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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 9. Jahrgang: Heft 7/​8.1930

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Pazaurek, Gustav Edmund: Mittelalterlicher Edelsteinschliff [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.69561#0340

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Gustav E. Pazaurek

gehüllt. Wie weit man etwa Anregungen durch Karl IV. annehmen kann, der 1364 in
Arles gekrönt wurde und das Land als deutsches Lehen Philipp dem Kühnen (-| -1404)
gab, ist ebenso ungewiß, wie die zweifellos noch viel stärkeren Beziehungen zu Frankreich,
dessen Lehensträger Philipp als Herzog der Bourgogne ja auch war. Der Edelsteinschnitt
war es weniger, der von Paris herübergenommen wurde. Der Achat- und Email-Commasso
mit dem Kopf Philipp des Guten (f 1467) in der Münchner Schatzkammer bildet eine
Ausnahme; und ob der recht einfache Schnitt auf dem spätgotischen Krystallgefäß mit
Henkel und seitlichem Ausguß im herzoglichen Museum von Gotha — Anklänge an die
Ordenskette des 1430 gestifteten Goldenen Vlieses — nicht erst aus der Zeit der Renaissance-
montierung dieses Stückes stammt, darüber läßt sich streiten. Aber der Edelsteinschliff und
zwar schon der Facettenschliff, wie er sich seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
auch in Paris entwickelt hatte, war als Ausgangspunkt brauchbar; dies zeigen unter andern
der noch etwas schwerfällige Reliquienbecher der Kathedrale von Amiens (der 1900 auf
der retrospektiven Ausstellung in Paris zu sehen war)1 (Taf. 1 28/3), wie das Krystallreliquiar
der Kollektion Adolphe de Rothschild im Louvre2; die geknickten, das heißt den Gefäß-
facetten folgenden Halsringe dieser beiden Stücke haben allerdings die burgundischen
Krystallarbeiten nicht mehr mitgemacht. Auch Schachspiele in Bergkrystall, beziehungsweise
Rauchtopas, wie wir eines noch aus der spätgotischen Zeit zum Beispiel im Pariser Cluny
finden, scheinen in Flandern weniger beliebt gewesen zu sein.
Welche Rolle die Krystallgefäße — mehr als solche aus anderen Halbedelsteinen — im
höfischen Burgund spielten, sieht man am besten auf den altflämischen Bildern, etwa eines
Dierick Bouts (f 1475), ob es sich um die Weihegeschenke der Hl. Drei Könige handelt oder
um Melchisedek und Abraham — beide zum Beispiel in der Münchner Alten Pinakothek
- oder um andere Vorwürfe; und nach der peinlich naturalistischen Wiedergabe gerade dieser
Künstler sind es vielfach sicherlich nicht Phantasieobjekte, sondern Stücke, wie sie sich uns
noch hie und da erhalten haben. Und dennoch ist in Burgund nicht das Krystall die Haupt-
sache, sondern die Goldschmiedekunst in Verbindung mit Edelsteinbesatz und Maler-
email, die in erster Reihe für profane Zwecke, für den Hof und seine Umgebung tätig ist.
Die Prager gotischen Monolithgefäße wären jetzt zu plump gewesen; außerdem vermeidet
man überflüssige Materialverschwendung, zumal die Krystalle knapper zu werden beginnen.
Die Zusammensetzung mehrerer verhältnismäßig kleinerer Krystallteile gestattet
einen leichteren, eleganteren Aufbau und gewährt der Goldschmiedearbeit eine größere
Entfaltungsmöglichkeit, so daß die Not zur Tugend gemacht wird, ein Vorgang, der sich
auch in der Renaissancezeit wiederholt. Gar manche gotischen Stücke sind uns verloren-
gegangen, weil eine spätere Periode sie nicht nur neu faßte, sondern auch den Schliff,
wenn die Gefäße dickwandig genug waren, modifizierte oder einen neuen Schnitt dem
alten Gefäß hinzufügte. Gar manche der doch zerbrechlichen Krystallobjekte sind aber
1 In der Publikation des Musee des arts decoratifs, pl. 19, wird dieses Stück als eine Arbeit des 15. Jahr-
hunderts zu früh datiert. 2 Abb. z. B. in der »Gazette des beaux arts«, 1902, S. 270. Die hier geäußerte
Annahme, daß es sich um ein venezianisches Objekt handelt, ist nicht zwingend.

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