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bestimmten Bildaufbau noch unvollkommenere Fassung dieser meisterlich ausgereiften Komposition sein.
Möglich, daß das Leipziger Bild schon in unmittelbarem Anschluß an das Turin-Pariser Triptychon, mög-
lich freilich auch, daß es, was wohl wahrscheinlicher ist, erst einige Jahre später entstand.
Die schöne Ausgewogenheit des Leipziger Bildes ist ganz offenbar das Ergebnis eines allmählichen
Tastens und Suchens. Der Kompositionstypus dieser Begegnung der beiden Frauen in offener Landschaft
ganz im allgemeinen findet sich schon in der französischen Miniaturmalerei des beginnenden 15. Jahr-
hunderts, etwa bei dem Meister des Boucicautstundenbuches im Musee Jaquemart-Andre in Paris und in
seinem Kreise. Noch näher steht Rogier eine Berliner Tafel des 1434 von seinem Mitschüler bei Campin,
Jaques Daret, für den Abt von St. Vaast in Arras geschaffenen Altarwerks, die auch das Motiv des gegen-
seitigen Betastens der Leiber schon zeigt. Wir dürfen schließen, daß ähnlich die Komposition bereits durch
den gemeinsamen Lehrer der beiden, Robert Campin, geprägt worden war. Von diesen Vorstufen und der
älteren Turiner Fassung (Abb. 19) her versteht man erst Rogiers Leistung.
Aus dem Bilde im ganzen und aus der Gruppe der beiden Gestalten ist jetzt alles Beengende gewichen.
Die kräftigen Blau- und Rottöne der Gewänder stehen mächtig vor den helleren, gedämpfteren, auf ein
teilweise bräunliches Olivgrün gestimmten Farben der Landschaft. Maria, die von weither Gekommene,
ist die ruhig-festere der beiden Frauen. In stillverhaltener Würde tritt sie von Enks her heran. EEsabeth,
die ältere, ist ihr von dem unfern etwas erhöht Hegenden Meierhofe ihres Gatten Zacharias her ein Stück
Weges entgegengegangen. Sie ist von oben her gekommen und steht, um ein weniges höher auch auf
dem Wege. Da jedoch die Besucherin die durch Gott höher noch als sie selber Begnadete ist, streckt sie
die Arme aus, die Jüngere zu umfangen und scheint auch, während das Antlitz noch eher zurück- als vor-
geneigt ist, die Knie und den vom Alter bereits etwas steifen Rücken vor ihr beugen zu wollen. Gerade
dadurch, daß der Körper, dem seehschen Antrieb zu folgen, gehemmt scheint, bekommt die Gestalt in
ihrer umständhch-mühseligen Haltung etwas Ehrwürdig-Rührendes. Wie Elisabeth, so legt auch Maria
ihre eine Hand auf den Leib der Freundin, während die andere, die rechte, den Mantel — es ist dies eine
Geste der Vornehmheit — rafft. Das Motiv des Betastens der Leiber, das Meister späterer Jahrhunderte,
Dürer und Rembrandt etwa, in ihren Heimsuchungsdarstellungen offenbar als ungeziemend vermieden,
ist hier von unsäglich behutsamer Zartheit. Die Blicke suchen einander, die Hände agieren stiU für sich
und fast scheu, nur von dem die beiden Gestalten schwesterlich vereinenden Wissen um ihrer beider
Geheimnis geleitet. Marias Augen sind weit geöffnet, Elisabeth hat die Lider gesenkt, sie scheint die Lip-
pen auftun zu wollen. Sie ist sich bewußt, daß es HeiEgstes ist, was sie berührt.
Die Gestalten stehen nicht unmittelbar am unteren Bildrand, sondern bereits ein wenig bildeinwärts,
was sie inmitten der rings so viel kleineren Formen der Landschaft übergroß wirken läßt und ihrer
Erscheinung in der Bildfläche eine eigentümliche Spannung gewährt. Sie stehen in einer durch ein
geflochtenes Zäunchen gegen den blumigen Wiesengrund rechts vorn abgegrenzten Biegung und Gabe-
lung des Weges. Ihre Mäntel schleifen in dieser Biegung am Boden, bei Elisabeth, die von oben her
kommt, um ein weniges in die aufwärts führende Krümmung des Weges hinein. Sehr klein sind bereits
die dünn belaubt im Rücken der Frauen aufwachsenden Bäumchen. Das Haupt Marias steht vor der
offenen Landschaft, der Scheitel ihres frei über die Schultern fließenden Haares ein wenig über dem Hori-
zont jener Ferne, aus der sie gekommen. Das von weißen Tüchern eingefaßte Antlitz der Älteren hat
hinter sich die ummauerten Baulichkeiten des Gutshofs. Links davon sieht man hinter Maria, von nied-
rigen Hügeln, die sich im Rücken der übergroßen Gestalten runden, überschnitten, rechteckige Fischweiher,
Baumpflanzungen und einen zweiten Gutshof in einer Geländesenke (Abb. 29). Eine Frau und ein Mann
mit einem Hunde gehen hinter den Teichen, auf denen ein Schwan schwimmt, vorüber, winzig bereits
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