Über einige Kleinplastiken
wieder alles einem Manne zu geben; wir wissen ja bisher nicht, wie die Kleinplastiken
aller seiner Münchner Zeitgenossen aussahen. Daß es sich aber um Münchener Arbeiten
handelt, macht außer dem Stil der Besitz der Michaelskirche wahrscheinlich.
Näher steht »Loth« eine Geißelung des Budapester Museums der bildenden Künste
(Taf. 74/1), deren Photographie ich bei meinem Kollegen C. Th. Müller1 sah. Da findet
man, wenn auch schematischer, die »Lothsche« Hintergrundbehandlung mit eingeschla-
genen Punkten, und man könnte die Köpfe Christi und des Geißelnden ohne besondere
Schwierigkeiten an die des Wiener Reliefs anschließen. Von der gleichen Hand stammt
das Relief der raufenden Bauern der Sammlung Basner (Verst. Kat. Lepke, Berlin, 2018,
Nr. 78) und eine Geißelung des Österreichischen Museums in Wien (Taf. 75/2), von der das
Berliner Kaiser Friedrich-Museum eine wenig veränderte, noch geringere Wiederholung
(Inv. Nr. 8422) besitzt. Und endlich könnte die Dornenkrönung2 des Österreichischen
Museums (Taf. 75/1) von der gleichen Hand sein, wenn man ein so starkes Sinken der —
aber an sich nicht hohen — Qualität für möglich hält; es muß aber der Vorbehalt ge-
macht werden, daß die Roheit der Formen wahrscheinlich als »alt« galt. Es tut meines
Erachtens nun wirklich nicht mehr viel zur Sache, ob »Loth« ob nicht, ob eine Hand, ob
mehrere — warum man sich einmal durch die Dinge durcharbeiten muß ist ja nur, um
zu zeigen: der Eindruck täuscht, wenn man sie für »alt« hält (meistens werden sie ins
17. Jahrhundert gesetzt, aber auch ans 16. wird gedacht), sie altertümeln nur, sie ge-
hören in Wirklichkeit in die 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts3.
Im Zusammenhänge dieses Aufsatzes muß ich meine Überzeugung zur Diskussion
stellen, daß auch der auf Taf. 76 wiedergegebene aus Ambras stammende Bronzekasten
des Bayerischen Nationalmuseums (Kat. V, Nr. 254) in seinem Hauptteil apokryph ist.
Er wird getragen von Zungen, die von vier Sockelfiguren ausgehen. Je eine Niete ist
durch jene Zunge und durch die Brust der Evangelisten getrieben. Machen diese Figuren
einen einwandfreien Eindruck, so befremdet vor allen stilistischen Erwägungen das unan-
genehme Glockengußmaterial des Kastens. Keine sichtbare Spur besonderen Alters. Dafür
aber alles einheitlich mit einem Firnis angestrichen. Im roh behandelten Innern noch
Reste des Formsandes. Dazu nun der wie eine Karikatur desjenigen des 12. Jahrhunderts
1 Ihm verdanke ich auch die Aufklärung über den Altar von Serfaus (vgl. Habich S. 56). Laut schriftlicher
Erklärung des vorletzten noch lebenden Pfarrers hat dessen Vorgänger vor 1906 für den alten von Lederer
signierten, seines Inhalts aber beraubten Altarschrein eine neue Gruppe durch Ludwig Tragseil in Kauns an-
fertigen lassen. 2 Hinweis und Aufnahmen der beiden Reliefs des Öst. Mus. verdanke ich M. Sauerlandt
Herr H. Rosenbacher in Hamburg erkannte auch den Zusammenhang des Berliner Reliefs mit dem »Lothkreis«.
3 Dahin würde ich jetzt auch die Nr. 169—171 des Elfenbeinkatalogs des Bayr. Nationalmuseums setzen.
1926 wagte ich das noch nicht, obwohl Nr. 170 und der Christus in Nr. 171 mir stets nach 18. Jahrhundert
aussahen. — Für die Bilderkenner scheint das Problem der „Kunstkennerstücke" noch nicht zu existieren. Ich
scheue mich nicht vor dem Bekenntnis, daß ich z. B. das weibliche Porträt der Slg. Rohoniz, das jetzt offiziell
Altdorfer zugeschrieben ist — inoffiziell konnte man von Leuten, denen das Recht mitzureden kaum bestritten
werden kann, hören, daß sie an den Crunewaldkreis, an einen Niederländer (!) gedacht hatten, wichtig ist nur
das Schwanken des Urteils — für das aber die Möglichkeit einer Entstehung vor Rubens noch des Beweises
harrt, für eine typische Kunstkammerarbeit des 17. Jahrh. halte, das ahnengalerie- und genealogiewütig war wie
nie ein anderes.
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wieder alles einem Manne zu geben; wir wissen ja bisher nicht, wie die Kleinplastiken
aller seiner Münchner Zeitgenossen aussahen. Daß es sich aber um Münchener Arbeiten
handelt, macht außer dem Stil der Besitz der Michaelskirche wahrscheinlich.
Näher steht »Loth« eine Geißelung des Budapester Museums der bildenden Künste
(Taf. 74/1), deren Photographie ich bei meinem Kollegen C. Th. Müller1 sah. Da findet
man, wenn auch schematischer, die »Lothsche« Hintergrundbehandlung mit eingeschla-
genen Punkten, und man könnte die Köpfe Christi und des Geißelnden ohne besondere
Schwierigkeiten an die des Wiener Reliefs anschließen. Von der gleichen Hand stammt
das Relief der raufenden Bauern der Sammlung Basner (Verst. Kat. Lepke, Berlin, 2018,
Nr. 78) und eine Geißelung des Österreichischen Museums in Wien (Taf. 75/2), von der das
Berliner Kaiser Friedrich-Museum eine wenig veränderte, noch geringere Wiederholung
(Inv. Nr. 8422) besitzt. Und endlich könnte die Dornenkrönung2 des Österreichischen
Museums (Taf. 75/1) von der gleichen Hand sein, wenn man ein so starkes Sinken der —
aber an sich nicht hohen — Qualität für möglich hält; es muß aber der Vorbehalt ge-
macht werden, daß die Roheit der Formen wahrscheinlich als »alt« galt. Es tut meines
Erachtens nun wirklich nicht mehr viel zur Sache, ob »Loth« ob nicht, ob eine Hand, ob
mehrere — warum man sich einmal durch die Dinge durcharbeiten muß ist ja nur, um
zu zeigen: der Eindruck täuscht, wenn man sie für »alt« hält (meistens werden sie ins
17. Jahrhundert gesetzt, aber auch ans 16. wird gedacht), sie altertümeln nur, sie ge-
hören in Wirklichkeit in die 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts3.
Im Zusammenhänge dieses Aufsatzes muß ich meine Überzeugung zur Diskussion
stellen, daß auch der auf Taf. 76 wiedergegebene aus Ambras stammende Bronzekasten
des Bayerischen Nationalmuseums (Kat. V, Nr. 254) in seinem Hauptteil apokryph ist.
Er wird getragen von Zungen, die von vier Sockelfiguren ausgehen. Je eine Niete ist
durch jene Zunge und durch die Brust der Evangelisten getrieben. Machen diese Figuren
einen einwandfreien Eindruck, so befremdet vor allen stilistischen Erwägungen das unan-
genehme Glockengußmaterial des Kastens. Keine sichtbare Spur besonderen Alters. Dafür
aber alles einheitlich mit einem Firnis angestrichen. Im roh behandelten Innern noch
Reste des Formsandes. Dazu nun der wie eine Karikatur desjenigen des 12. Jahrhunderts
1 Ihm verdanke ich auch die Aufklärung über den Altar von Serfaus (vgl. Habich S. 56). Laut schriftlicher
Erklärung des vorletzten noch lebenden Pfarrers hat dessen Vorgänger vor 1906 für den alten von Lederer
signierten, seines Inhalts aber beraubten Altarschrein eine neue Gruppe durch Ludwig Tragseil in Kauns an-
fertigen lassen. 2 Hinweis und Aufnahmen der beiden Reliefs des Öst. Mus. verdanke ich M. Sauerlandt
Herr H. Rosenbacher in Hamburg erkannte auch den Zusammenhang des Berliner Reliefs mit dem »Lothkreis«.
3 Dahin würde ich jetzt auch die Nr. 169—171 des Elfenbeinkatalogs des Bayr. Nationalmuseums setzen.
1926 wagte ich das noch nicht, obwohl Nr. 170 und der Christus in Nr. 171 mir stets nach 18. Jahrhundert
aussahen. — Für die Bilderkenner scheint das Problem der „Kunstkennerstücke" noch nicht zu existieren. Ich
scheue mich nicht vor dem Bekenntnis, daß ich z. B. das weibliche Porträt der Slg. Rohoniz, das jetzt offiziell
Altdorfer zugeschrieben ist — inoffiziell konnte man von Leuten, denen das Recht mitzureden kaum bestritten
werden kann, hören, daß sie an den Crunewaldkreis, an einen Niederländer (!) gedacht hatten, wichtig ist nur
das Schwanken des Urteils — für das aber die Möglichkeit einer Entstehung vor Rubens noch des Beweises
harrt, für eine typische Kunstkammerarbeit des 17. Jahrh. halte, das ahnengalerie- und genealogiewütig war wie
nie ein anderes.
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