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Die venetianische Schule.
Nachen sich im Hafen wiegen oder langsam ihre Furchen durch die Wasser-
fläche ziehen, wer an kühlen Sommerabenden unter dem Scheine zahlloser
Gasflammen das lante, fröhliche Treiben lustwandelnder Menschen auf der
Piazzetta selbst erfahren oder ans schwankender Gondel bei Mondenschein
die Wasserstraßen durchzogen hat, zu denen die offenen Hallen der Häuser
einladend uiederschanen, wer sich da dein Lebensgenuß hiugeben oder ihu
mitempsinden konnte, wie er hier in lanten Jubel ansbricht, dort eine
heimlich stille Fährte sucht, — der wird jede Schilderung farblos and matt
finden, die in Wort oder Bild die Eiudrücke eines venetianischen Auf-
enthalts wiederzngeben beabsichtigt.
Und doch ist das wirkliche Anschanen der jedes Vergleichs entbehrenden
Netze Venedigs nicht ungemischte Frende. Nur zn oft wird das Auge
darau gemahut, daß es Denkmäler einer großen Vergangenheit vor sich hat,
der die Gegenwart nur weuig eutspricht. Welch' ein mächtiges, hoch-
strebendes Menschengeschlecht mnß es gewesen sein, welches auf dieseu ehe-
dem ödeu Sanddüueu, aus dem uusicheru Bodeu, den die Strömung der
Alpenflüsse ins Meer warf, die mächtigste Sädterepnblik des Mittelalters
gründete, derm oligarchisches Staatswesen an Daner sogar das alte Roni
mn drei Jahrhunderte überflügeln konnte! Welch' ein stolzes Machtbewußt-
sein muß die Geister jeuer Zeit getragen haben, die den Grund zu der viel
bewuuderteu venetiauischeu Herrlichkeit legte!
Diese Zeiteu siud es, zu deuen uns die Betrachtung der venetianischen
Kuusteutwickeluug znrüekführt. Perhältnißmäßig spät hielten die der klöster-
lichen Zncht entlassenen Künste ihren Einzug in Venedig. An den: regen
Wetteifer der Geister, welche seit Giotto nnd Dante den Boden antiker
Bildung in Italien wieder zu gewiuueu strebteu, uahm Veuedig uur ge-
ringen Antheil. Die moderne Enltur, die aus der Verbindung des Heid-
nischen Wissens und Denkens mit der christlichen Weltanschauung und
dem Studinu: der Natur uud des Lebeus Hervorgiug, siel deu Veuetia-
ueru fast ohne eignes Znthnn wie eine reife Frncht in den Schooß, nnd es
war ihnen nur vorbehalteu, ihr, uameutlich in Bezug auf die Kuuft, ein
eigenthümliches Gepräge ;:: geben nnd ihre Frifche nnd Kraft länger nnd glück-
licher zu bewahren, als es in den: übrigen, von Partheiungen zerrissenen, von
fremden Interventionen in steter Unrnhe gehaltenen Italien der Fall war.
Diese Erscheinung erklärt sich theils ans der Stabilität der politischen
und socialen Verhältnisse der Republik, theils aus der Sonderftelluug, die
sie seit den Tagen ihrer Gründung den: Festlande Italiens gegenüber ein-
Die venetianische Schule.
Nachen sich im Hafen wiegen oder langsam ihre Furchen durch die Wasser-
fläche ziehen, wer an kühlen Sommerabenden unter dem Scheine zahlloser
Gasflammen das lante, fröhliche Treiben lustwandelnder Menschen auf der
Piazzetta selbst erfahren oder ans schwankender Gondel bei Mondenschein
die Wasserstraßen durchzogen hat, zu denen die offenen Hallen der Häuser
einladend uiederschanen, wer sich da dein Lebensgenuß hiugeben oder ihu
mitempsinden konnte, wie er hier in lanten Jubel ansbricht, dort eine
heimlich stille Fährte sucht, — der wird jede Schilderung farblos and matt
finden, die in Wort oder Bild die Eiudrücke eines venetianischen Auf-
enthalts wiederzngeben beabsichtigt.
Und doch ist das wirkliche Anschanen der jedes Vergleichs entbehrenden
Netze Venedigs nicht ungemischte Frende. Nur zn oft wird das Auge
darau gemahut, daß es Denkmäler einer großen Vergangenheit vor sich hat,
der die Gegenwart nur weuig eutspricht. Welch' ein mächtiges, hoch-
strebendes Menschengeschlecht mnß es gewesen sein, welches auf dieseu ehe-
dem ödeu Sanddüueu, aus dem uusicheru Bodeu, den die Strömung der
Alpenflüsse ins Meer warf, die mächtigste Sädterepnblik des Mittelalters
gründete, derm oligarchisches Staatswesen an Daner sogar das alte Roni
mn drei Jahrhunderte überflügeln konnte! Welch' ein stolzes Machtbewußt-
sein muß die Geister jeuer Zeit getragen haben, die den Grund zu der viel
bewuuderteu venetiauischeu Herrlichkeit legte!
Diese Zeiteu siud es, zu deuen uns die Betrachtung der venetianischen
Kuusteutwickeluug znrüekführt. Perhältnißmäßig spät hielten die der klöster-
lichen Zncht entlassenen Künste ihren Einzug in Venedig. An den: regen
Wetteifer der Geister, welche seit Giotto nnd Dante den Boden antiker
Bildung in Italien wieder zu gewiuueu strebteu, uahm Veuedig uur ge-
ringen Antheil. Die moderne Enltur, die aus der Verbindung des Heid-
nischen Wissens und Denkens mit der christlichen Weltanschauung und
dem Studinu: der Natur uud des Lebeus Hervorgiug, siel deu Veuetia-
ueru fast ohne eignes Znthnn wie eine reife Frncht in den Schooß, nnd es
war ihnen nur vorbehalteu, ihr, uameutlich in Bezug auf die Kuuft, ein
eigenthümliches Gepräge ;:: geben nnd ihre Frifche nnd Kraft länger nnd glück-
licher zu bewahren, als es in den: übrigen, von Partheiungen zerrissenen, von
fremden Interventionen in steter Unrnhe gehaltenen Italien der Fall war.
Diese Erscheinung erklärt sich theils ans der Stabilität der politischen
und socialen Verhältnisse der Republik, theils aus der Sonderftelluug, die
sie seit den Tagen ihrer Gründung den: Festlande Italiens gegenüber ein-