Lucas van Leyden.
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Mängel seiner Kunstweise treten für unser Auge besonders dort grell Her-
vor, wo unser Gefühl Adel und Würde, Größe und Schönheit verlangt;
sie lassen sich aber leichter hinnehmen, wo der Künstler Vorgänge aus dem
gemeinen Leben darstellt und uns durch die ungeschminkte Treue seiner
Charakteristik, durch die Feinheit seiner Naturbeobachtung und seinen derben
Humor ein anerkennendes Lächeln abnöthigt.
Liegt nun ein wesentliches Verdienst unseres Meisters darin, daß er
einer der ersten war, welche das Genre als eine besondere Kunstgattung
ausbildeten, so waren ihm doch auch noch andere Vorzüge eigen, die der
Kunst im Allgemeinen zu Gute kameu. Ihm verdankt nicht nur die Malerei,
sondern vor Allem die Kupfersiecherkunst eine bedeutende Vervollkommnung
der Technik. Keiner seiner Vorgänger besaß solch' einen feinen Blick in
Bezug aus die Luftperspective, wenigstens vermochte keiner, sei es mit dem
Pinsel oder dem Grabstichel die Vertiefung der Hintergründe bis in weite
Fernen mit gleicher Wahrheit zur Darstellung zu bringen. Als Kupfer-
stecher steht Lucas van Lehden mit Dürer mindestens in gleichem Range,
soweit die technische Gewandtheit in Betracht kommt. —
Ueber die Lebensumstände unseres Meisters sind wir leider nur sehr
unvollkommen unterrichtet. Als Vater desselben wird Hugo Jacobsz ge-
nannt und als ein geschickter Maler gerühmt, als sein Lehrer aber, wie
schon bemerkt, Cornelis Engelbrechtsen. Körperlich von der Natur ver-
nachlässigt, von Ansehen eine unscheinbare und schwächliche Gestalt, war
Lucas geistig ungemein früh entwickelt; ja, in Bezug auf Frühreife des
Talents übertrifft er selbst Holbein und dürfte kaum seines Gleichen haben,
wenn es wahr ist, was Karel van Mander erzählt, daß er schon in seinem
neunten Jahre Compositionen eigner Erfindung in Kupfer stach. Der frühste
Stich, welcher von ihm bekannt ist, trägt die Jahreszahl 1508 und stellt
die Ermordung des Mönches Sergius durch Mahomet dar. Die
Gewandtheit nnd Sicherheit der Zeichnung, namentlich in schwierigen Ver-
kürzungen, welche er überhaupt gern anzubringen liebte, machen es kaum
glaublich, daß diese Arbeit das Werk eines vierzehnjährigen Knaben sei. Es
mag deshalb die eben erwähnte Angabe des holländischen Kunstchronisten
als nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen. Zwei Jahre später stach er ein
Ecce Homo, eine sigurenreiche Composition mit weiter Perspective, bei
welcher zuerst deutlich die eigenthümliche Neigung des Künstlers Hervortritt,
den Hauptvorgang in den Hintergrund zu verlegen und Vorder- und Mittel-
grund mit Nebensiguren und anderem Beiwerk zu füllen. Diese Eigen-
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Mängel seiner Kunstweise treten für unser Auge besonders dort grell Her-
vor, wo unser Gefühl Adel und Würde, Größe und Schönheit verlangt;
sie lassen sich aber leichter hinnehmen, wo der Künstler Vorgänge aus dem
gemeinen Leben darstellt und uns durch die ungeschminkte Treue seiner
Charakteristik, durch die Feinheit seiner Naturbeobachtung und seinen derben
Humor ein anerkennendes Lächeln abnöthigt.
Liegt nun ein wesentliches Verdienst unseres Meisters darin, daß er
einer der ersten war, welche das Genre als eine besondere Kunstgattung
ausbildeten, so waren ihm doch auch noch andere Vorzüge eigen, die der
Kunst im Allgemeinen zu Gute kameu. Ihm verdankt nicht nur die Malerei,
sondern vor Allem die Kupfersiecherkunst eine bedeutende Vervollkommnung
der Technik. Keiner seiner Vorgänger besaß solch' einen feinen Blick in
Bezug aus die Luftperspective, wenigstens vermochte keiner, sei es mit dem
Pinsel oder dem Grabstichel die Vertiefung der Hintergründe bis in weite
Fernen mit gleicher Wahrheit zur Darstellung zu bringen. Als Kupfer-
stecher steht Lucas van Lehden mit Dürer mindestens in gleichem Range,
soweit die technische Gewandtheit in Betracht kommt. —
Ueber die Lebensumstände unseres Meisters sind wir leider nur sehr
unvollkommen unterrichtet. Als Vater desselben wird Hugo Jacobsz ge-
nannt und als ein geschickter Maler gerühmt, als sein Lehrer aber, wie
schon bemerkt, Cornelis Engelbrechtsen. Körperlich von der Natur ver-
nachlässigt, von Ansehen eine unscheinbare und schwächliche Gestalt, war
Lucas geistig ungemein früh entwickelt; ja, in Bezug auf Frühreife des
Talents übertrifft er selbst Holbein und dürfte kaum seines Gleichen haben,
wenn es wahr ist, was Karel van Mander erzählt, daß er schon in seinem
neunten Jahre Compositionen eigner Erfindung in Kupfer stach. Der frühste
Stich, welcher von ihm bekannt ist, trägt die Jahreszahl 1508 und stellt
die Ermordung des Mönches Sergius durch Mahomet dar. Die
Gewandtheit nnd Sicherheit der Zeichnung, namentlich in schwierigen Ver-
kürzungen, welche er überhaupt gern anzubringen liebte, machen es kaum
glaublich, daß diese Arbeit das Werk eines vierzehnjährigen Knaben sei. Es
mag deshalb die eben erwähnte Angabe des holländischen Kunstchronisten
als nicht ganz unwahrscheinlich erscheinen. Zwei Jahre später stach er ein
Ecce Homo, eine sigurenreiche Composition mit weiter Perspective, bei
welcher zuerst deutlich die eigenthümliche Neigung des Künstlers Hervortritt,
den Hauptvorgang in den Hintergrund zu verlegen und Vorder- und Mittel-
grund mit Nebensiguren und anderem Beiwerk zu füllen. Diese Eigen-