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der Caracci." 245

bildeten sie doch in Bezug auf ihre ganze Charakteranlage so schroffe Gegen-
sätze, daß ein feindliches Berühren der gegenseitigen Ansichten und Nei-
gungen nicht ausbleiben konnte. Dabei war Annibale sehr leicht zu verletzen
und zum Zorn geneigt, sobald er glaubte, der Bruder wolle ihn seine geistige
Superiorität fühlen lassen. In solchen Augenblicken konnte er in seinen Er-
widerungen bitter werden und mit treffendem Witze nach einer schwachen
Seite des Bruders zielen. Höchst charakteristisch ist in dieser Beziehung
die von Bellori*) aufbewahrte Anekdote, der zufolge Agostino einst, als er
in der später begründeten Akademie der Caracci über die Gruppe des Laokoon
einen Vortrag hielt, den Bruder zur Rede setzte, daß dieser seinen Worten
keine Aufmerksamkeit schenke und daher sehr wenig empfänglich für die Größe
des bewunderten Kunstwerks scheine. Ohne ein Wort zu erwidern, sprang
Annibale auf, ergriff eine Kohle und entwarf, während Agostino mit den
Schülern sich weiter unterhielt, an der Wand in wenig Augenblicken ein
vollendetes Bild jener Gruppe, so daß das ganze Auditorium nicht genugsam
er,staunen konnte. Als er die Wirkung sah, bemerkte Annibale, sich zum
Bruder wendend: „Dichter malen mit Worten, Maler reden durch Werke."
Das Wort traf mit schneidender Schärfe Agoftino's Vorliebe für die Poesie
und sein Bemühen, sich den Namen eines Dichters zu machen. Auch lagerte
Annibale seinen Spott gern in Bildwerken ab, wie denn beide Brüder nicht
wenig durch Karrikaturen den Haß ihrer Gegner Herausforderten. Wenn
Agostino den Bruder tadelte, daß er sich zu Leuten niederen Standes halte,
so erinnerte dieser jenen gern an ihre gemeinsame Herkunft durch ein Bild,
auf welchem der Vater näht und die Mutter die Nadel einfädelt.
Annibale war zwanzig Jahre alt, als er das Haus seines Vetters ver-
ließ, um den Weisungen desselben gemäß seine Wanderschaft durch die für
die Malerei wichtigsten Orte des nördlichen Italiens anzutreten. Sein
nächstes Ziel war Parma. Aus den Briefen, die er von hier in seiner un-
behülflichen Schreibweise an Lodovico richtete, leuchtet die hohe Achtung und
warme Zuneigung. Hervor, welche er gegen seinen Lehrer hegte. Der Ein-
druck, den die Malereien des Coreggio auf ihn machten, war von über-
wältigender Art, und da er im Schreiben des Ausdrucks seiner Empfindungen
und Gedanken nicht Herr werden konnte, vermißte er ungern den Bruder,
„der es gewiß besser sagen und Alles nach seiner Art auseinandersetzen
Werde." Es ist im höchsten Grade rührend, zu sehen, wie die Begeisterung

*) LslIori, I^ö vite äs' pittori ete. Roms, 1728.
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