Grab. Die Lagerung der Skelette von La Chapelle-
aux-Saints und Le Moustier läßt sich als Schlafstellung deuten, was zu
der Vermutung führt, daß die Altpaläolithiker den Tod als einen festen,
langdauernden Schlaf betrachteten. Wenn wir aber sehen, daß der Jung-
paläolithiker seine Toten als sogen, liegende Hocker, d. h. mit bis zu
der Brust angezogenen Beinen bestattete, eine Stellung, die nur durch
Fesselung der Leiche ermöglicht wird, so läßt das auf Grund eines Ver-
gleiches mit modernen Naturvölkern den Schluß zu, daß er an eine Fort-
dauer des Geistes des Verstorbenen glaubte. Denn die Völker, die bis
in die neuere Zeit die gleiche Art der Bestattung übten, erklärten auf
die Frage nach dem Grunde dieser Sitte, es solle dadurch der Geist des
Verstorbenen verhindert werden zurückzukehren und die Hinterbliebenen
zu schädigen. Der Umstand, daß die Gräber meist in den Wohnschichten
sich finden und der Platz dann wohl meist verlassen wurde, deutet dar-
auf hin, daß man dem Toten seine Wohnstätte für ein Weiterleben über-
lassen wollte. Eine eigentümliche Bestattungsart wurde in der großen
Ofnet, westlich von Nördlingen festgestellt. R. R. Schmidt entdeckte
dort zwei Schädelnester. Die Fundumstände (bei jedem Schädel lag sein
Unterkiefer und die ersten Halswirbel) zwingen zu dem Schlüsse, daß
vom Leichnam der Kopf abgetrennt und mit seinem Schmuck in durch
Ocker rotgefärbte Erde gelegt wurde. Was mit dem Rumpf geschah, ist
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VORGESCHICHTSFREUND
Blätter zur Förderung der Vor- und Frühgeschichtsforschung.
Begründet von J. Kandler.
Schriftleitung: J. Kandler und Dr. Fr. Wagner.
Heft 4 (1924).
Die geistigen Eigentümlichkeiten des Eiszeitmenschen.
(Mit Tafel I—III.)
Wenn wir die Kulturelemente des Eiszeitmenschen bis zurück zur
Chellesstufe betrachten, so ergibt sich die Schlußfolgerung, daß schon
der Neandertalmensch, trotz seinen etwas abweichenden körperlichen
Eigentümlichkeiten, seinem Geiste nach voll und ganz Mensch gewesen
ist. Der Neandertalmensch verfertigte aus Stein Waffen und Werkzeuge
(BVfr. I/II S. 34/35), während die Tiere im günstigsten Falle irgend einen
Stein oder Ast zur Verteidigung vorübergehend benutzen. Der Neander-
talmensch kannte schon das Feuer und hat sich dasselbe nutzbar gemacht.
Er bestattete seine Toten, schützte sie gegen Raubtiere und gab ihnen
ihr Eigentum mit ins Grab. Die Lagerung der Skelette von La Chapelle-
aux-Saints und Le Moustier läßt sich als Schlafstellung deuten, was zu
der Vermutung führt, daß die Altpaläolithiker den Tod als einen festen,
langdauernden Schlaf betrachteten. Wenn wir aber sehen, daß der Jung-
paläolithiker seine Toten als sogen, liegende Hocker, d. h. mit bis zu
der Brust angezogenen Beinen bestattete, eine Stellung, die nur durch
Fesselung der Leiche ermöglicht wird, so läßt das auf Grund eines Ver-
gleiches mit modernen Naturvölkern den Schluß zu, daß er an eine Fort-
dauer des Geistes des Verstorbenen glaubte. Denn die Völker, die bis
in die neuere Zeit die gleiche Art der Bestattung übten, erklärten auf
die Frage nach dem Grunde dieser Sitte, es solle dadurch der Geist des
Verstorbenen verhindert werden zurückzukehren und die Hinterbliebenen
zu schädigen. Der Umstand, daß die Gräber meist in den Wohnschichten
sich finden und der Platz dann wohl meist verlassen wurde, deutet dar-
auf hin, daß man dem Toten seine Wohnstätte für ein Weiterleben über-
lassen wollte. Eine eigentümliche Bestattungsart wurde in der großen
Ofnet, westlich von Nördlingen festgestellt. R. R. Schmidt entdeckte
dort zwei Schädelnester. Die Fundumstände (bei jedem Schädel lag sein
Unterkiefer und die ersten Halswirbel) zwingen zu dem Schlüsse, daß
vom Leichnam der Kopf abgetrennt und mit seinem Schmuck in durch
Ocker rotgefärbte Erde gelegt wurde. Was mit dem Rumpf geschah, ist
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