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Bernoulli, Johann Jacob
Griechische Ikonographie mit Ausschluss Alexanders und der Diadochen (Band 1): Die Bildnisse berühmter Griechen von der Vorzeit bis an das Ende des V. Jahrh. v. Chr. — München, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.1043#0191
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172 HIPPOKRATES

Auch dieser Typus erinnert stark an den Hippokrates der
Münzen1, und er hätte den Vorzug, dass er der Lebenszeit des-
selben um ein Merkliches näher stünde als der vorige und seines
Stiles wegen nicht verworfen zu werden brauchte. Dagegen fehlt
ihm, da keine Repliken vorhanden sind, die Basis der Berühmtheit.
Die Probe, dass die Münzähnlichkeit nicht zufällig, ist hier einzig
auf die Physiognomie abgestellt, welcher freilich eine besondere
Beweiskraft zugemutet wird.

E. Braun2 hat in dem dieser Herme gewidmeten Abschnitt
darzulegen gesucht, dass die Haupteigenschaften eines grossen Arztes,
die klare Beobachtungsgabe und das teilnehmende Herz, vereinigt
mit der tiefsinnigen philosophischen Naturanschauung eines Mannes
der Wissenschaft wie Hippokrates, deutlich in ihr zu Tage treten.
Es lässt sich nicht leugnen, dass bei einem Idealporträt, wie dem ge-
nannten, eine derartige physiognomische Interpretation bis zu einem
gewissen Grade sehr wohl statthaft ist, und wenn auch nicht beweis-
kräftig, doch wegleitend sein kann. Ich halte aber die Braun'sche
trotz dem Beifall, den sie gefunden3, nicht für zutreffend. Sie ist mehr
mit Rücksicht auf das gewünschte Resultat als mit der zergliedernden
Genauigkeit des Physiognomikers gemacht. Teilnahme (Braun),
Milde (Brunn), Wohlwollen (Heibig), wenn sie anders mit zu den
Charakterzügen des Hippokrates gehören, sind meines Erachtens
keineswegs die hervorstechenden Merkmale der strengen albanischen
Herme. Und ob der scharfe Blick gerade die prüfende Beobachtung
des Arztes bezeichne, da doch die sonstigen ärztlichen Eigenschaften
zu fehlen scheinen, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist der Blick
nicht rein beobachtend; man kann darin auch Unmut, Bitterkeit,
selbst Leidenschaft erkennen.4

So schrumpft, was zu Gunsten der Hippokratesdeutung gesagt
wird, schliesslich auf ein Nichts zusammen oder verkehrt sich ins
Gegenteil. Es braucht kaum noch einmal auf das vereinzelte Vor-

1 Zumal an die vergrösserte Münzabbildung des Oallaeus (bei Faber 71), bei
welcher indes die Proportionen etwas zu niedrig und der Bart über dem Kinn zu
vorgewölbt gegeben sind. Mit dem echten Münzbild stimmt der viscontische Typus
besser.

2 Ruinen und Mus. Roms p. 653.

3 Vgl. Brunn Beschr. der Glyptoth. No. 155; Heibig Führei II2. No. 835; Bau-
meister Denkm. I. p. 695. u. A.

4 Was Arndt zu der Vermutung veranlasst hat, es könnte der Apollodoros des
Silanion sein.
 
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