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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — Band 7.1925

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Tietze, Hans: Die fehlenden Kunstwerke
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https://doi.org/10.11588/diglit.69286#0131
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DIE FEHLENDEN KUNSTWERKE

auf einer Auktion einen Rekordpreis erzielte, hat sie die größten Anstrengungen gemacht
und ist bis zu der Grenze mitgegangen, wo die Sensationslust einzusetzen begann und
eine staatliche Anstalt mitzutun nicht mehr berechtigt war. Angesichts dieser ziffernmäßigen
Feststellungen kann man die ungeheuerliche Behauptung, die österreichischen Künstler
seien hier vernachlässigt -worden, überhaupt nicht mehr als eine sachliche Kritik aner-
kennen, sondern kann sie nur aus persönlicher Gehässigkeit erklären.
Mit diesem Hinweis auf Kunstwerke, die aus guten Gründen in der Galerie fehlen, ob-
wohl sie vorhanden sind, sind aber ihre Lücken keineswegs erschöpft; wer mit ihrem
Aufbau zu tun hatte, weiß am besten, daß sie nicht vollkommen ist und daß andere
Lücken vorhanden sind, die zu schließen weit schwieriger sein wird als die in der öster-
reichischen Kunst noch verbliebenen. Was von Repräsentanten ausländischer Schulen
fehlt, wird sich nur im bescheidensten Ausmaß ergänzen lassen, um die Erfüllung der
zweiten Aufgabe der Galerie zu ermöglichen, nämlich einen Einblick in das Wesen
der europäischen Kunstentwicklung zu gewähren. Beide Aufgaben stehen in
Zusammenhang und Wechselwirkung; um zu zeigen, was die österreichische Kunst
wert ist, bedarf es eines Ausblickes in die Fremde, um wahrhaft national zu sein, dürfen
die internationalen Zusammenhänge nicht vergessen werden. Nicht daß wir hoffen
könnten, auch für das 19. Jahrhundert eine internationale Sammlung zu er-
halten, wie wir sie im Kunsthistorischen Museum für die alten Schulen besitzen; aber
wir dürfen hoffen, so viele charakteristische Beispiele fremder Kunst zu erwerben, daß
sie dem einheimischen wie dem fremden Besucher einen Maßstal) und eine Vergleichs-
basis für die breitere Masse des Österreichischen gewähren, das erst im doppelten Kreise
der deutschen und der allgemein europäischen Kunst seinen richtigen Platz erhält. Hier
ist allerdings der Weg, der zu gehen wäre, erst angedeutet; von deutschen Künstlern
sind Blechen, Boecklin, Feuerbach, Klinger, Krüger (dank einer prächtigen Leihgabe),
Leibl, Overbeck, Runge, Trübner den Zwecken der Galerie voll entsprechend vertreten,
aber von anderen — Friedrich, Lenbach, Marees, Menzel, Olivier — sind nur Visit-
karten vorhanden, noch andere fehlen gänzlich.
Hier sind Pflichten gegen die große deutsche Kultur zu erfüllen, deren Teil die unsere
ist; Meister wie Friedrich, wie Menzel, wie Marees oder Hans Thoma, Ecksäulen der
deutschen Gestaltungskraft im 19. Jahrhundert, müßten mit Hauptwerken in
einer Galerie vertreten sein, die wohl eine österreichische ist, aber gleichzeitig eine
deutsche sein soll. Ähnlich steht es bei der französischen Kunst, die als die führende
dieses Jahrhunderts die allgemein europäische Note bestimmend darzustellen hätte;
hier sind Courbet, Daumier, Delacroix, ferner Corot und Renoir wenigstens als Figuren-
maler vollwertig gezeigt, andere angedeutet, andere fehlen gänzlich. Müßte nicht ein
wirklich charakteristischer Manet hier sein, eine Landschaft von Corot, womöglich ein

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